Die StudentInnenenproteste in Deutschland gehen auch nach der Weihnachtspause weiter
So hatten es die wenigsten erwartet. Auch nach den Weihnachtsferien scheinen die Proteste der
StudentInnen gegen die massiven Kürzungen im Bildungsbereich nicht abzureißen. Zumindest in Berlin
nicht - ein Novum, war die Hauptstadt doch bislang nicht gerade Vorreiterin der Streik- und
Protestbewegung. Doch ausgerechnet hier beantworteten gleich zwei Universitäten die SPD-Thesen
von zu errichtenden Elitehochschulen mit neuen Streiks. Und ein weiteres Mal sind die Proteste nicht
auf rein bildungspolitische Forderungen zu reduzieren.
So besetzte am Mittwoch ein Gruppe von StudentInnen die SPD-Zentrale in Berlin-Kreuzberg. Im
Gegensatz zur letzten Besetzung beließen sie es jedoch nicht mit einem eher symbolischen Besuch.
Das repräsentative Willy-Brandt-Haus war für Stunden mit Transparenten "geschmückt". Die
Forderungen der BesetzerInnen gingen deutlich über den rein universitären Bereich hinaus. Bis zu 6,5
Prozent des Bruttoinlandsprodukts sollten demnach für Bildungszwecke ausgegeben werden, das
dreigliedrige Schulsystem als Hemmnis für die Integration und Chancengleichheit sozial Schwacher
sei abzuschaffen. Innerhalb der SPD verlangten sie die Einrichtung von paritätisch besetzten
Fachgruppen, sowie Rederecht auch in der Fraktion. Die führenden Berliner PolitikerInnen, die für die
Kürzungen im Bildungsbereich verantwortlich sind, sollten zurücktreten.
Dem vorausgegangen waren neuen Streikbeschlüsse an zwei der drei Berliner Universitäten. Sowohl
die Freie-, als auch die Technische Universität beschlossen in Vollversammlungen den unbefristeten
Ausstand. In welchem Umfang dies durchgesetzt werden kann, muß mit Blick auf den am Montag
völlig reibungslos wieder aufgenommenen Vorlesungsbetrieb zwar noch abgewartet werden. Jedoch
waren die Vollversammlungen an beiden Hochschulen deutlich besser besucht, als vor Weihnachten.
Die Entscheidung der Humboldt-Universität, die jüngst nach sechsstündiger Dedatte eine
Nebeneinander von Protesten und Lehrbetrieb beschloß, hatte jedoch offensichtlich keinen Einfluß
auf die Entscheidungen. Ob der Streik auch durch Besetzungen von Instituten durchgesetzt wird, ist
aufgrund der relativ geringen Personaldecke der Protestierenden zur Stunde unklar. Die
Entscheidungsgewalt dafür liegt weiterhin bei den Vollversammlungen der Institute.
Zwar haben die Proteste bislang noch nicht wieder bundesweites Niveau erreicht, jedoch gehen die
Aktionen auch außerhalb Berlins weiter. In Leipzig besetzten StudentInnen der Karl-Marx-Universität
am Mittwoch das Rektorat. Zudem beschloß die Vollversammlung die sofortige Wiederaufnahme
eines "kreativen Streiks", der mindestens bis zum 16. Januar andauern soll. Leipzig, dessen
Universität sich erst sehr spät den Protesten anschloß, scheint so ebenfalls zu einem Vorreiter der
neu aufflammenden Bewegung zu werden.
Ebenfalls für eine Verlängerung des Streiks stimmte am Mittwoch die Vollversammlung der Bremer
Universität. Im kleinsten Stadtstaat sind die Bildungseinrichtungen ebenfalls von deutlichen
Einsparungen betroffen. Parallel dazu hat die Landesregierung im vergangenen Jahr einen Kredit
über 50 Millionen Euro an eine private Hochschule vergeben. In Erfurt verschafften sich Weimarer
StudentInnen Zugang zum Landtag, um ihre Forderungen geltend zu machen. Bereits am Wochenende
hatten sie gegen die in Weimar stattfindende SPD-Klausurtagung protestiert. Bildungsministerin
Dagmar Schipanski (CDU) zeigte dabei Sympathien für die Forderungen der StudentInnen und sagte
Presseinformationen zu Folge regelmäßige Treffen zu.
Als Novum kann auch ein Grußwort der Gewerkschaft der Polizei (GdP) verstanden werden, das
auch der Vollversammlung der FU-Berlin verlesen wurde. Während der Proteste im vergangenen
Jahr war mehrfach von Übergriffen seitens der Staatsmacht Bericht worden. Am Mittwoch zeigte sich
die GdP nicht nur solidarisch mit Ausstand, sondern bezeichnete ihn explizit als legitim.
Welche Basis die StudentInnenproteste haben, wird sich jedoch unter anderem am kommenden Wochenende
zeigen. Zumindest in Berlin ist für den Sonnabend eine neue Großdemonstration gegen den
"Bildungs- und Sozialklau" angesetzt. Bereits am Mittwoch Abend protestierten StudentInnen in der
Innenstadt. Am Sonntag Vormittag findet zudem die traditionelle Ehrung von Karl Liebknecht und
Rosa Luxemburg in Berlin-Friedrichsfelde statt. An der Veranstaltung nehmen regelmäßig rund
100.000 Menschen teil - sie gilt als allgemeiner Treffpunkt linker und sozialistischer Gruppen,
unabhängig von der jeweiligen Position zu den geehrten Personen.
Martin Müller-Mertens
Anmerkungen:
Siehe auch unsere Artikel
'Mehrheit gegen "rot-grüne" Steuerreform'
(auch über die Demo vom 1. November)
'Es reicht!' vom 1.12.03
'Kampf gegen Kulturabbau' v. 4.12.03
'Gegen Bildungs- und Sozialabbau' v. 12.12.03
und
'Gegen Bildungs- und Sozialklau' v. 16.12.03