2.05.2005

Erklärung

Bedankt, geachte vrienden!

Zweiter Sieg für Demokratie in Europa
Ein Impuls und ein Gefahren-Moment

Nach den FranzösInnen lehnten nun auch die HolländerInnen den vorgelegten Entwurf einer EU-Verfassung ab, die Europa den großen Konzernen nahezu völlig ausgeliefert hätte. Beim gestrigen Referendum stimmten 61,7 Prozent mit 'Nee'.

Die politischen AgentInnen des europäischen Kapitals haben auch nach dieser zweiten Niederlage noch nicht realisiert, daß sie die "politische Stimmung" in Frankreich und Holland - und auch in etlichen weiteren europäischen Ländern - auf groteske Weise falsch eingeschätzt und sich zugleich allzu überheblich auf die vermeintliche Allmacht ihrer PR-Maschine1 verlassen hatten. Nach dem bisher geleugneten "Plan B" wollen sie das Verfahren bis zum süßen/bitteren Ende durchziehen und dann den Nein-SagerInnen nochmals "eine Chance geben".

Präsidenten von drei EU-Institutionen forderten noch am Mittwoch abend, das Ratifizierungs-Verfahren fortzusetzen, obwohl es bereits mit dem 'Non' aus Frankreich gescheitert ist: "Wir sind davon überzeugt, daß alle Mitgliedsländer sich zu dem Verfassungsvorschlag äußern müssen", erklärten unisono Rats-Präsident Juncker, Kommissions- Präsident Barroso und EU-Parlaments-Präsident Borrell. EU-Kommissar Verheugen (SPD) bezeichnete die Niederlagen in Frankreich und Holland als "Unfall", den es alsbald zu korrigieren gelte. Und auch der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder erklärte umgehend: "Der Ratifikationsprozeß in den Mitgliedstaaten muß weitergehen." Der bereits leicht verkalkte Co-Autor des EU-Verfassungs-Entwurfs, der inzwischen als baden-württembergische Ministerpräsident abgelöste Erwin Teufel verplapperte sich bereits in einem Interview: "Man sollte den Prozeß weiterführen. Weil es aber Europa ohne Frankreich nicht geben kann, muß man dem französischen Volk in gebührendem Abstand, unter innenpolitisch möglicherweise völlig anderen Verhältnissen, die Chance geben, doch noch zuzustimmen." Und auch aus der Bertelsmann-Stiftung, die als einer der zentralen Transmissions- Riemen zwischen Konzernen und Politik anzusehen ist, kamen bereits deutliche Signale, daß das Ziel trotz der Niederlagen nicht aufgegeben werde.

Zugleich jedoch kommt innerhalb der europäischen Linken eine fatale Diskussion auf. In einer verkürzten Fixierung auf eine "konstruktive" Opposition wird nun verschiedentlich darauf orientiert, einen "linken Verfassungs-Entwurf" dem von oben dargebotenen entgegen zu halten.

Der Weg zur Hölle ist mit gut gemeinten Entwürfen gepflastert

Ein solcher "linker Verfassungs-Entwurf" birgt eine große Gefahr:

1. Bereits jetzt deutet Vieles darauf hin, daß ein solcher Entwurf "realpolitisch" auf eine Stärkung des Europa-Parlaments orientieren soll. Dies ist illusionär, da die heutigen realen Kräfte-Verhältnisse ganz andere sind als in der Zeit des Umbruchs vom Feudalismus zum Kapitalismus, als sich der Parlamentarismus auf das aufsteigende Bürgertum stützen und so eine Form von Semi-Demokratie entwickeln konnte. Die Linke hat zwar mit Hilfe einer Fehleinschätzung der EU-Bürokratie und - zentral - der deutschen und der französischen Regierung eine lange vermißte Dynamik entfalten können. Die beiden Siege in Frankreich und in Holland dürfen allerdings nicht zu der Illusion verleiten, diese seien einer linken Mehrheit zu verdanken. Auch wenn der Begriff "Koalition" falsch ist: Die Ergebnisse in Frankreich und in Holland beruhen nicht allein auf linken, sondern zugleich auf konservativ bis reaktionär-faschistoiden rechten Kräften.

