8.01.2004

Die Proteste
gehen weiter

Die StudentInnenenproteste in Deutschland gehen auch nach der Weihnachtspause weiter

So hatten es die wenigsten erwartet. Auch nach den Weihnachtsferien scheinen die Proteste der StudentInnen gegen die massiven Kürzungen im Bildungsbereich nicht abzureißen. Zumindest in Berlin nicht - ein Novum, war die Hauptstadt doch bislang nicht gerade Vorreiterin der Streik- und Protestbewegung. Doch ausgerechnet hier beantworteten gleich zwei Universitäten die SPD-Thesen von zu errichtenden Elitehochschulen mit neuen Streiks. Und ein weiteres Mal sind die Proteste nicht auf rein bildungspolitische Forderungen zu reduzieren.

So besetzte am Mittwoch ein Gruppe von StudentInnen die SPD-Zentrale in Berlin-Kreuzberg. Im Gegensatz zur letzten Besetzung beließen sie es jedoch nicht mit einem eher symbolischen Besuch. Das repräsentative Willy-Brandt-Haus war für Stunden mit Transparenten "geschmückt". Die Forderungen der BesetzerInnen gingen deutlich über den rein universitären Bereich hinaus. Bis zu 6,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sollten demnach für Bildungszwecke ausgegeben werden, das dreigliedrige Schulsystem als Hemmnis für die Integration und Chancengleichheit sozial Schwacher sei abzuschaffen. Innerhalb der SPD verlangten sie die Einrichtung von paritätisch besetzten Fachgruppen, sowie Rederecht auch in der Fraktion. Die führenden Berliner PolitikerInnen, die für die Kürzungen im Bildungsbereich verantwortlich sind, sollten zurücktreten.

Dem vorausgegangen waren neuen Streikbeschlüsse an zwei der drei Berliner Universitäten. Sowohl die Freie-, als auch die Technische Universität beschlossen in Vollversammlungen den unbefristeten Ausstand. In welchem Umfang dies durchgesetzt werden kann, muß mit Blick auf den am Montag völlig reibungslos wieder aufgenommenen Vorlesungsbetrieb zwar noch abgewartet werden. Jedoch waren die Vollversammlungen an beiden Hochschulen deutlich besser besucht, als vor Weihnachten. Die Entscheidung der Humboldt-Universität, die jüngst nach sechsstündiger Dedatte eine Nebeneinander von Protesten und Lehrbetrieb beschloß, hatte jedoch offensichtlich keinen Einfluß auf die Entscheidungen. Ob der Streik auch durch Besetzungen von Instituten durchgesetzt wird, ist aufgrund der relativ geringen Personaldecke der Protestierenden zur Stunde unklar. Die Entscheidungsgewalt dafür liegt weiterhin bei den Vollversammlungen der Institute.

Zwar haben die Proteste bislang noch nicht wieder bundesweites Niveau erreicht, jedoch gehen die Aktionen auch außerhalb Berlins weiter. In Leipzig besetzten StudentInnen der Karl-Marx-Universität am Mittwoch das Rektorat. Zudem beschloß die Vollversammlung die sofortige Wiederaufnahme eines "kreativen Streiks", der mindestens bis zum 16. Januar andauern soll. Leipzig, dessen Universität sich erst sehr spät den Protesten anschloß, scheint so ebenfalls zu einem Vorreiter der neu aufflammenden Bewegung zu werden.

Ebenfalls für eine Verlängerung des Streiks stimmte am Mittwoch die Vollversammlung der Bremer Universität. Im kleinsten Stadtstaat sind die Bildungseinrichtungen ebenfalls von deutlichen Einsparungen betroffen. Parallel dazu hat die Landesregierung im vergangenen Jahr einen Kredit über 50 Millionen Euro an eine private Hochschule vergeben. In Erfurt verschafften sich Weimarer StudentInnen Zugang zum Landtag, um ihre Forderungen geltend zu machen. Bereits am Wochenende hatten sie gegen die in Weimar stattfindende SPD-Klausurtagung protestiert. Bildungsministerin Dagmar Schipanski (CDU) zeigte dabei Sympathien für die Forderungen der StudentInnen und sagte Presseinformationen zu Folge regelmäßige Treffen zu.

Als Novum kann auch ein Grußwort der Gewerkschaft der Polizei (GdP) verstanden werden, das auch der Vollversammlung der FU-Berlin verlesen wurde. Während der Proteste im vergangenen Jahr war mehrfach von Übergriffen seitens der Staatsmacht Bericht worden. Am Mittwoch zeigte sich die GdP nicht nur solidarisch mit Ausstand, sondern bezeichnete ihn explizit als legitim.

Welche Basis die StudentInnenproteste haben, wird sich jedoch unter anderem am kommenden Wochenende zeigen. Zumindest in Berlin ist für den Sonnabend eine neue Großdemonstration gegen den "Bildungs- und Sozialklau" angesetzt. Bereits am Mittwoch Abend protestierten StudentInnen in der Innenstadt. Am Sonntag Vormittag findet zudem die traditionelle Ehrung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg in Berlin-Friedrichsfelde statt. An der Veranstaltung nehmen regelmäßig rund 100.000 Menschen teil - sie gilt als allgemeiner Treffpunkt linker und sozialistischer Gruppen, unabhängig von der jeweiligen Position zu den geehrten Personen.

 

Martin Müller-Mertens

 

Anmerkungen:
Siehe auch unsere Artikel
    'Mehrheit gegen "rot-grüne" Steuerreform'
        (auch über die Demo vom 1. November)
    'Es reicht!' vom 1.12.03
    'Kampf gegen Kulturabbau' v. 4.12.03
    'Gegen Bildungs- und Sozialabbau' v. 12.12.03
und
    'Gegen Bildungs- und Sozialklau' v. 16.12.03

 

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