Info-Serie Energiewende
Folge 1

Der Ausgangspunkt

In der Diskussion über die herannahende Klimakatastrophe wird gerne und häufig als unabänderliche Gewißheit verkauft: In der Energiepolitik seien nur langsame, graduelle Veränderungen, es sei aber keine Wende möglich.

Wir sollten uns von der PR aus Politik und aus Mainstream-Medien nicht einreden lassen, wir würden uns bereits in die richtige Richtung bewegen. So schreibt beispielsweise Hermann Scheer, Präsident von Eurosolar, der sicherlich keiner "fundamentalistischen" Position verdächtig ist in seinem 2005 erschienenen Buch "Energieautonomie - für eine neue Politik der erneuerbaren Energien":

"Tatsächlich sind die Zuwachsraten bei fossiler Energienutzung nach wie vor deutlich höher als bei aktiv genutzten erneuerbaren Energien. 1990 lag nach Angaben der Internationalen Energie-Agentur (IEA) der Weltverbrauch an fossilen Energien (Erdöl, Kohle, Gas) bei 5,63 Milliarden Tonnen Rohöleinheiten (dem international üblichen Vergleichsmaß für alle Energien); 2002 waren es bereits 8,13 Milliarden Tonnen Rohöleinheiten, was einer Steigerung um 44 Prozent in nur zwölf Jahren entspricht. (...) Zehn politische Weltkonferenzen zum Klimaschutz, die zwischen 1995 und 2002 stattfanden, haben an dieser Entwicklung nichts zu ändern vermocht. Der fossile Weltenergieverbrauch wuchs rasanter als je zuvor. In derselben Zeit stieg der Anteil erneuerbarer Energien von 1,04 auf 1,38 Milliarden Tonnen Rohöleinheiten, also um 33 Prozent. Die Differenz zwischen der Nutzung fossiler und erneuerbarer Energien weitete sich in nur zwölf Jahren von 4,59 auf 6,74 Milliarden Tonnen aus. Erst wenn der fossile und ebenso der atomare Energieeinsatz tatsächlich und unumkehrbar zugunsten der erneuerbaren Energien schrumpft, wird das Zeitalter der erneuerbaren Energien begonnen haben."

Zu den politischen Bedingungen für die Realisierung einer Energiewende zählt primär der Einfluß der etablierten Energiekonzerne. Dieser ist jedoch sogar noch gewachsen - wie auch Hermann Scheer übereinstimmend feststellt - und deren tiefe Mißachtung der erneuerbaren Energien hat sich in der Praxis nicht verändert. Das Engagement von Weltkonzernen in erneuerbare Energien wird immer wieder gerühmt - beispielsweise häufig und gerne von Franz Alt. Im Geschäftsjahr 2004 hatte BP einen Umsatz von 233 Milliarden US-Dollar. Der Umsatzanteil von BP Solar jedoch lag mit 330 Millionen US-Dollar bei 0,14 Prozent.

Größenvergleich BP zu BPsolar

Shell hatte einen Gesamtumsatz von 269 Milliarden US-Dollar. Der Umsatzanteil von Shell Solar lag mit 292 Millionen US-Dollar bei 0,11 Prozent. Das Engagement solcher Konzerne im Bereich erneuerbarer Energien hat allein drei Gründe:

1. Sie versuchen so, die Entwicklung unter Kontrolle zu halten.

2. Sie erzielen einen optimalen Werbeeffekt für das eigene Image, indem sie ihre Millionen für erneuerbare Energien herausstreichen - und

3. Sie können - was nicht selten geschah - erfolgversprechende Firmen aufkaufen und nach einer gewissen Schamfrist sang- und klanglos stilllegen.

Obwohl es die EU-Kommission nicht an Rhetorik für erneuerbare Energien fehlen läßt, ist ihre reale Praxis nach wie vor stärker auf die Atomenergie als auf erneuerbare Energien ausgerichtet: Die EURATOM-Finanzmittel werden weiterhin gesteigert und übertreffen die Finanzmittel für erneuerbare Energien um ein Vielfaches. Ebenso ist es bei den Forschungs- und Entwicklungsausgaben der OECD-Länder: Während die Mittel für erneuerbare Energien seit etwa drei Jahrzehnten bei rund acht Prozent liegen, liegt der Anteil der Atomforschung im Durchschnitt der OECD-Länder bei 51 Prozent. Dieses Zahlenverhältnis würde noch deutlicher zugunsten der Atomenergie und zu Lasten der erneuerbaren Energien ausfallen, wenn die von der IEA erstellte Statistik auch die Forschungs- und Entwicklungsausgaben der EU-Kommission und hier insbesondere für die EURATOM-Behörde sowie die nicht veröffentlichten Ausgaben Frankreichs einbeziehen würde.

Leider nimmt ein großer Teil der VerfechterInnen der erneuerbaren Energien nicht wahr oder nicht ernst, daß sich im etablierten Energiesystem die Kräfte gegen die erneuerbaren Energien verstärkt international formieren. Die jahrzehntelangen Konflikte sind keineswegs gegenstandslos geworden. Denn bei einer Energiewende, beim Wechsel zu erneuerbaren Energien, geht es um nicht weniger als um den tiefgreifendsten und weitreichendsten wirtschaftlichen Strukturwandel seit Beginn der industriellen Revolution. Nur Naive glauben, dieser sei reibungsfrei und im Konsens mit den Trägern der überkommenen Energieversorgung realisierbar - gar auf der Grundlage gemeinsamer Werte. Der "energiewirtschaftliche Komplex" ist immerhin der größte und politisch einflußreichste Sektor der Weltwirtschaft. Die von ihm ausgehenden Widerstände gegen erneuerbare Energien werden in dem Maße wachsen, wie deren Mobilisierung so weit vorankommt, daß sie die atomaren und fossilen Energien nicht nur partiell ergänzen, sondern beginnen, diese real abzulösen.