2. Als Linke müssen wir uns im klaren sein, daß immer zuerst die Umwandlung der gesellschaftlichen Verhältnisse und erst danach deren (möglichst flexible) Fassung in vertragliche Formen, eine "Verfassung", möglich ist. Und die gesellschaftliche Umwandlung kann nur auf der Grundlage der ökonomischen Umwandlung vonstatten gehen. Die Aufgabe, vor der die Linke steht, ist also viel schwieriger. Um eine Mehrheit für eine linke Politik in Europa gewinnen zu können, muß sie zunächst eine überzeugende Perspektive entwickeln. Und der Dreh- und Angelpunkt jeder linken Politik ist immer noch das Problem, wie eine Vergesellschaftung der Produktionsmittel realisiert werden kann. Der neo-sozialdemokratische Teil der europäischen Linken (in Deutschland repräsentiert durch die WASG) bietet hierfür überhaupt keine Lösung, da er ein Zurück in die Zeit der 60er Jahre auf der ökonomischen Grundlage einer Nachfrage-orientierten Haushaltspolitik auf seine Fahnen geschrieben hat. Ein anderer Teil hat sich immer noch nicht von dem in seiner Realitätsferne geradezu religiösen Dogma befreien können, mit der Verstaatlichung der Produktionsmittel in den ehemaligen Diktaturen des Ostblocks sei damals die Vergesellschaftung der Produktionsmittel verwirklicht worden. Sie will geradewegs zurück in die Zeit von Chruschtschow, Stalin, Trotzki oder Lenin.

3. Es ist absehbar, daß sich weit über die Linke hinaus ein Bündnis bis weit ins bürgerliche Lager formieren ließe, um einen solchen Verfassungs-Entwurf mit sozialen Komponenten, einem gegenüber dem vorliegenden Entwurf erweiterten Grundrechte-Katalog und einem mit Kompetenzen ausgestatteten EU-Parlament in der öffentlichen Debatte Gehör zu verschaffen. Wenn die Mainstream-Medien darauf anspringen, dann wird dies jedoch ausschließlich darauf zurückzuführen sein, daß dies eine neue Perspektive für die Durchsetzung einer europäischen Verfassung bietet. Wie schon so oft in der Geschichte würden dann linke Ratgeber einer Herrschaft, die sich hoffnungslos in der Sackgasse verrannt hat, einen Ausweg weisen. Das Ende vom Lied wäre, daß ein mehr oder weniger um linke Forderungen angereicherter Verfassungs-Entwurf erneut auf die Reise durch die 25 europäischen Staaten zu Referenden oder parlamentarischen Abstimmungen gehen kann. Die Linke wird gespalten, die Verfassung angenommen und Europa kann - Verfassungsbestimmungen hin oder her - zur Weltmacht ausgebaut werden. Es sollte sich niemand der Illusion hingeben, der Aufstieg zur Weltmacht könne dann ein ausschließlich ziviler oder "rein ökonomischer" sein. Die weitere Aufrüstung Europas ist die notwendige und unvermeidliche Folge und der Marsch in den dritten Weltkrieg damit angelegt. Selbst ein Europa-Parlament, das im optimalen Falle mit einer Gesetzgebungs-Kompetenz ausgestattet würde, die mit nationalen Parlamenten früheren Zeiten vergleichbar wäre, steht einer solchen Entwicklung nicht etwa im Wege, sondern wird sie letztlich legitimierend begleiten. Die bisherige politische Geschichte der nationalen Parlamente Europas nach dem Zweiten Weltkrieg ist hierfür ein klarer Beweis.

