25.03.2007

Europa und Euratom

Entgegen den Wünschen von Merkel und Co gerät der verhängnisvolle Euratom-Vertrag im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten zum heutigen, 50-jährigen Jubiläum der "Gründung Europas" stärker ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Gefeiert wird heute nicht Europa, sondern eigentlich nur der Abschluß der drei "Römischen Verträge" mit denen Frankreich, Deutschland, Italien und die Benelux-Staaten mit einer engeren wirtschaftlichen, finanziellen, atomtechnischen und atommilitärischen Zusammenarbeit die Grundlage für das staatliche Zusammenwachsen Europas legten. Vorteile brachte dies für die unteren zwei Drittel der Menschen in Europa nur, solange die Wirtschaft so stark wuchs, daß genügend Arbeitskräfte benötigt wurden. Erst danach wurde dann sukzessive die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), dann die EG und schließlich die EU aufgebaut.

Eine "freiheitliche Ordnung" war dies von Anfang an nicht. Denn während die Montan-Union vorrangig den Kohle- und Stahl-Konzernen nützte und diese international konkurrenzfähig machten sollte, sorgte der dritte der Römischen Verträge, der Euratom-Vertrag, erst für den Aufbau einer gewaltigen wirtschaftlichen und militärischen Macht, die jene zarten Knabenmorgenblütenträume einer europäischen Demokratie bald mit ihrem eiskalten Atem verscheuchen sollten.

Der am 25. März 1957 unterzeichnete Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) bewirkte den Aufbau und die massive Förderung der europäischen Atomindustrie. Euratom ist die Grundlage für die Finanzierung der Atomforschung und für die Verteilung von Milliardenkrediten für Bau und Erhalt von Atomkraftwerken. In manchen älteren Texten zum Euratom-Vertrag ist noch ganz ungeschminkt nachzulesen, daß "die Kernenergie teuer war und die erforderlichen Investitionskosten die Möglichkeiten der einzelnen Staaten" - und erst recht die der Konzerne - überschritten. "Allgemeines Ziel des Vertrages war es, zur Bildung und Entwicklung einer mächtigen Kernkraftindustrie in Europa beizutragen."

Weiter erlaubte Euratom die fortlaufende, offene und verdeckte Subventionierung der "friedlichen" Atomenergie aus europäischen Finanzmitteln. So wurde in den letzten Jahrzehnten die Entwicklung eines neuen Atomreaktors, des EPR, durch das Konsortium Siemens-Areva (vormals: Siemens-Framatome) durch EU-Mittel finanziert. Weiter sollen beispielsweise die Euratom-Forschungsgelder im Zeitraum 2007 bis 2011 um 230 Prozent steigen. Allein für die Atomfusionstechnologie und den dazugehörigen Forschungsreaktor ITER sollen in diesem Zeitraum mehr als zwei Milliarden Euro ausgegeben werden, obwohl völlig unklar ist, ob die Fusionstechnik jemals einen Nutzen haben wird. Für "Kernspaltung und Strahlenschutz" sollen aus europäischen Finanztöpfen weitere 287 Millionen Euro, für die atomare "Gemeinsame Forschungsstelle" 517 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Dagegen wurden von der EU für erneuerbare Energien zwischen 2002 und 2006 gerade einmal 96 Millionen Euro locker gemacht.

Euratom ist nicht allein ein reicher Fundus für die Subventionierung der Atomenergie, sondern stellt auch zinslose Kredite für die Errichtung oder Modernisierung von Atomkraftwerken zur Verfügung. Aktuell besteht die Gefahr, daß mit Kredithilfe ein neuer Reaktor für das AKW Belene in Bulgarien mit Euratom-Geldern gefördert wird.

Das französische Parlament beschloß gegen die Mehrheit der französischen Bevölkerung, den mit 3,2 Milliarden Euro teuren EPR als ersten Reaktorneubau nach einer 25-jährigen Baupause in Frankreich zu realisieren. Die Finanzmittel können jedoch weder aus der maroden französischen Staatshaushalt noch von desinteressierten Investoren, sondern allein aus europäischen Töpfen bereit gestellt werden.

