Um die finanzielle Bilanz einer Energie-Wende mit sofortigem Atom-Ausstieg abzuschätzen, gilt es auf der einen Seite die Kosten für einen schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien als Minus mit den Einsparungen an Subventionen für die Atomenergie als Plus zu verrechnen. Nach einer Mitte 2011 veröffentlichten brutalstmöglichen Schätzung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) soll ein "übereilter" Umbau der Energieversorgung bis zum Jahr 2020 insgesamt umgerechnet 40 Milliarden Euro kosten.
Auf der Plus-Seite ließen sich hingegen bei einem sofortigen Atom-Ausstieg jährlich Subventionen von rund 9 Milliarden Euro einsparen. Dies ergibt in den sieben Jahren bis 2020 eine Summe von 63 Milliarden Euro - und damit nach Abzug der vom BDI veranschlagten 40 Milliarden Euro unterm Strich ein sattes Plus von 23 Milliarden Euro. Eine Energie-Wende mit sofortigen Atom-Ausstieg würde also für die Volkswirtschaft eine Ersparnis von jährlich mehr als drei Milliarden Euro bedeuten.
Nun wird in den Mainstream-Medien immer wieder in Zweifel gezogen, daß ein sofortiger Atom-Ausstieg überhaupt möglich sei. Hierbei wird jedoch regelmäßig eine wichtige Information unterschlagen. Nach wie vor ist die Gesamtleistung des Kraftwerksparks in Deutschland weit höher als die jemals abgerufene Höchstlast. In Deutschland steht ein Kraftwerkspark mit einer installierten Leistung von insgesamt rund 150 Gigawatt zur Verfügung. Selbst bei Höchstlast wurden in den vergangenen Jahrzehnten nie mehr als 80 Gigawatt Leistung in Anspruch genommen. Die Gesamtleistung der 9 derzeit in Betrieb befindlichen Atom-Reaktoren beträgt lediglich rund 10 Gigawatt. Selbst wenn also konservativ eine Sicherheits-Reserve von 10 Gigawatt Leistung als nötig erachtet würde, könnten sämtliche deutschen Atomkraftwerke ohne Verlust an Versorgungs-Sicherheit sofort stillgelegt werden. Abzüglich der Sicherheits-Reserve stünde dem maximalen Bedarf von 80 Gigawatt immer noch eine Kraftwerks-Leistung von 130 Gigawatt gegenüber. Klar ist jedoch auch, daß sich die "Großen Vier", also E.on, RWE, Vattenfall und EnBW mit allen Mitteln dagegen wehren würden, die eingemotteten Großkraftwerke einzusetzen, die jederzeit in Betrieb genommen werden können. Denn der Import von Strom aus dem Ausland – und sei es aus Atomkraftwerken – ist für sie billiger als die Eigenproduktion mit diesen vorhandenen Kraftwerken. Im Zweifelsfall würden die "Großen Vier" eher einen Blackout im Winter riskieren, so daß sie gesetzlich zur Inbetriebnahme der Kraftwerke gezwungen werden müßten.
Tatsächlich wäre eine Energie-Wende nicht wie vom Bundesverband der Deutschen Industrie als "übereiltes" Szenario dargestellt in neun Jahren, sondern sogar in sieben Jahren bei einer sofortigen Stilllegung der Atomkraftwerke realisierbar. Selbst bei dem gebremsten Wachstum der erneuerbaren Energien, wie es in den vergangenen Jahren wegen der Behinderung durch behördliche Auflagen und wegen der weitaus höheren Subventionierung der Atomenergie zu beobachten war, könnte die Stromversorgung in Deutschland in sieben Jahren zu 100 Prozent auf Ökostrom umgestellt werden. Für rund vier Jahre müßte dabei allerdings ein höherer Einsatz der vorhandenen Kohle- und Gaskraftwerke in Kauf genommen werden.
Entgegen immer wieder in den Mainstream-Medien lancierter Propaganda der Energie-Konzerne stellt eine Vollversorgung des Strombedarfs mit erneuerbaren Energien kein "Flächenproblem" dar. Allein die derzeitige landwirtschaftliche Stilllegungsfläche Deutschlands von rund 2 Millionen Hektar würde ausreichen, um ausschließlich mit Photovoltaik-Anlagen rund 900 TWh pro Jahr - also weit mehr als den derzeitigen Strombedarf von rund 600 TWh pro Jahr - zu decken. Dies sei hier ausdrücklich nur als Information zur Verdeutlichung der Größenverhältnisse vermerkt und nicht als wünschenswerte Perspektive - wünschenswert ist eine Kombination der verschiedenen Formen erneuerbarer Energien.
