28.04.2004

Enthaltung von "Rot-Grün"
ebnet Gen-Technik den Weg

Fall des Gen-Moratoriums kann nur noch durch massiven Druck von unten gestoppt werden

"Rot-Grün" hat mit der auftragsgemäßen Enthaltung von Ministerin Renate Künast am Montag bei der Abstimmung im EU-Ministerrat für ein vorhersehbares Patt gesorgt. Damit glaubt sich die deutsche Bundesregierung die Hände in Unschuld waschen zu können. Doch selbst in den Massenmedien ist zu erfahren, wie es nun weitergehen soll: Die Entscheidung geht entsprechend den bekannten Regularien an die EU-Kommission zurück, die bereits angekündigt hat, den Weg für den kommerziellen Anbau von genmanipulierten Pflanzen in Europa freigeben zu wollen.

(Nebenbei bemerkt: Die "rot-grüne" Tageszeitung 'taz' tat sich mal wieder mal damit hervor, das Ende des Gen-Moratoriums zu verkünden, nachdem sie dies bereits zu fünf anderen Terminen seit Mitte letzten Jahres getan hat. Immer wieder ist beispielsweise am Info-Stand von sonst engagierten Menschen zu hören, daß Unterschriften1 für den Erhalt des Gen-Moratoriums keinen Sinn mehr hätten, weil dieses doch schon längst beendet worden sei.)

Konkret ging es bei der Entscheidung der EU-Landwirtschafts- ministerInnen am Montag in Luxemburg um einen Antrag des Gentechnik-Konzerns Syngenta um Zulassung der genmanipulierten Süßmais-Sorte Bt-11. Diese ist für den menschlichen Verzehr vorgesehen, während es sich beim Gen-Mais NK 603 des US-Konzerns Monsanto um Tierfutter handelt. Auch die parallel anstehende Entscheidung über die Zulassung des NK 603 wurde bereits verschiedentlich als "Ende des Gen-Moratoriums" gehandelt. Von der Presseagentur APA hieß es dagegen korrekt, mit der Entscheidung vom Montag sei "eine der letzten Hürden zur Beendigung des Gentechnik-Moratoriums genommen".

Welche LandwirtschaftsministerInnen wie abstimmten, scheint allerdings nicht ganz klar zu sein. Von Seiten der Agenturen heißt es:
Gegen die Zulassung von Bt-11 stimmten: Dänemark, Frankreich, Griechenland, Luxemburg, Österreich und Portugal.
Dafür stimmten: Finnland, Großbritannien, Irland, Italien, die Niederlande und Schweden.
Enthalten haben sich demnach: Deutschland, Belgien und Spanien.

Bei einer ersten Abstimmung im Dezember 2003 über die Zulassung von Bt-11 sah das Abstimmungs-Ergebnis im EU-Ausschuß wie folgt aus:
Contra: Dänemark, Frankreich, Griechenland, Luxemburg, Österreich und Portugal
Pro: Finnland, Großbritannien, Irland, die Niederlanden, Spanien und Schweden
Enthaltungen: Deutschland, Belgien und Italien.

Dies würde bedeuten, daß Spanien und Italien die Pro- und Enthaltungs-Position miteinander tauschten. Daß Spanien auf die Enthaltungs-Position wechselte, ist durch die jüngst veröffentlichten wissenschaftlichen Studien erklärbar, die zu negativen Resultaten für den in Spanien angebauten Gen-Mais kamen. Der Wechsel Italiens ist allerdings nur aus politischen Gründen erklärbar - offenbar sollte gezielt ein Patt produziert werden, um den "schwarzen Peter" der EU-Kommission zuschieben zu können. Eine Entscheidung von derartiger Tragweite und gegen den offensichtlichen Willen einer Mehrheit von über 70 Prozent der EuropäerInnen soll also von einem Gremium verkündet werden, das demokratisch in keiner Weise legitimiert ist und auch durch Abwahl nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann. Die Regierungen von Deutschland, Belgien und Spanien tragen daher dieselbe Verantwortung als hätten sie mit Ja gestimmt2.

Bisher ist noch nicht bekannt, bis zu welchem Zeitpunkt die EU-Kommission ihre Entscheidung verkünden wird, da ihr keine Frist gesetzt ist. Es heißt aber - wie es in den Massenmedien immer so schön heißt: aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen - dies werde in Kürze geschehen.

