Schulleiter spricht sich für Berufsverbotsopfer aus
Das Bundesland Hessen schloß sich im September 2005 der von
Baden-Württemberg initiierten Wiederbelebung der Berufsverbote an und
verweigert einem Heidelberger Realschullehrer aus politischen Gründen
eine bereits zugesagte Stelle in Hessen.
Michael Csaszkóczy hatte sich auf die Ausschreibung einer Stelle an der
Martin-Buber-Schule in Heppenheim beworben und war als qualifiziertester
Bewerber ausgewählt worden. Eine schriftliche Einstellungszusage des
zuständigen Staatlichen Schulamtes hatte er bereits in der Tasche.
Wenige Minuten vor der ersten Lehrerkonferenz erhielt der Schulleiter
jedoch einen Anruf vom Schulamt und wurde angewiesen, Csaszkóczys
Arbeitsvertrag nicht zu unterschreiben. Trotz Protesten von Seiten des
Schulleiters und des zuständigen Personalrats beharrte das Schulamt auf
seiner Position und berief sich auf eine kurzfristige Intervention des
Innenministeriums in Wiesbaden.
Ulrike Noll* sprach mit dem Schulleiter Peter Kühn über den
Berufsverbotsfall an seiner Schule.
NOLL: Wie ist der Stand des Verfahrens in Hessen beziehungsweise an Ihrer Schule?
KÜHN: Fragen Sie mich etwas Leichteres. Ich kenne keinerlei Stand der
Dinge. Die Schule erhielt nach dem Telefonanruf an dem Konferenztag in
den Ferien, in dem die Aushändigung des Vertrages untersagt wurde, und
dem anschließend von mir zusammen mit dem Personalrat gesuchten Gespräch
im Schulamt keinerlei Informationen zum laufenden Verfahren. Es gab
lediglich zwei Telefongespräche, die vom Kultusministerium veranlaßt
wurden und in denen meine Schulaufsichtsbeamtin nachfragen sollte,
inwieweit ich über die Vorgeschichte von Herrn Csaszkóczy Bescheid
gewußt habe. Ich habe mitgeteilt, daß mir das Berufsverbot in
Baden-Württemberg bekannt gewesen sei (schließlich hatte ich als
Delegierter des GEW-Gewerkschaftstages in Erfurt entsprechend
abgestimmt). Auf die Frage, ob ich das Ausmaß der Situation vorher
richtig erkannt hätte, antwortete ich, daß ich mit solchen Folgen
natürlich nicht gerechnet habe, da eine Regelanfrage ja wohl abgeschafft
sei. Ich erhielt dann vom Schulamt die Protokolle der Landtagsanfrage in
Baden-Württemberg zugesandt. Natürlich halte ich die darin geschilderten
"Tatsachen" für teilweise nicht amüsant und politisch habe ich mit der
ein oder anderen dort geäußerten Auffassung nun wahrlich nichts am Hut.
Aber was bitte hat davon Herr Csaszkóczy geäußert oder zu verantworten?
NOLL: Wie lauten die offiziellen Begründungen für die Nichteinstellung
Michael Csaszkóczys in den Schuldienst? Wie bewerten Sie diese?
KÜHN: Eine offizielle Begründung kenne ich nicht. Die Nichteinstellung
erfolgte auf telefonische Weisung und ich hatte ihr nachzukommen. Die
Frage ist selbstverständlich, ob dem Staatlichen Schulamt inzwischen
schriftliche Begründungen vorliegen. Das Landtagsprotokoll mit der
Anfrage der SPD und den Antworten von Frau Schavan dürfte hier natürlich
nicht ausreichend sein. Ich gehe aber davon aus, daß Herr Csaszkóczys
Anwalt genau diese eingefordert hat und wahrscheinlich auch erhalten
hat.....
NOLL: Gibt es eine Stellungnahme vom Personalrat?
KÜHN: Der Schulpersonalrat und der Gesamtpersonalrat der Lehrerinnen und
Lehrer für den Kreis Bergstraße und den Odenwaldkreis haben einstimmig
die Einstellung von Herrn Csaszkóczy gefordert.
NOLL: Wie ist das Berufsverbot vom Kollegium der Martin-Buber-Schule
aufgenommen worden?
KÜHN: Da dies zehn Minuten vor der Konferenz verkündet wurde, führte das
schon zu einem Erschrecken. Viele Kollegen haben sich solidarisiert,
einige auch die 1000-Unterschriften-Aktion unterschrieben. Sicher gibt
es auch vorsichtige Kolleginnen und Kollegen, die sich sagen, "Na irgendwas muß
doch dran sein" und auch das ist ihnen zunächst nicht zu verdenken. Für
die jüngeren Lehrkräfte, die die große Zeit der Gesinnungsschnüffelei in
den 70ern und 80ern nicht kennen, war das ja eine vollkommen
unbekannte Erfahrung.
NOLL: Welche Konsequenzen hat das Berufsverbot für Ihre Schule?