Bis zum Jahr 2019 könnte bei den bisherigen Ausbauraten mit Windenergie eine Stromproduktion von rund 310 TWh pro Jahr erreicht werden. Mit Biomasse könnten im Jahr 2019 109 TWh und mit Photovoltaik 465 TWh erzielt werden. Die erneuerbaren Energien könnten den Strombedarf im Jahr 2019 also problemlos decken. Würden die bisherigen politischen Hindernisse aus dem Weg geräumt, könnte 100 Prozent Ökostrom sogar in weniger als 7 Jahren erreicht werden.
Bei dieser Hochrechnung ist der Ausbau der Wasserkraft - gerade in Baden-Württemberg liegt ein gewaltiges Potential an Wasserkraft kleiner Flüsse und Bäche bisher brach - noch gar nicht eingerechnet. Ein weiteres gewaltiges Potential ist hierbei ebenso wenig eingerechnet: Die technologischen Möglichkeiten der Effizienzsteigerung und Stromeinsparung. So ist es völlig unsinnig, eine hochwertige Energie wie Strom für die Wärmebereitstellung einzusetzen. Der Betrieb von Elektroherden, Waschmaschinen mit elektrischen Heizstäben oder gar den sogenannten Nachtstromspeicher-Öfen hätte längst verboten werden müssen. Die Umstellungskosten für die Beseitigung dieses technologischen Irrsinns, der allein der Profitsteigerung der Strom-Konzerne diente, müßte von diesen zu 100 Prozent getragen werden. Allein mit der Vermeidung von Standby-Verlusten kann der Stromverbrauch um rund 18 TWh pro Jahr gesenkt werden.
Würden die vorsichtig veranschlagten Finanzmittel von über drei Milliarden Euro pro Jahr, die nach einem sofortigen Atom-Ausstieg frei würden, für eine Anschubfinanzierung von Energie-Effizienz-Technologie im Bereich der industriellen Produktion eingesetzt, könnte innerhalb weniger Jahre der heutige Strombedarf um die Hälfte reduziert werden. Um so schneller wäre somit eine Umstellung auf 100 Prozent Ökostrom möglich.
Bei einem Energie-Szenario für das Jahr 2020 sei hier nur einmal vorsichtig eine Reduzierung des jährlichen Stromverbrauchs in Deutschland um 170 TWh auf 430 TWh angepeilt. Diese 430 TWh können bei sehr vorsichtiger Prognose im Jahr 2020 wie folgt bereitgestellt werden: Windenergie 260 TWh, Photovoltaik 80 TWh, Wasserkraft 50 TWh und Biomasse 40 TWh.
Wie hier aufgezeigt wurde, kann selbst bei den vom BDI veranschlagten Horror-Kosten unterm Strich eine positive Bilanz gezogen werden. Und eigentlich sollten statt der finanziellen Seite die positiven Auswirkungen eines Atom-Ausstiegs im Zentrum stehen: Die Verminderung der tödlichen Bedrohung durch das "Restrisiko", die Vermeidung von Krebs und Leukämie in der Umgebung der Atomkraftwerke, die Reduzierung des unverantwortlichen Uran-Abbaus zu Lasten indigener Völker und vieles andere mehr.
Warum steigt aber in Deutschland der Strompreis, wenn dies überhaupt nichts mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien zu tun hat? Ganz einfach: In Deutschland beherrscht nach wie vor das Oligopol der "Großen Vier" den Strommarkt. Die vier Strom-Konzerne und AKW-Betreiber E.on, RWE, Vattenfall und EnBW konnten in den vergangenen zwanzig Jahren – auch ohne die Energie-Wende als Vorwand zu benutzen – den Strompreis weit mehr erhöhen als in den meisten anderen europäischen Staaten (siehe hierzu unseren Artikel vom 5.11.07).
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Pläne für Solarkraftwerk im südbadischen Hohberg
kommen voran (18.10.12)
Bundesregierung bremst
Energie-Effizienz bei Neubauten (14.09.12)
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BUND: "Energie-Wende erfordert
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mit jährlich 13 Milliarden Euro (4.06.10)
E.on, RWE, EnBW und Vattenfall
treiben die Strompreise hoch
Kartellamt sitzt auf brisanten Ermittlungsdaten (5.11.07)
Die Subventionierung
der Atomenergie
Folge 3 der Info-Serie Atomenergie