Die enormen Baukosten eines AKW von offiziell 3,2 und schätzungsweise nahezu 10 Milliarden Euro spielen sich erst nach über 10 Jahren Betriebszeit wieder herein. Und in Anbetracht der Konkurrenz kostengünstiger moderner Gaskraftwerke, die wesentlich kürzere Amortisationszeiten bieten, finden sich keine privaten Finanziers für einen AKW-Neubau. Waren in den 50er und 60er Jahren noch fast alle europäischen Regierungen mit der Aussicht auf eine eigene Atombombe zu Milliardensubventionen für den Aufbau der Atomtechnologie zu gewinnen, erscheint heute die Aussicht auf eine solche "Anschub-Finanzierung" wenig erfolgversprechend. Denn sämtliche europäischen Staaten haben sich durch eine seit Mitte der 80er Jahre mehr oder weniger konsequent verfolgte neoliberale Wirtschaftspolitik in eine desolate Haushaltslage manövriert.

Und ohne den Einstieg in die Nutzung der Atomenergie wäre der Aufbau beispielsweise der französischen 'force de frappe' oder der britischen Nuklearstreimacht niemals möglich gewesen. Den Propagandisten des Neoliberalismus in der Europäischen Union sei deutlich ins Stammbuch geschrieben: Mit Euratom war von Beginn an in einem zentralen Bereich der Wirtschaft die sogenannte Marktwirtschaft außer Kraft gesetzt. Dem Protokoll einer Kabinettssitzung zufolge hatte der damalige deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer 1956 vor dem Bundeskabinett erklärt, er "möchte über Euratom auf schnellstem Weg die Möglichkeit erhalten, selbst nukleare Waffen herzustellen." Und am Ende des Jahres 1957 hatte sogar der französische Verteidigungsminister Chaban-Delmas Westdeutschland und Italien den Vorschlag einer gemeinsamen Atomwaffenproduktion unterbreitet.

Die Ablehnung des Giscard-d'Éstaing-Entwurfs für eine Europäische Verfassung ist nicht zuletzt einer Kampagne der europäischen Anti-Atom-Bewegung zu verdanken, die immer wieder darauf hinwies, daß der Euratom-Vertrag, wenn auch im Anhang versteckt, substantieller Bestandteil einer Europäischen Verfassung des Neoliberalismus und Militarismus werden sollte.

Seltsam ist, daß allzu viele sich nicht an die Schmierenkomödie erinnern, die der vormalige deutsche Außenminister Joseph Fischer im Zusammenhang mit Euratom über mehrere Jahre darbot. Im Sommer 2003 ließ Fischer via 'taz' verbreiten, er wolle "Widerstand" gegen die Aufnahme von Euratom in die Europäische Verfassung leisten. Am 11.06.2003 hieß es in den Mainstream-Medien, Fischer habe auf "erheblichen Druck" der Anti-Atom-Bewegung und "in letzter Minute" die Aufnahme des Euratom-Vertrages in die neue europäische Verfassung abgelehnt. Daß die als Erfolg gepriesene Verschiebung des Vertrags-Textes in die Anlage keinerlei rechtliche Bedeutung hat, wurde verschwiegen. Nur wenigen war dabei klar, daß der Euratom-Vertrag so weiterhin unbefristet gelten würde und damit für alle EU-Mitgliedsstaaten verbindlich bliebe - so sie diesen nicht kündigen.

BefürworterInnen der Atomenergie und scheinbare GegnerInnen beriefen sich immer wieder darauf, daß die Kündigung des Euratom-Vertrages nicht einseitig durch einen Staat möglich sei, ohne gleichzeitig die EU zu verlassen. Inzwischen wurde auch diese Behauptung durch mehrere prominente Rechtsgutachten wie beispielsweise von Professor Michael Geistlinger von der Universität Salzburg widerlegt.

