Bei Testkäufen fand der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) bei jedem zweiten Hähnchen aus Supermärkten und Discountern in Berlin, Hamburg, Köln, Nürnberg und der Region Stuttgart gegen Antibiotika resistente Keime. Die Ursache hierfür sieht der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger im "fortgesetzten Antibiotika-Mißbrauch" der industriellen Hähnchenmast-Betriebe.
Jedes Jahr sterben nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation in der EU rund 25.000 Menschen an den Folgen von gefährlichen Keimen in Frischfleisch. Ursächlich hierfür ist nach Ansicht von Umwelt-ExpertInnen der massenhafte Einsatz von Antibiotika in der industriellen Landwirtschaft. Hähnchenfleisch aus den Regalen deutscher Supermärkte und Discounter ist nach Angaben der Umwelt-Organisation BUND häufig mit Antibiotika-resistenten Keimen belastet. Gekauft wurden die Proben bei den Supermarktketten Edeka, Netto, Lidl, Penny und Rewe. Bei Stichproben seien auf jeder zweiten Probe Keime gefunden worden, teilte der BUND am Montag in Berlin mit. Eine absehbare Folge des Mißbrauchs von Antibiotika, also bakteriologisch wirksamen Medikamenten, besteht darin, daß immer mehr für den Menschen wichtige Medikamente gegen die sich neu verbreitenden Keime unwirksam werden und damit ihre lebensrettende Wirkung verlieren.
Die Kontamination von Lebensmitteln mit den gefährlichen Keimen sei ein "Warnsignal" so der BUND. Der in Test vorgefundene Zustand sei ein "Kollateralschäden der industriellen Tierhaltung." "Hähnchen, Hühner, Schweine und Kälber leiden millionenfach unter inakzeptablen Haltungsbedingungen und erkranken daran," erklärte BUND-Agrarexpertin Reinhild Benning. Bekämen sie keine Antibiotika verabreicht, hielten sie in vielen Fällen nicht bis zum Schlachten durch. Selbst gesunde Tiere bekämen Antibiotika, weil in der industriellen Tierhaltung in der Regel gleich ganze Tierbestände behandelt würden.
Ende 2011 hatten Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen Studien veröffentlicht, die den massiven Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung offenlegten. Demnach werden in Niedersachsen in 82 Prozent der Mastbetriebe Antibiotika eingesetzt. Laut einer Studie im Auftrag des Verbraucherschutzministeriums Nordrhein-Westfalen wurden in dem Bundesland von Februar bis Juni vergangenen Jahres 96,4 Prozent der untersuchten Tiere mit Antibiotika behandelt.
Die beim BUND-Test jetzt gefundenen Keime – ESBL-produzierende Darmkeime (Extended Spectrum Beta-Lactamase) und MRSA-Keime (Methicillin-resistente Staphylococcus aureus) – können bei anfälligen Menschen zu schweren Erkrankungen bis hin zu Todesfällen führen. Antibiotika-Resistenzen gelten deshalb als so gefährlich, weil in der Humanmedizin verabreichte Medikamente ohne Wirkung bleiben können.
"In der Intensivhaltung werden 22 bis 24 Masthähnchen pro Quadratmeter gehalten," so der BUND-Vorsitzende Weiger. "Eine immer größere Zahl von Nutztieren auf zu wenig Platz zu halten, ist nur unter Einsatz großer Mengen von Antibiotika möglich. Die industrielle Tierhaltung muß endlich zurückgedrängt werden," fordert Weiger.
Neben der üblichen heißen Luft bei den Reaktionen von Partei-PolitikerInnen ist die drollige Stellungnahme der als Gentechnik-Propagandistin bekannten Bundestagsabgeordneten Christel Happach-Kasan bemerkenswert: "Wer nur zu Hähnchen im Sonderangebot greift, unterstützt eine Tierhaltung, die auf Antibiotika angewiesen ist." Dabei sind es gerade PolitikerInnen wie sie, die den Trend zu Masse statt Qualität in den vergangenen Jahrzehnten noch beschleunigt haben. Um der Bio-Landwirtschaft zum Durchbruch zu verhelfen, sind jedoch nicht Ermahnungen an die VerbraucherInnen gefragt. Auch sogenannte Fördermaßnahmen der Bio-Landwirtschaft haben nur eine Alibi-Funktion, solange der weitaus größte Teil der Agrar-Subventionen der industriellen Landwirtschaft zugute kommt. Um eine Agrar-Wende durchzusetzen, müßten die realen und bislang auf die Gesellschaft abgewälzten Folgekosten der industriellen Landwirtschaft durch gesetzlich festgelegte Strafaufschläge im Preis sichtbar werden. Erst wenn Bio-Lebensmittel billiger sind als konventionell erzeugte, werden sie sich auf breiter Front durchsetzen können. Und nur wenn der Preis für konventionelle Nahrungsmittel auch im Supermarkt über dem von Bio-Nahrungsmitteln liegt, spiegelt dies die realen Kosten wieder.
Nun ist es heute so, daß auch im Fleisch aus kontrolliert biologisch arbeitenden Höfen ein Keimbefall nicht hundertprozentig ausgeschlossen werden kann. Dies liegt daran, daß diese Krankheitserreger inzwischen in der Umwelt weit verbreitet sind. So kann es vorkommen, daß in Einzelfällen Antibiotika-resistente Keime auch bei Fleisch aus Betrieben gefunden werden, die gar keine Antibiotika einsetzt haben. Da es jedoch einen großen Unterschied macht, ob dies die Ausnahme oder die Regel darstellt, ist es - auch nach Ansicht der VerbraucherInnen-Verbände - empfehlenswert, Bio-Fleisch zu kaufen. Die VerbraucherInnen könnten damit dazu beitragen, daß weniger Antibiotika in der Tierhaltung eingesetzt werden. Wer nicht im Bio-Laden einkaufen möchte, kann wenigstens beim Einkauf im Supermarkt oder Discounter auf das Bio-Siegel achten, das für ökologische und artgerechte Haltung steht.
Bezeichnungen wie etwa "tiergerechte Haltung" oder "kontrollierte Aufzucht" bieten dagegen keine Garantie, da diese Begriffe nicht geschützt sind. Für derart angepriesenen Produkte mehr zu bezahlen, kann allenfalls das eigene Gewissen beruhigen.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Hähnchen mit Antibiotika gedopt
83 Prozent betroffen (29.10.11)
Natamycin in Käserinde von Saint Albray
Foodwatch kritisiert Werbelüge (5.10.11)
Radioaktivität in Lebensmitteln
Foodwatch und IPPNW fordern strengere Grenzwerte (20.09.11)
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