Fazit:
Wenn sich ein Teil der europäischen Linken mit der Diskussion um einen "alternativen Verfassungs-Entwurf" befaßt, bedeutet dies nicht allein einen unnötigen Verschleiß von Kräften und eine Steilvorlage für neoliberalen europäischen Parteien jeglicher Couleur, um ihnen aus einer Sackgasse heraus zu helfen, sondern lenkt zudem von der Hauptaufgabe ab. Der von dem Sieg in Frankreich und in Holland ausgehende Impuls muß genutzt werden, um in der europäischen Linken eine dauerhafte Eigendynamik zu entwickeln.

Die nationalen europäischen Parlamente sind nicht nur finanziell, sondern auch moralisch bankrott. Die - außer bei den beiden Referenden am Sonntag in Frankreich und am Mittwoch in Holland - von Jahr zu Jahr sinkenden Wahlbeteiligungen zeigen, daß sich immer weniger Menschen in Europa von einem "C" im Parteinamen, einer roten oder grünen Tünche zum Narren halten lassen. Sie erkennen in zunehmendem Maße die herrschenden Parteien als Parteien des Neo-Liberalismus. Unter "Neo-Liberalismus" verstehen wir nichts anderes als die heute herrschende Form des Kapitalismus, der sich mehr und mehr von allen Einschränkungen befreit, die ihm von einer zeitweise starken proletarischen Bewegung im Verlauf der letzten 140 Jahre abgerungen werden konnten.

Die Nationalstaaten Europas bröckeln, weil ihnen das Fundament ihrer jeweils auf einen nationalen Rahmen beschränkten Ökonomie abhanden kommt. In dieser Krise versuchen Konzerne, die sich im wesentlichen auf Europa - sei dies im Hinblick auf den Markt oder die Produktionsstätten - stützen, und die zugleich in Konkurrenz stehen zu US-Konzernen, chinesischen oder anderen Konzernen, die ihre Basis in den Ländern jener Weltmächte haben, die EU zu einer Weltmacht-Rolle zu verhelfen, die für sie die Aufgabe des politischen Überbaus übernehmen kann. Zugleich verfolgen die anderen Weltmächte die Doppelstrategie, Europa schwach zu halten oder sich einzuverleiben.

Das größte Übel - noch vor der Herrschaft des Kapitalismus - ist der Krieg. Gegenüber einem dritten Weltkrieg wäre selbst eine Weltherrschaft der USA und eine globale "Pax americana" vorzuziehen. Doch der internationale Kapitalismus ist in der Krise. Die rasante Entwicklung der Produktivkräfte sprengt den Rahmen der Nationalstaaten. Diese Krise ist nur vergleichbar mit der Krise beim Übergang vom Mittelalter zur "Moderne", dem Zusammenbruch der Fürstentümer und der Kleinstaaterei und der Bildung der Nationalstaaten. Die gegenwärtige Schwäche der nationalstaatlichen Herrschaft in Europa bietet die Chance, ins Rad der Geschichte einzugreifen und diese - zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte - bewußt zu gestalten, statt sich ihr passiv auszuliefern.

 

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Anmerkung

1 Siehe auch unseren Beitrag

      Medien-Propaganda pro EU-Verfassung (21.05.05)

Weitere Beiträge zum Thema EU-Verfassung in chronologischer Reigenfolge:

      Merci, chers amis!
      Ein großer Sieg für die europäische Demokratie (30.05.05)

      Medien-Propaganda pro EU-Verfassung (21.05.05)

      Nein zur EU-Verfassung!
      Aufruf zur Demo am 19. März in Brüssel (16.03.05)

      Nein zur EU-Verfassung!
      Erklärung des 3. Friedenspolitischen Kongresses in
      (5.09.04)

      Atomenergie, Atomwaffen und Militarisierung besiegelt (19.06.04)

      EURATOM und EU-Verfassung (11.06.04)

      Neue Atommacht EU? (24.04.04)

      EU-Verfassung vorerst gescheitert (19.12.03)

      Zur Ausrufung einer europäischen Verfassung (14.06.03)

 

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