Zu erinnern ist auch daran, daß zwölf Länder sind frei von Atomenergie sind : Italien, Dänemark, Österreich, Irland, Luxemburg, Griechenland, Portugal, Estland, Lettland, Polen, Zypern und Malta. Vier EU-Staaten haben - zumindest auf dem Papier - einen Atom-Ausstieg erklärt: Deutschland, Schweden, Spanien und Belgien. Und in Litauen sollen die Reaktoren aus Sicherheitsgründen abgeschaltet werden. Von den 27 EU-Staaten sind also nur 10 Profiteure der Zwangsgemeinschaft Euratom.

Und obwohl beispielsweise Österreich bereits 1978 den Atomausstieg vollzog, muß das Land seit dem EU-Beitritt am 1. Januar 1995 jährlich 40 Millionen Euro für die Förderung der Atomenergie in Europa überweisen. Nach aktuellen Umfragen wünschen daher auch fast zwei Drittel der ÖsterreicherInnen den Ausstieg ihres Landes aus dem Euratom-Vertrag. Auch in Deutschland wird der Ruf nach einem Ausstieg lauter, nachdem 2003 ein Dutzend Umweltorganisationen vom BUND über den WWF bis zu Eurosolar das Thema aufgegriffen hatten.

"STOPP Euratom!" forderten AtomkraftgegnerInnen anläßlich von 50 Jahre Euratom-Vertrag bei einer Protestaktion vor dem Atomium in Brüssel. Kurz vor den offiziellen Feierlichkeiten am 25. März protestierte am 23. März ein Bündnis von Anti-Atomkraft-Initiativen aus Deutschland, den Niederlanden und Rußland für ein Ende des Euratom-Vertrages. "Wir fordern das Ende des anachronistischen Euratom- Vertrages! Keine weiteren EU-Gelder für die Atomenergie!" so Markus Pflüger von den südwestdeutschen Anti-Atom-Initiativen, einer der Initiatoren des Protestes in Brüssel. Nach der Aktion unterstützten die AktivistInnen die Übergabe von 663.000 Unterschriften für den Ausstieg aus der Atomenergie von EuropärInnen und mehr als 750 Organisationen an die EU-Kommission. Der linke Europaparlamentarier Tobias Pflüger zeigte den Zu­sammenhang zwischen dem neoliberalen EU-Verfassungsvertrag inklusive Militarisierung und dem Euratom-Vertrag auf. Im Protokoll 36 des Verfassungsvertrages heißt es, daß die Bestimmungen des Euratom-Vertrags "weiterhin volle rechtliche Wirkung entfalten müssen." Pflüger: "Dies ist ein Skandal, denn damit würde bei Annahme des Verfassungsvertrages der Euratom-Vertrag doppelt abgesichert, einmal im Original als eigenständiger Vertrag und einmal im Verfassungsvertrag. Ein weiterer Grund gegen diesen EU-Verfassungsvertrag zu sein," so der Europaabgeordnete.

Francis Althoff von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow Dannen­berg kritisierte die Planung eines zentralen "europäischen" AtommüllEndlagers: "Es gibt keine sichere Endlagerung. Statt Millionen in erwiesenermaßen ungeeignete Standorte wie Gorleben in Deutschland oder Bure in Frankreich zu pumpen, ist der Ausstieg überfällig!" Vladimir Slivyak von Ecodefense Moskau forderte einen Stopp der Atommüll­Verschiebung von Gronau nach Rußland: "Dies ist ein unverantwortlicher Problem- und Risikoexport!" Matthias Eickhoff vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen kritisierte die Urananreicherung und nannte die Urantranporte den Anfang der Atomspirale in Europa: "Deshalb konzentrieren wir unseren Widerstand auf Urantransporte."

Protestaktionen für den 12. Mai am deutsch-französischen Grenzbahnhof Perl-Apach wurden angekündigt.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkung
Siehe auch unsere Artikel:

EURATOM und EU-Verfassung (11.06.04)

Tschernobyl-Tag: UmweltschützerInnen gegen
      EU-Verfassung und EURATOM (26.04.06)

Nachruf zur Ausrufung einer europäischen Verfassung (14.06.03)

Neue Enthüllungen über Blair (4.02.04)

 

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