Daß allenthalben Sympathie für erneuerbare Energien geäußert wird, gehört mittlerweile zur political corectness in der Energiediskussion - dies sagt jedoch nichts darüber aus, welcher Stellenwert den erneuerbaren Energien tatsächlich beigemessen wird - ein erst-, zweit- oder drittrangiger. Ein echter oder ein geheuchelter.

Wie wenig bisher tatsächlich noch von den Implikationen einer Energiewende bekannt ist, zeigt sich beispielhaft darin, wie wenig meist dem Argument von der Notwendigkeit von Großkraftwerken entgegen gesetzt werden kann.

So heißt es immer wieder mit nahezu einem Anspruch auf Unfehlbarkeit und in Anspruchnahme eines unhinterfragten Common Sense, der Mengenbedarf einer großindustriellen und urbanisierten Massengesellschaft sei ohne großtechnische Kraftwerke, Raffinerien, Tankschiffe, Pipelines und die zugehörige Infrastruktur nicht zu befriedigen. Erneuerbare Energien mit ihrer Affinität zu kleinen, dezentralen Anlagen könnten diese niemals vollständig ersetzen, sondern allenfalls ergänzen.

In der Hauptsache sprechen fünf Gründe für eine Energiewende:

1. Der Einsatz der Atomenergie und der fossilen Energieträger Öl, Gas und Kohle bedingt massive Umwelteingriffe. Angefangen bei der Förderung und Gewinnung der Rohstoffe und der damit verbundenen Vergiftung und Zerstörung der Umwelt, den Risiken und der Verschmutzung - zu denken sei nur an geborstene Pipelines, Tankerkatastrophen und die größte Umwelt-Katastrophe in der Geschichte der USA, die mit dem Untergang der Bohrinsel 'Deepwater Horizon' am 20. April 2010 erst begann und noch mindestens zehn Jahre andauern wird - bei Transport und Verteilung, den Emissionen in Gewässer, Luft und Erdatmosphäre beim Betrieb der Kraftwerke und die damit provozierte Veränderung des globalen Klimas und die ungeklärte Endlagerproblematik bei der Atomenergie.
Die erneuerbaren Energien sind dagegen praktisch schadstoff-frei und weitgehend umweltverträglich.

2. Sowohl die fossilen Energieträger als auch Uran sind erschöpflich. Dies zeigt sich nunmehr besonders drastisch annachlassenden Fördermengen, was einen drastischen Preisanstieg nach sich ziehen wird. Die fortgesetzte Nutzung endlicher Ressourcen führt unweigerlich zu Versorgungsengpässen und -notständen.
Allein die praktisch unerschöpflichen erneuerbaren Energien eröffnen allen Menschen auf dieser Erde eine dauerhafte und sichere Energieversorgung.

3. Sowohl die fossilen Energieträger als auch Uran liegen in relativ wenigen Förderregionen auf diesem Planeten, so daß für deren Nutzung lange internationale Bereitstellungsketten erforderlich sind. Dies bedingt unvermeidlich einen hohen Infrastrukturaufwand, führt zu wachsenden Abhängigkeiten und provoziert Kriege.
Die erneuerbaren Energien hingegen sind natürliche Umgebungsenergie, die überall mit technischen Hilfsmitteln unmittelbar gewonnen werden kann. Sie vereinen wirtschaftliche Effizienz mit einer Gewähr für politische Unabhängigkeit und Friedenssicherung.

4. Fossile Energien und Atomenergie werden durch die Verknappung der Ressourcen immer teurer - sowohl in Hinblick auf die direkten als auch auf die indirekten Kosten.
Die erneuerbaren Energien jedoch werden - da von der Sonne quasi kostenlos zur Verfügung gestellt - im Zuge ihrer laufenden technologischen Verbesserungen, industrieller Massenfertigung und intelligenter Anwendungsformen immer preiswerter.

5. Sowohl durch die globale Verteilung auf wenige Fördergebiete als auch durch die nur bei ihnen mögliche Effizenzsteigerung in zentralen Großanlagen bieten sowohl fossile Energien und als auch die Atomenergie optimale Voraussetzungen für dem Zugriff und das Verfügungsmonopol großer multinationaler Konzerne. Diese konnten sich so der Kontrolle nationaler Regierungen nach und nach völlig entziehen - einer der entscheidenden Gründe, weshalb schon lange nicht mehr von einem "Primat der Politik über die Ökonomie" gesprochen werden kann.
Die erneuerbaren Energien hingegen sind ungeeignet, um wirtschaftliche Macht konzentrieren zu können. Für Konzerne ist es ebensowenig möglich wie für politische Regime, überall zugleich präsent zu sein, um die Gewinnung erneuerbarer Energien unter ihrer Kontrolle halten zu können.

In den kommenden Wochen erscheinen die Folgen 2 und 3

 

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Siehe auch unsere Info-Serie Atomenergie

  1 Grundlagenwissen

  2 Der deutsche "Atom-Ausstieg"

  3 Die Subventionierung der Atomenergie

  4 Der siamesische Zwilling: Atombombe

  5 Umweltverbrechen Uran-Abbau

  6 Uran-Ressourcen und die Zukunft der Atomenergie

  7 Die Geschichte der Atom-Unfälle

  8 Die stille Katastrophe

  9 Der italienische Atom-Ausstieg

10 Schwedens "Atom-Ausstieg"

11 Atomenergie in Frankreich

12 Das ungelöste Problem der Endlagerung

 

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