13.11.2006

Verkauf der Freiburger
Sozialwohnungen verhindert

BI erringt Mehrheit bei Bürgerentscheid

Gestern, am 12. November, sprachen sich beim Bürgerentscheid in Freiburg über 40.000 für den Verbleib der 8900 Sozialwohnungen in städtischem Besitz aus. Nach heftigen Auseinandersetzungen hatte Freiburgs "grüner" Oberbürgermeister Dieter Salomon im Juli mit einer "schwarz-grünen" Mehrheit im Stadtrat den Verkauf der Freiburger Stadtbau GmbH durchgesetzt.1

Die Bürgerinitiative WIM ("Wohnen ist Menschenrecht"), die maßgeblich dazu beigetragen hatte, daß die nötige Zahl an Unterschriften zusammenkam, um das gesetzliche Quorum für einen Bürgerentscheid zu erfüllen, feierte das Abstimmungsergebnis als Erfolg. Der Deutsche Mieterbund begrüßte den Ausgang des Freiburger Bürgerentscheids als positives Signal: "Wer öffentliche Wohnungsbestände verkaufen will, stellt sich gegen die Interessen der Mehrheit der Bürger."

Im Zentrum der Auseinandersetzung hatte die Frage gestanden, ob die Freiburger Stadtbau GmbH an einen Finanzinvestor verkauft werden dürfe. Dies hatte den Freiburger Konflikt in den Zusammenhang mit dem bundesweiten Trend zu Privatisierungen, PPP (private public partnership) und Cross-border-leasing gerückt. So hatte die BI WIM mehr ungeschickt als bewußt provokativ die Münteferingsche Metapher von den Heuschrecken aufgegriffen und trotz Kritik aus der Freiburger Linken eine durchgestrichene Heuschrecke zu ihrem Symbol gemacht.

Mit exakt 41.579 Pro-Stimmen - entsprechend 70,5 Prozent - wurde die bei einem Bürgerentscheid nötige Stimmenzahl von 37.078 deutlich übertroffen. Dies kann als heftige Ohrfeige der Freiburger Bürgerschaft für den in den letzten Jahren mit zunehmender Arroganz agierenden Dieter Salomon gewertet werden. Zuletzt hatte Salomon bei der traditionellen 1.-Mai-Kundgebung in Freiburg für Aufsehen gesorgt, als er dort mit seiner Grußrede ein Pfeifkonzert auslöste. Salomon hat bereits durch etliche umstrittene Entscheidungen bei den in ökologischen und sozialen Belangen besonders sensiblen FreiburgerInnen mehr und mehr vom anfänglichen Vertauensvorschuß verspielt, der ihm als angeblich grün orientiertem Politiker bei seiner Wahl zum Freiburger Oberbürgermeister vor fünf Jahren zugeflogen war.2

Nun verbleiben die 8900 Wohnungen zumindest für die nächsten drei Jahre in städtischem Besitz - was angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Freiburger Stadtrat nicht in dem Maße vor Mieterhöhungen schützen kann, wie es manch vereinfachende Parole von Seiten der BI WIM glauben machte. Moralische Unterschiede machen sich nicht daran fest, ob der Besitzer eine städtische GmbH, ein "normaler" kapitalistischer Konzern oder eine Finanzierungsgesellschaft ist - alle unterliegen demselben Zwang zur Erwirtschaftung von Profiten auf globalisiertem Niveau. Ein Unterschied besteht allenfalls darin, daß Verantwortliche vor Ort eher von der lokalen Bevölkerung unter Druck gesetzt werden können als solche in New York oder auf den Caiman Inseln. Eine echte Alternative, die in Freiburg leider viel zu wenig thematisiert wurde, ist die Umwandlung der Freiburger Stadtbau GmbH in eine Genossenschaft. Und auch dies wäre nur dann ein erfolgversprechendes Modell, wenn eine solche Genossenschaft demokratisch strukturiert wäre und die MieterInnen selbst ihr Schicksal bestimmen können. In einer heute verbreiteten Erklärung weist die BI WIM darauf hin, daß die verschiedenen Genossenschaftsmodelle nun eine Chance bekämen, die sie bei einem normalen Bieterverfahren nicht bekommen hätten.

