2.04.2009

Der Protest
gegen den NATO-Gipfel
ist nicht sinnvoll

Stellungnahme von NETZWERK REGENBOGEN

Einig sind wir uns mit den Organisationen, die zum Protest gegen den NATO-Gipfel am Wochenende aufrufen, in der Ablehnung der NATO. Die NATO ist eine gefährliche, auf die Erbeutung von Rohstoffen in aller Welt und somit auf Krieg ausgerichtete Organisation. Wir stehen unverändert zu den von Grünen in der Zeit zwischen 1979 und 1990 vertretenen pazifistischen und gewaltfreien politischen Grundsätzen und der damals erhobenen Forderung nach Auflösung der NATO.

Gerade weil die NATO äußerst gefährlich ist, halten wir es für unklug und unpolitisch, sich einem unreflektierten "Gipfel-Hopping" anzuschließen. Daß das Führungspersonal der NATO ein Jubiläum feiern will, ist kein ausreichender Grund, gerade diesen Anlaß für eine große Protest-Aktion zu wählen. Ort und Zeitpunkt sind im Gegenteil eher ungünstig, um Inhalte an die Öffentlichkeit zu bringen, über die wahren Ziele der NATO aufzuklären oder "die Alphabetisierung der Politik und der Bevölkerung in Sachen NATO" (wie es Peter Strutynski und Lühr Henken für den 'Bundesausschuß Friedensratschlag' ein wenig elitär formulierten) voranzutreiben.

Es hat sich bereits beim Protest gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm und bei den vorangegangenen Protesten gegen solche Gipfeltreffen herausgestellt, daß dabei die Inhalte und die Kritik, die mit dem Protest doch in erster Linie transportiert werden sollen, mehr und mehr ins Hintertreffen geraten. Zum einen Teil spielt der Protest bei solchen "Events" inzwischen eine in die medial aufbereitete Planung integrierte Statistenrolle, zum anderen werden statt Inhalten vorzugsweise diejenigen herausgestellt, die dem Staat mit provozierender oder provozierter Gewalt den gewünschten gewaltsamen Schlagabtausch liefern.

Die "Berichterstattung" der Mainstream-Medien ist getrieben von Sensationslust, dramatisiert Gewalttaten und reduziert die Vielzahl an Protest-Aktionen gerne auf den schon rituell inszenierten Schlagabtausch. Bei den Gipfel-Protesten der vergangenen Jahre kamen dabei die Inhalte in immer geringerem Ausmaß vor. Selbstverständlich ist dies kein Zufall; das hat System.

Beim letzten vergleichbaren Großereignis, dem G8-Gipfel in Heiligendamm fanden die Inhalte der Proteste in der "Berichterstattung" nahezu keinen Raum. Der Medienwissenschaftler Dieter Rucht und die Medienwissenschaftlerin Simon Teune untersuchten mit einer quantitativen Inhaltsanalyse insgesamt 1240 Artikel in elf deutschen Tageszeitungen, die sich mit dem G8-Gipfel in Heiligendamm beschäftigten. Ihr Ergebnis: Nur in 1,7 Prozent der Artikel mit Bezug auf den Gipfel wurden die Inhalte der Protestierenden erwähnt.

Ähnliche Ergebnisse liefert eine Studie von Sabrina Herrmann über die TV-"Berichterstattung". Demnach würden Inhalte von gewalttätigen AkteurInnen überhaupt nicht thematisiert. "Der Schwarze Block wird zur Chiffre unerklärlicher Gewalt und allen, die mit ihm in Verbindung gebracht werden, wird ein ernsthaftes politisches Anliegen abgesprochen", schreibt Herrmann. Aber auch die Inhalte des bunten Protests wurden nicht vermittelt: Diese Protestgruppen wurden im TV vor allem als positiver Gegensatz zum gewalttätigen Auftreten anderer ProtestteilnehmerInnen dargestellt. Formen und Ablauf der Proteste standen im Mittelpunkt, Inhalte blieben dabei unbeachtet. Auch der Medienwissenschaftler Christian Selz kam in seiner Diplomarbeit über die "Berichterstattung" über den G8-Gipfel in Heiligendamm zum Ergebnis, "daß das über die Nachrichtenagenturen vermittelte Bild der Demonstranten überwiegend negativ war".

