Sicherheitsbehörden kritisieren elektronisches
Steuerungs-System
Staatliche Sicherheits-ExpertInnen haben am gestrigen Montag in einem Schreiben das elektronische Steuerungs-System der Atomkraftwerke vom Typ EPR scharf kritisiert. Bislang sind in Europa erst zwei EPR-Atomkraftwerke im Bau: in Flamanville an der französischen Küste des Ärmelkanals und in Olkiluoto in Finnland. Die Kritik am Sicherheits-Konzept bedeutet einen schweren Rückschlag für den französischen Konzern Areva NP und für die Hoffnungen der Atomwirtschaft auf eine "Renaissance der Kernenergie".
In dem Schreiben fordern die Sicherheits-ExpertInnen, das Sicherheits-Konzept an entscheidender Stelle zu überarbeiten. Dies kann von Areva NP kaum beiseite gewischt werden - wie ansonsten bei Kritik aus den Reihen von Anti-AKW-Bewegung und Umwelt-Organisationen üblich - , denn das Schreiben stammt von den für die Atomsicherheit zuständigen Behörden Frankreichs, Großbritanniens und Finnlands und wurde vor der Veröffentlichung gegenseitig abgeglichen.
Die Kritik kommt für den französischen Konzern Areva NP zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Erstens ist er mit dem Bau in Finnland dreieinhalb Jahre in Verzug, und die Kosten sind von veranschlagten 3,2 auf mittlerweile offiziell 4,7 Milliarden Euro gestiegen. Und zweitens muß Areva seinen ehemaligen Partner Siemens auszahlen. Beide haben in dem gemeinsamen Tochterunternehmen Areva NP den EPR entwickelt. Anfang dieses Jahres hatte sich Siemens aus dem Co-Projekt verabschiedet.
Die Sicherheitsbehörden kritisieren in ihrem gemeinsamen Schreiben, daß die Systeme der Steuerung und Sicherheit beim EPR "einen sehr hohen Grad komplexer wechselseitiger Verknüpfung" aufwiesen. Die Systeme sollen den "Normal"-Betrieb und die Abschaltung im Notfall steuern. Die Sicherheitsbehörden fordern den Hersteller auf, "Verbesserungen am ursprünglichen Design" vorzunehmen. Es müsse gewährleistet sein, daß die Systeme unabhängig voneinander arbeiten können und die Wahrscheinlichkeit eines gleichzeitigen Ausfalls beider Systeme minimiert werde.
Das Schreiben ist ein vorläufiger Höhepunkt in der massiven Kritik an Areva. In Finnland streiten sich Areva NP und der Auftraggeber des finnischen EPR-Baus in Olikiluoto, der Energie-Konzern TVO, vor Gericht wegen der explodierenden Kosten. Britische Sachverständige hatten schon im April die Sicherheitstechnik des EPR kritisiert.
Die Kritik trifft das Konzept des EPR im Kern. Areva NP preist dieses im Internet unter anderem mit den Worten an: "Die wesentlichen Sicherheitssysteme und zugehörigen Hilfssystemen sind vierfach redundant ausgeführt." Jeder Strang des Systems könne "die zugeordnete Schutzfunktion komplett und alleine ausführen." Das hilft jedoch nicht, wenn Steuerung und Sicherheit miteinander verknüpft sind. "Unabhängigkeit der Systeme ist wichtig, denn wenn ein Sicherheits-System vor dem Versagen eines Steuerungs-Systems schützen soll, dann sollten die beiden nicht gemeinsam ausfallen können", heißt es in dem Schreiben der ExpertInnen. Areva habe Änderungen zugesagt. Der französische Energie-Konzern EdF zeigt sich jedoch unbeeindruckt: Am Fahrplan für den Bau des EPR in Flamanville ändere die Kritik "derzeit" nichts.
In Frankreich sind zurzeit 18 von 58 Reaktoren an insgesamt 19 AKW-Standorten wegen Pannen oder Wartungs-Arbeiten abgeschaltet. Das Land werde im Winter "massiv" Strom importieren müssen, meldet die französische Tageszeitung 'Le Monde'. Dies ist eine realistische Prognose, da in Frankreich parallel zum Aufbau des AKW-"Parks" ab Mitte der 1970er-Jahre massiv der Einbau von energetisch unsinnigen Elektro-Heizungen in Eigenheimen gefördert wurde.
Trotz nachgewiesener Sicherheitsmängel der französischen Atomkraftwerke - insbesondere der ältesten wie dem AKW Fessenheim und dem AKW Tricastin - drängt der französische Energie-Konzern EdF auf längere Laufzeiten. Derzeit findet im AKW Fessenheim eine Zehnjahres-Inspektion statt. Bei einem postiven Ergebnis, das laut EdF außer Frage steht, soll die Betriebsgenehmigung von 30 auf 40 Jahre verlängert werden. Im Haushalt der EdF werde schon seit 2003 eine 40-jährige Betriebsdauer der 34 französischen Druckwasserreaktoren mit einer Leistung von jeweils 900 Megawatt zugrunde gelegt, sagt der Sprecher der französischen Anti-Atominitiative 'Reseau Sortir du Nucléaire', Stéphane Lhomme.
REGENBOGEN NACHRICHTEN
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel
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