Die genmanipulierten Süßmais-Sorte Bt-11 könnte somit nun tatsächlich die erste Gen-Pflanze werden, die das Gen-Moratorium der EU durchbricht. Zwei weitere Hürden stehen dem aber noch entgegen: Zum einen müßte eine der nationalen Regierungen den ersten Schritt wagen und den Anbau dieser Pflanze auf dem eigenen Staatsgebiet zulassen, zum anderen muß sich erst noch erweisen, ob der Anbau dann auch durchzusetzen ist. Wenn Bt-11 importiert wird, als Nahrungsmittel angeboten und eventuell von einer Mehrheit der KonsumentInnen boykottiert wird, ist dies nicht der springende Punkt. Dies wird zwar - leider auch von Umweltverbänden - immer wieder so dargestellt; entscheidend ist jedoch erst der Anbau. Denn erst wenn in Europa Gen-Pflanzen großflächig angebaut werden, ist die Entwicklung unumkehrbar3.

Früher noch als Bt-11 könnte NK 603, ein Gen-Mais des Monsanto-Konzerns das Gen-Moratorium durchbrechen. NK 603 dient ausschließlich als Futtermais und kann deshalb durch die von "Rot-Grün" propagierte "Abstimmung mit dem Einkaufskorb" in keinster Weise gestoppt werden. Ein VerbraucherInnen-Boykott kann nur die als Gen-Food gekennzeichneten Waren treffen. Bezeichnender Weise muß jedoch ein großer Teil der Gentech-Lebensmittel nicht gekennzeichnet werden: Fleisch, Milch, Käse, Joghurt, Eier und andere Produkte von Tieren, die mit genmanipulierten Futtermitteln gemästet wurden. Fällt das Gen-Moratorium, können diese Futtermittel - beispielsweise NK 603 - in Europa angebaut werden und keine "Wahlfreiheit im Supermarkt" hat darauf noch irgendeinen Einfluß. Um die Bedeutung dieses Einfalltors abschätzen zu können, sollte mensch wissen, daß 80 bis 90 Prozent aller weltweit angebauten Gen-Pflanzen als Tierfutter eingesetzt werden. Zudem wurde inzwischen bekannt, daß für Landwirte die "Wahlfreiheit", gentechnikfreies Futter einzusetzen systematisch untergraben wird. Greenpeace deckte erst kürzlich auf4, daß marktbeherrschende Zulieferer von Futter-Soja in Deutschland auch gentechnik-freies Futter-Soja durchweg als Gen-Soja deklarieren. Dabei gibt es derzeit auf dem Weltmarkt für gentechnik-freies Futter-Soja keine Lieferengpässe. Hintergrund ist die Verflechtung dieser Firmen mit den Gen-Konzernen. Auf diese Weise wird also dort, wo es entscheidend ist, also bei 80 bis 90 Prozent des Gesamt- volumens, die gepriesene "Wahlfreiheit" ausgehebelt.

Solange weiterhin - auch mit Beihilfe der großen Umwelt- Organisationen - der Konflikt auf Nebenschauplätzen wie beispielsweise das Gentechnik-Gesetz oder die vermeintliche "Wahlfreiheit" im Supermarkt abgelenkt wird, besteht die große Gefahr, daß eine Entscheidung europaweit gegen den Willen der Mehrheit und allein zum Vorteil weniger Konzerne durchgedrückt wird. Diese Ablenkung auf Nebenschauplätze kann nur als gigantische Verdummung bezeichnet werden. Ein Fall des Gen-Moratoriums wäre unumkehrbar. Dann ist die Büchse der Pandora nicht mehr zu verschließen. Der großflächige Anbau von Gen-Pflanzen in Europa kann nur noch durch massiven Druck von unten verhindert werden. Uli Brendel, Gentechnik-Expertin bei Greenpeace, sagte einmal ganz zu recht: "In Europa haben wir jetzt noch die Chance, den Geist in der Flasche zu halten."

 

Ute Daniels

 

Anmerkungen:

1 Siehe Unterschriften-Aktion
    Pro Gen-Moratorium

2 Siehe auch unsere Artikel
    Gen-Moratorium steht zur Disposition v. 19.01.04
und
    EU weist Gen-Mais Bt-11 überraschend ab v. 9.12.03

3 Siehe auch unseren Artikel
    Das Gentechnik-Gesetz und die möglichen Folgen v. 11.02.04

4 Siehe auch unseren Artikel
    Wahlfreiheit zwischen Gen-Futter und Gen-Futter v. 22.04.04

 

neuronales Netzwerk