Billigung der EU-Verfassung markiert schwarze Stunde für Europa
Die Billigung des EU-Verfassungsentwurfs1 am gestrigen Freitag besiegelt mit der Übernahme des im Anhang versteckten EURATOM-Vertrags2 den Fortbestand der bri- tischen und französischen Atomwaffen und der Milliarden Euro schweren Förderung der "zivilen" Atomenergie. Mit der Verpflichtung der 25 EU-Mitglliedsstaaten, ihre "militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern"3, bekommt Auf- rüstung Verfassungsrang. Das bereits in den letzten fünf Jahren rasant vorangestriebene EU-Rüstungsprogramm4 wird gegen den Willen der Mehrheit der EuropäerInnen legitimiert. Der Weg zu einer Integration der britischen und französischen Atomwaffen in eine Atommacht EU ist geebnet.
Von wolkigen und unverbindlichen Menschenrechts-Floskeln abgesehen entspricht das 267 Seiten starke Paragraphen- Konvolut exakt den Vorgaben der kerneuropäischen Führungselite, die ihren Verteilungskampf sowohl innerhalb wie außerhalb Europas gewaltsam auszutragen beabsichtigt. Für den äußeren Gegner hält die EU Eingreiftruppen nach Art der Kongo-Kontingente5 bereit. Laut dem jetzt erzielten EU-Kompromiß werden sie einer gemeinsamen Führung mit eigenem Hauptquartier unterstehen, das vorläufig bei der NATO angesiedelt ist. Ganz unverblümtes Ziel sind jedoch EU-eigene Kampftruppen. Damit wird die von Dementis begleitete Konkurrenz um hegemoniale Militärstrukturen zwischen der EU und den USA forciert.
Für mögliche innere Gegner - und das müssen beispielsweise die Gewerkschaften sicherlich auf sich beziehen - sind ebenfalls in der bisherigen Verfassungsgeschichte singuläre Neuerungen vorgesehen. Leider wird dies bisher von der europäischen Linken kaum beachtet. In Artikel I-42 wird die traditionelle Trennung zwischen Polizei und Militär aufgehoben: "Die Union und ihre Mitgliedstaaten handeln gemeinsam im Geiste der Solidarität, wenn ein Mitgliedstaat von einem Terroranschlag oder einer Katastrophe natürlichen oder menschlichen Ursprungs betroffen ist. Die Union mobilisiert alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel, einschließlich der ihr von den Mitgliedstaaten bereitgestellten militärischen Mittel, um a) - terroristische Bedrohungen im Hoheitsgebiet von Mitgliedstaaten abzuwenden..." Hier wie beim drastischen Abbau demokratischer Rechte in den USA stehen die Anschläge vom 11. September 2001 Pate. Doch weder bei diesen noch beim Anschlag im März in Madrid6 ist bislang unzweifelhaft bewiesen, ob tatsächlich islamistische Terroristen die Urheber waren. Doch dessen ungeachtet spielen Al Qaida und Osama Bin Laden heute die Rolle als Feinbild, die bis Ende der 80er Jahre von der UdSSR ausgefüllt wurde. Und wenn erst einmal Polizei, Militär und Geheimdienste zu einem allesumfassenden Machtapparat ausgebaut sind, kann jede oppositionelle Gruppe schnell als terroristisch gebrandmarkt werden. Denn wer bestimmt, was "terroristisch" ist, wird nicht die Mehrheit der EuropäerInnen sein - eben so wenig wie sie bei der Formulierung der EU-Verfassung zu bestimmen hatte.
Ein weiterer entscheidenden Punkt in dieser neuen europäischen Verfassung ist, daß darin die "soziale Marktwirtschaft" festgeschrieben wird. In Artikel I-3 heißt es unter Punkt 3: "Die Union strebt ein Europa der nachhaltigen Entwicklung auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums und einer in hohem Maße wettbewerbsfähigen sozialen Marktwirtschaft an, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt, ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität abzielt." Lassen wir das schmückende und unverbindliche Beiwerk weg, heißt dies nichts anderes, als daß die Menschen Europas in Zukunft nicht das Recht haben sollen, über die Art des Wirtschafts-Systems demokratisch zu entscheiden. Die "soziale Marktwirtschaft" ist schon allein deshalb nicht demokratisch, weil es der Mehrheit von Jahr zu Jahr wirtschaftlich schlechter geht. Nur eine Minderheit profitiert von diesem "blinden Spiel", bei dem angeblich die "freien Kräfte des Marktes" die Wirtschaft lenken. Dabei gibt es längst Modelle einer demokratisch gelenkten Wirtschaft, so daß sich niemand mehr durch die Schein-Alternative "Freiheit oder Sozialismus", die ja in zweifacher Hinsicht eine Lüge war und ist, ins Bockshorn jagen lassen muß.
Diese unheilschwangeren Kapitel der EU-Verfassung werden von den deutschen Massenmedien totgeschwiegen. In den Mittelpunkt wird statt dessen das Gerangel der politischen Akteure um die Verteilung der Haupt- oder Nebenrollen im europäischen Marionettentheater gerückt. Anders in Österreich, das durch EURATOM dazu verpflichtet ist, trotz einem 1978 vollzogenen Atom-Ausstieg jährlich rund 14 Millionen Euro für die Subventionierung der europäischen Atom-Industrie aufzubringen. So berichtet beispielsweise die 'Wiener Zeitung' in ihrer gestrigen Ausgabe, daß eine Reformkonferenz in Bälde über die neuen Vorgaben für Gelder aus dem EURATOM-Topf entscheiden soll.
Harry Weber & Klaus Schramm
Anmerkung:
1 Siehe hierzu auch den Kommentar
Zur Ausrufung einer europäischen Verfassung (14.06.03)
2 Siehe hierzu auch den Artikel
Neue Atommacht EU? (24.04.04)
3 Im EU-Verfassungsentwurf, Artikel 40, Absatz 3 ist zu lesen:
"Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen
Fähigkeiten schrittweise zu verbessern."
4 Siehe hierzu auch den Artikel
Rüstet Europa auf? (13.05.04)
5 Siehe hierzu auch den Artikel
Was macht den Kongo plötzlich so interessant? (22.06.03)
6 Siehe hierzu auch den Kommentar
Zu den Anschlägen in Madrid (12.03.04)