Als positives Gegenbeispiel wird immer wieder zurecht auf die Proteste gegen die WTO-Konferenz in Seattle Dezember 1999 hingewiesen. Auch damals schon kam es zu heftigen und gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Doch in Seattle siegte die Kreativität und es gelang, die Blockade der Mainstream-Medien zu durchbrechen. Es ist also durchaus möglich, immer neue Wege zu finden, um die Medien zu Lautsprechern für emanzipative Inhalte umzufunktionieren. Aber dies bedeutet gerade nicht, stur am Konzept des "Gipfel-Hopping" festzuhalten.

Es kann nicht schaden, sich einmal bei MedienwissenschaftlerInnen zu erkundigen, nach welchen - bewußten oder unbewußten - Kriterien, Nachrichten von den Mainstream-Medien ausgewählt und publiziert werden. Zu diesen Kriterien gehört nach wie vor nicht allein "blood and sex", sondern auch alles, was als ungewöhnlich (Überraschungseffekt) und im Vergleich zum alltäglichen Geschehen unnormal angesehen wird (Normverletzung). Auf dieser Erkenntnis basiert nicht zuletzt der öffentliche Erfolg der Aktionen von Greenpeace, aber auch der Erfolg der Gipfel-Proteste von Seattle, die damals in beachtlich hohem Maße Inhalte transportieren konnten.

Ein positives Gegenbeispiel zu Heiligendamm sind auch die nahezu alljährlich stattfindenen CASTOR-Proteste im Wendland. Hier zeigt sich zudem, daß nicht allein kreative Protestformen ausschlaggebend sind - die 'taz' zog beispielsweise über die "alljährlichen Castor-Festspiele" her oder schrieb 2005 gar, der Protest sei "nicht erwähnenswert." Entscheidend für Erfolg oder Mißerfolg ist oft der Rückhalt in der lokalen Bevölkerung. Auch im Wendland läßt sich nicht vermeiden, daß Einzelne oder Teile der "Autonomen" sich Gefechte mit der Polizei liefern. Aber durch die unvermeidlichen Bilder von hunderten von Treckern, von Protest-Aktionen von GreisInnen und von der unübersehbaren Flut der gelben Latten, die als "X für Widerstand" in der Landschaft herumstehen, gelingt es den Mainstream-Medien nicht, die "Gewalt" in den Mittelpunkt zu rücken. Das Beispiel Gorleben zeigt darüber hinaus, welche Rolle die richtige Wahl des Orts spielt. Hier ist der Ort des Protestes der Ort, der angegriffen wird. Beim NATO-Gipfel Anfang April jedoch kann von den Mainstream-Medien das gegenteilige Bild gezeichnet werden: Der idyllische Ort eines harmlosen Kaffeekränzchen, dessen Jubiläumsfestivität von verbiesterten Chaoten angegriffen wird.

Bezeichnend für den Zustand der Friedensbewegung ist leider, daß der Mißerfolg der Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm nicht diskutiert und weitgehend nicht analysiert wurde. Im Gegenteil wurde affirmativ nach dem schlechten Beispiel von ParteipolitikerInnen an einem angeblichen Erfolg festgehalten.

Auch Kritik am Politikverständnis vieler Organisationen, die zum Protest gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm aufgerufen hatten, wurde schlicht abgeblockt. Bis heute ist die Ambition, Politik-Beratung zu betreiben, ungebrochen, die sich in Sätzen aus einem Aufruf spiegelte wie: "Dort sitzen die Chefs der 8 Staaten zusammen, die für die Hälfte der CO2-Emissionen verantwortlich sind. Es ist höchste Zeit, daß wir diese Untätigkeit nicht länger hinnehmen." Da wurden zudem allen ernstes Forderungen an die G8-Regierungs-"Verantwortlichen" gerichtet wie etwa die, sie sollten gegenüber Afrika ihre Politik überdenken, die Gelder für Entwicklungshilfe aufstocken und Schulden erlassen.

