30.09.2004

Tag des Flüchtlings 2004:
Europa macht dicht!

"Europa macht dicht!" Unter diesem Motto steht der diesjährige Tag des Flüchtlings, der im Rahmen der von den Kirchen veranstalteten Interkulturellen Woche bundesweit am 1. Oktober stattfinden wird. Die Menschenrechtsorganisation 'Pro Asyl' prangert vor allen anderen europäischen Staaten Deutschland an, das "eine Vorreiterrolle" bei der Abschreckung von Flüchtlingen einnehme. Bundesinnenminister Schily stehe für einen rigiden Umgang mit Flüchtlingen im Inland und für den aktuellen Versuch, die EU durch die Auslagerung des Flüchtlings- schutzes weitgehend flüchtlingsfrei zu machen, so 'Pro Asyl'. "Schily begeht mit seinen aktuellen Vorschlägen zur Auslagerung des Asylverfahrens in nordafrikanische Staaten einen flüchtlingspolitischen Tabubruch, der im humanitären Gewande daherkommt: Statt der Genfer Flüchtlingskonvention will er das St.-Florians-Prinzip", erklärt Günter Burkhardt von 'Pro Asyl'.

Auffanglager in Nordafrika

Für seine Pläne eines ausgelagerten Asylsystems und eines flüchtlingsfreien Europas wirbt Schily seit diesem Sommer intensiv. Setzten er und gleichgesinnte Amtskollegen sich durch, so wird über die Abschaffung des Asylrechts1 1993 in Deutschland europaweit nun zudem die Genfer Flüchtlings-Konvention ausgehebelt. 'Pro Asyl' fürchtet, daß dann die Übernahme einiger weniger handverlesener Flüchtlinge in EU-Staaten die Ausnahme, ihre Dauerunterbringung in Lagern in Nordafrika jedoch die Regel werden könnte. In der Folge drohe ein weltweiter Zusammenbruch des Flüchtlingsschutzes, wenn sich die Staaten Europas immer mehr abschotten und zugleich andere Staaten in die Pflicht zu nehmen versuchen.

Bereits heute leben über 80 Prozent aller Flüchtlinge weltweit in den sogenannten Entwicklungsländern und somit in der unmittelbaren Nähe ihrer Herkunftsregion - meist unter katastrophalen Bedingungen. Die reichen Industriestatten haben in den letzten Jahrzehnten auf Kosten der armen Länder und auf der Grundlage skrupelloser Ausbeutung von Rohstoffen den Abstand immer mehr vergrößert. 25 der Weltbevölkerung sind heute 70 mal reicher sind als die ärmsten 25 Prozent. Das durch Ausbeutung und Waffenexporte angerichtete Elend soll nun vollends mit Hilfe der Abschottungs-Politik auf andere Staaten abgewälzt werden. Libyen, das sich durch die Auslieferung libyscher Staatsbürger an ein offensichtlich politisch vorbestimmtes Lockerbie-Tribunal und Dank seiner sprudelnden Ölquellen aus der Rolle des Terroristenstaates1 freikaufen konnte, soll nun in Bälde die Rolle des Büttels für Europa übernehmen.

Schein-Verfahren am Fließband

Während Außenminister Joseph Fischer medienwirksam die weltweite Achtung der Menschenrechte einfordert und BWZ-Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul entwicklungspolitische Konzeptionen "mit langem Atem" und bekannter Wirkungslosigkeit propagiert, setzt Innenminister Schily alles daran, daß die Opfern von Menschenrechtsverletzungen und Krieg immer geringere Chancen haben, den nötigen Schutz in Europa zu erhalten. Die Zahl der Asylneuantragssteller3 wird in diesem Jahr einen weiteren historischen Tiefstand erreichen. Von Januar bis August 2004 stellten 24.501 Menschen einen ersten Asylantrag in Deutschland, so daß die entsprechende Zahl am Jahresende weit unter der von 2003 (50.563) bleiben wird. Von Januar bis August 2004 wurden 30.238 Entscheidungen getroffen. Gerade einmal 733 Menschen - das entspricht 2,42 Prozent4 - wurde das Asyl im Sinne des Rest-Asyl- Artikels 16 a GG, weiteren 823 - das entspricht 2,72 Prozent4 - der Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention zuerkannt.

"Rot-Grün" betreibt in der Person Otto Schilys - trotz allen Menschenrechtsgeklingels - nicht nur eine Politik der europäischen Abschottung gegen Flüchtlinge, sondern mit der Entscheidungspraxis des ihm unterstellten Bundesamtes zudem eine Politik des verweigerten Flüchtlingsschutzes. Deutlich wird diese restriktive Linie auch an der Vielzahl von Widerrufsverfahren (ca. 9.600 Verfahren bei 9.900 geprüften Fällen im Jahre 2003), mit denen Menschen überzogen werden, die einen Flüchtlingsstatus erhalten haben. In vielen Fällen liegen die Voraussetzungen für den Widerruf nach internationalem Rechtsverständnis nicht vor. Eine sorgfältige Einzelfallprüfung scheint auch nicht Ziel dieser Verfahrens-Praxis. Vielmehr geht es laut 'Pro Asyl' um "Beschäftigungstherapie für Bundesamtsentscheider" und um "die Verhinderung jedweder Verfestigung des Aufenthaltsstatus von Flüchtlingen".

Inhumane Abschiebepraxis

In den letzten Wochen und Monaten stellt 'Pro Asyl' eine immer rigider werdende Abschiebungspolitik fest. Auch Menschen, die eine Chance auf Aufenthaltsverfestigung nach dem Zuwanderungsgesetz hätten oder auf eine positive Lösung ihres Schicksals im Rahmen der Härtefallregelung hoffen könnten, werden abgeschoben. Daß auch jetzt noch Menschen abgeschoben werden, die zuvor über viele Jahre hinweg geduldet wurden und längst integriert sind, bezeichnet 'Pro Asyl' als ein "Akt der Inhumanität". Eine Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete sei deshalb die notwendige Ergänzung zum Zuwanderungsgesetz - ein wirklicher "Schlußstrich unter die Jahre der verfehlten Politik der Dauerduldungen".

Politik aus Versehen?

Die "rot-grüne" Koalition hat vor kurzem ein Gesetzgebungsverfahren eingeleitet, mit dem Hartz IV und Zuwanderungsgesetz harmonisiert werden sollen. Das koalitionsintern als "Zuwanderungs- reparaturgesetz" bezeichnete Projekt wäre laut 'Pro Asyl' auch der geeignete Anlaß, dem Nachbesserungsbedarf im humanitären Bereich durch eine Bleiberechtsregelung Rechnung zu tragen. Die Hoffnung der Menschenrechtsorganisation auf Verbesserungen in diesem Bereich setzt allerdings den Glauben voraus, daß die bisherige Richtung der "rot-grünen" Politik in den letzten sechs Jahren nur versehentlich verfolgt wurde.

 

Klaus Schramm

 

Anmerkungen:

1 Siehe auch
    Europa hat eine Verantwortung
    Rede von Günter Grass vor dem Europarat (11.10.2000)

2 Siehe auch unsere Artikel
    Libyen vergrößert Abstand zu USA (16.01.04)
und
    Die Wandlungen des Obersten Gaddafi
    - Libyen will respektabel werden (27.12.03)

3 Siehe auch unseren Artikel
    Sind Sie darauf stolz, Herr Schily? (13.01.03)

4 Quoten ohne Berücksichtigung sogenannter "formeller"
    Entscheidungen

 

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