Die Weltgesundheitsorganisation WHO hält eine globale Vogelgrippe-Pandemie bereits für unvermeidbar. (Bei einer Pandemie handelt es sich um eine Epidemie, die sich über ganze Erdteile verbreitet.) Der Ausbruch der auf den Menschen übergreifenden Seuche sei nur noch eine Frage der Zeit. Selbst unter optimistischen Annahmen sei mit zwei bis sieben Millionen Toten zu rechnen. ExpertInnen rechnen erst für 2007 mit einem Impfstoff.
"Es gibt keinen Zweifel, daß eine Pandemie ausbrechen wird", erklärt Klaus Stöhr, Koordinator des WHO-Grippeprogramms, in Bangkok. Es sei mit einer Zahl von zwei bis sieben Millionen Toten zu rechnen. "Die Zahl der Betroffenen wird im Milliardenbereich liegen, da 25 bis 30 Prozent der Menschheit krank werden dürften.(...) Wir müssen ab sofort darauf vorbereitet sein", fordert Stöhr. Grippe-Pandemien treten erfahrungsgemäß alle 20 bis 30 Jahre auf, wenn ein Erreger mit einem solcher Art veränderten Erbgut auftritt, daß das menschliche Immunsystem keinen Schutz aufgrund früherer Infektionen bietet. "Seit 36 Jahren hat es keine Pandemie mehr gegeben, so daß wir wahrscheinlich kurz vor einer neuen stehen", meint Stöhr. Eine Influenza-Pandemie würde überall auf der Welt auftreten. Zudem wird das Eingrenzen einer Seuche in Zeiten des Massenflugverkehrs praktisch unmöglich sein, wie jüngst auch ein international viel beachtetes mathematisches Modell deutscher Forscher gezeigt hat.
Am stärksten von der neuen Seuche betroffen werden vermutlich zunächst Thailand, Vietnam und China sein. An der Infektion mit der Vogel-Grippe-Variante, dem Virus H5N1, sind in Thailand und Vietnam bislang 32 Menschen gestorben. Mehrere Millionen Hühner und andere Vögel wurden getötet, um eine Ausbreitung des Virus zu verhindern. Bislang wurde die Vogelgrippe nur durch infiziertes Geflügel an Menschen übertragen. ExpertInnen befürchten aber, daß der Virus mutieren und auch andere Tiere befallen wird. Auf diese Weise kann ein Virus entstehen, der dann auch durch Ansteckung von Mensch zu Mensch übertragbar ist. Die besondere Gefahr liegt darin, daß Grippe-Viren potentiell zu den leicht übertragbaren Viren zählen.
Im 20. Jahrhundert traten drei Pandemien auf. Die folgenschwerste war die Spanische Grippe, die zwischen 1918 und 1919 nahezu 50 Millionen Menschen tötete. Etwa die Hälfte von ihnen waren junge, gesunde Erwachsene. Die Asiatische Grippe von 1957 forderte weltweit rund 700.000 Todesopfer. 1968 folgte die Hongkong-Grippe, der Schätzungen zufolge etwa eine Millionen Menschen zum Opfer fielen.
WHO-Experte Stöhr warnt davor, daß die Risiken der Vogelgrippe in der Öffentlichkeit bislang dramatisch unterschätzt werden. Zu Jahresbeginn war die Krankheit in zehn Ländern im Osten und Südosten Asiens ausgebrochen. Im Sommer kam es zu einer zweiten Vogelgrippewelle.1
Die EU teilte am Donnerstag in Bangkok mit, sie plane trotz der thailändischen Probleme mit der Vogelgrippe kein Importverbot für Tiefkühl- oder Dosenhühnerfleisch. Der Erreger werde im Verarbeitungsprozeß getötet. Die EU hat hingegen die Einfuhr von unverarbeitetem Hühnerfleisch aus Thailand seit März gestoppt.
In Bangkok treffen sich derzeit etwa 100 GesundheitsexpertInnen aus zehn südostasiatischen Ländern sowie China, Japan und Südkorea. Ziel der Konferenz ist es, Strategien gegen Grippe und andere ansteckende Krankheiten zu entwickeln. Daß die einfachste Lösung gewählt wird, ist freilich nicht in Sicht: Die Impfung des Geflügels. Die entsprechenden Impfstoffe wären verfügbar. Doch eine flächendeckende Impf-Aktion wäre wegen der Kosten nur bei einer länderübergreifenden Gesetzgebung durchzusetzen. Und solange die Lebensmittel-Industrie die einzelnen Regierungen gegeneinander ausspielen kann, gilt das Risiko von mehreren Millionen Toten - toten Menschen wohlgemerkt - als "unvermeidlich".
Petra Willaredt
Anmerkungen
1 Siehe hierzu auch unsere Artikel
'Vogelgrippe ist zurück' (8.07.04)
'Vogelgrippe - Gefährlicher als BSE?' (8.02.04)
'Hühner - Opfertiere auf dem Altar des Kapitalismus'
Die gegenwärtige Geflügelpest-Epidemie zeigt die Folgen
der heutigen Lebensmittelindustrie (21.05.03)