Damit würde - so denn überhaupt Inhalte transportiert werden - auch noch das Vorurteil unterstützt, die PolitikerInnen oder die Militärs seien tatsächlich jene, die Entscheidungen zu treffen hätten. Die globalen Gewalttäter, Strom- und Mineralöl-Konzerne, die zuvorderst die Zerstörung des Klimas betreiben, Konzerne wie Diehl, Rheinmetall, Heckler&Koch oder EADS, die aus Profitinteressen die Militarisierung vorantreiben, bleiben so aus dem Blickfeld ausgespart. Dieser globale schwarze Block kann daher von den Mainstream-Medien ohne große Probleme hinter ein paar tausend Jugendlichen mit schwarzen Kapuzen versteckt werden.

Das sture Festhalten am Gipfel-Hopping hat noch eine weitere negative Wirkung. So ist nun vor dem NATO-Gipfel von einer Beteiligung von 15.000 bis 25.000 Menschen an den Protest-Aktionen die Rede. Selbstverständlich muß sich die Friedensbewegung nun an den TeilnehmerInnen-Zahlen früherer Gipfel-Proteste messen lassen. Beteiligen sich Anfang April jedoch weniger als 10.000 Menschen an den Protest-Aktionen und Demonstrationen in Straßbourg, Baden-Baden und Kehl, wird ein Mißerfolg kaum noch zu leugnen sein. Mit abnehmenden Zahlen, die sich die Mainstream-Medien sicher nicht entgehen lassen, kommt eine Abwärtsspirale in Gang, die die Friedensbewegung schwächt.

Mit dem illusionären Gerede, daß der NATO-Gipfel verhindert werden könne, werden zudem Erwartungen geweckt, die bei einer großen Zahl der am Protest Beteiligten zu Frustration und Resignation führen werden. In manchen Parolen kommt eine groteske Selbstüberschätzung zum Ausdruck: "Wir wollen den Spieß umdrehen und lassen es erst gar nicht zum Festakt kommen." (aus dem Aufruf von 'Block Baden-Baden')

Daß manche Organisationen aus der Friedensbewegung einer solchen Dynamik keine Beachtung schenken, beruht auch darauf, daß das Auf und Ab früherer Zeiten kaum analysiert wurde. Zumindest wurde selten hinterfragt, welchen Anteil daran eigene Kampagnen hatte und die "Konjunkturen" der Friedensbewegung wurden einem naturgegebenen zufälligen Spiel von Kräften wie Ebbe und Flut zugeschrieben.

Ebensowenig wie es innerhalb der Friedensbewegung einen Diskurs über die eigene Geschichte und die Lehren, die daraus zu ziehen wären, gegeben hat, kam im Vorfeld des NATO-Gipfels eine Diskussion darüber zustande, ob denn Proteste an diesem Ort und zu dieser Zeit sinnvoll sind. Leider muß festgestellt werden, daß Entscheidungen über Aktionen der Friedensbewegung bis heute kaum transparent und wenig demokratisch ablaufen. Von einer demokratischen Willensbildung kann nicht die Rede sein.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe hierzu auch:

      Zehntausende protestieren gegen den G20-Gipfel
      Motto von unfreiwilliger Komik (29.03.09)

      G8-Gipfel in Heiligendamm
      Zwei Sorten Gewalttäter,
      zwei Sorten Unpolitische
      und eine strahlende zweifache Blenderin (8.06.07)

      Bush-Besuch:
      Telefon hät's auch getan (23.02.05)

      G-8-Protest in Evian:
      Zwiespältiger Eindruck (3.06.03)

 

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