KÜHN: Zunächst ist die Konsequenz, daß eine zugesagte Planstelle nicht
besetzt wurde und (vorübergehend?) weggefallen ist. Wir haben relativ
zügig eine Vertretungskraft zur Abdeckung des Unterrichts erhalten. Für
die Schulleitung, insbesondere unsere Konrektorin, bedeutete dies einen
riesengroßen Stress. Es mußte innerhalb von zwei Wochen der dritte
Stundenplan gemacht werden. Wir hatten schon kurz zuvor die Situation,
daß eine Kollegin mit einem Vertretungsvertrag (ohne echten
Vertretungsgrund, das heißt zur Abdeckung des Unterrichts) eine Planstelle in
Baden-Württemberg angetreten und bei uns abgesagt hat, was ich ihr
überhaupt nicht verdenken kann. Bei allen Dingen, die sonst noch zu
Schuljahresbeginn anfallen, war es eine große Belastung. Ich möchte an
dieser Stelle klar zum Ausdruck bringen: Herr Csaszkóczy hat ein
einwandfreies Führungszeugnis. Er hat sehr gute Beurteilungen aus seinem
Referendariat und auch von anderen Arbeitgebern vorgelegt. Herr
Csaszkóczy wäre auch bei uns nicht gleich Lebenszeit-Beamter geworden,
sondern hätte sich die üblichen eineinhalb bis zwei Jahre im
Beamtenverhältnis auf Probe bewähren müssen. Als Lehrkraft ist man
sozusagen immer unter Beobachtung der Schülerinnen und Schüler, der Eltern, des
Kollegiums und auch der Schulleitung. Und ich bringe klar zum Ausdruck,
daß bei uns keinerlei Indoktrination geduldet würde, weil unser
Schulkonzept der philosophischen Gedankenwelt Martin Bubers verpflichtet
ist und der Dialog bei uns ganz oben steht. Ich bin persönlich aber
überzeugt, daß Herr Csaszkóczy gar nicht den Versuch von Indoktrination
und Manipulation gemacht hätte. Dieser Fall entlarvt aber auch die
Rhetorik der von der Landesregierung propagierten "Selbständigen
Schule", denn mit Autonomie oder Teilautonomie hat die Weisung, den im Verfahren
besten Bewerber nicht einzustellen, nichts zu tun.
NOLL: Wie erleben Sie den Umgang des Ministeriums, der Schulbehörde mit
Ihrer Schule?
KÜHN: Aus systemischer Sicht habe ich dem Schulamt sicher Ärger und
Mühen verursacht. Daß dies nicht mein Ziel war, wissen sicher auch die
Schulamtsdirektorinnen und -direktoren, mit denen ich in vertrauensvoller Weise immer
zusammengearbeitet habe. Mit dem möglicherweise entstandenen Mißtrauen
mir oder der Schule gegenüber muß und kann ich auch leben. Die
Presseberichterstattung über den Fall Csaszkóczy, der möglicherweise
eher ein Fall Rechtsstaatlichkeit ist, war überwiegend fair, aber nicht
immer und überall. Dies wird dem guten Ruf unserer Schule vielleicht bei
dem einen oder der anderen abträglich gewesen sein. Trotz dieser
Gesichtspunkte halte ich die Verteidigung demokratischer Rechte für das
höherrangige Gut.
NOLL: Sie haben selbst die Ära der Berufsverbote erlebt. Wo sehen Sie
Unterschiede, wo Gemeinsamkeiten zu dem Fall des Kollegen Michael
Csaszkóczy?
KÜHN: Ja, ich habe diese Zeit erlebt und mich damals als Liedermacher
nachhaltig dagegen engagiert, gleich ob es sich um die Mitgliedschaft in
DKP oder KBW gehandelt hat oder jemand Anhörungsgespräche über sich
ergehen lassen mußte, weil sein Auto vor dem falschen Versammlungsort
geparkt war. Ich bin sehr überzeugt, daß die damalige Hysterie in
Zeiten des kalten Krieges bewußt befördert wurde, um Menschen vom
politischen Engagement abzuhalten und sie politisch einzuschüchtern.
Bemerkenswert ist doch, daß Berufsverbote in dieser Form in anderen
Ländern Europas unbekannt waren und sind, ohne daß aus diesen Staaten
"Schurkenstaaten" geworden sind. Für sehr bedenklich halte ich es, wenn
Menschen in ihrem antifaschistischen Engagement, das sie im Rahmen
unserer grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit zeigen, behindert
werden und Nachteile erleiden müssen.
*Ulrike Noll
Örtlicher Personalrat Rhein-Neckar-Kreis
GEW-Kreisvorsitzende
Peter Kühn
Schulleiter der Martin-Buber-Schule Heppenheim
GEW Landesvorstand Hessen
Anmerkungen
Siehe auch unsere Beiträge
"Rot-Grün" für Berufsverbot?
Bundesregierung übernimmt Argumentation von
Kultusministerin Schavan (18.05.05)
Hamburger Solidarität für ba-wü Berufsverbots-Opfer (25.11.04)
Interview mit dem Heidelberger Berufsverbots-Opfer
Michael Csaszkóczy (4.11.04)
Protest gegen das Berufsverbot für Michael Csaszkóczy (3.08.04)
Berufsverbotsverfahren gegen Realschullehrer in Heidelberg
(11.02.04)
Berufsverbote
- Auch 32 Jahre nach dem Radikalenerlaß keine Entschädigung
für Opfer (28.01.04)
Weiter Informationen zum Berufsverbot gegen Michael
Csaszkóczy finden sich unter der Internetadresse:
www.gegen-berufsverbote.de