Doch statt bereits in den letzten Wochen mit einem klar umrissenen Genossenschaftsmodell politisch in die Offensive zu gehen, hatte sich die BI WIM, in der sozialdemokratisch und gewerkschaftlich orientierte Kräfte dominierten, auf einen puren Abwehrkampf beschränkt. Daß dennoch ein solch klarer Erfolg errungen wurde, mag zum Teil damit zu erklären sein, daß das "schwarz-grüne" Lager der Privatisierungs-BefürworterInnen vorzeitig errodierte. Bemerkenswert ist beispielsweise die Äußerung des Freiburger CDU-Altstadtrats Heinrich Schwär, der die Politik seiner Partei nicht mittragen wollte: "Wenn man selbst mit Räumungsklagen konfrontiert war, weiß man, welchen Stellenwert die eigene Wohnung hat. Wenn man in Not ist, kehrt sich unsere soziale Marktwirtschaft in Deutschland in eine knallhart kapitalistische um, und man hat keine Chance. Deshalb bin ich strikt gegen den Verkauf der städtischen Wohnungen - auch aus christlichen Motiven."

Eine nähere Analyse des Abstimmungsergebnisses zeigt, daß In keinem der sozial recht unterschiedlich zusammengesetzten Freiburger Stadtteile eine Mehrheit für den Verkauf der Stadtbau zusammen kam. Salomons Verkaufs-Argument, mit dem avisierten Erlös von 510 Millionen Euro könne er den städtischen Haushalt dauerhaft sanieren, erwies sich damit als wenig überzeugend.

Doch der "grüne" Oberbürgermeister zeigte sich auf seiner Pressekonferenz gestern nach wie vor stur. Einen "Plan B" habe er nicht. "Auf Freiburg kommen schwierige Zeiten zu", drohte Salomon. Sekundiert von der CDU. "Jetzt werden alle Opfer bringen müssen", kündigte die Fraktionschefin der Christdemokraten, Martina Feierling-Rombach, an. Laut Salomon werde der Verzicht auf den Wohnungsverkauf Freiburg noch tiefer in die Verschuldung treiben. Aktuell bilanziert das Rathaus einen Schuldenstand von 390 Millionen Euro für die Stadt und 140 Millionen Euro bei der Freiburger Stadtbau.

Als entscheidend wird sich in den kommenden Wochen herausstellen, ob es der BI WIM gelingt, Vorschläge in der öffentlichen Diskussion zu verankern, wie der städtische Haushalt sozialverträglich saniert werden kann. Zentrale Punkte sind hierbei eine differenzierte Erhöhung der Gewerbesteuer, die seit 15 Jahren in Freiburg unverändert blieb, ein verstärkter kommunaler Zugriff auf die enormen Sparkassengewinne, der Verzicht auf Straßenbauvorhaben, investitionsträchtige Neubaugebiete und repräsentative Prunkbauten wie etwa ein neues Rathaus.

 

Petra Willaredt

 

Anmerkungen

    1 Siehe auch unsere Artikel:

    OB Salomon erhält Mehrheit im Freiburger Gemeinderat
    Umstrittener Verkauf städtischer Wohnungen mit
    kosmetischen Korrekturen abgesegnet (18.07.06)

    Attacken auf Freiburgs OB Salomon
    Kundgebung gegen geplanten Verkauf städtischer Wohnungen
    Konflikt um Heuschrecken-Symbolik (2.07.06)

    2 Siehe auch unsere Artikel:

    Salomonischer Bagger (14.01.04)

    Ist Freiburgs "grüner" OB unerfahren?
    Zur Affaire um Filbingers neunzigsten Geburtstag (30.07.03)

    Rathaus und Rothaus gegen Rasthaus (11.05.03)

    74 Prozent pro - 23 contra (1.03.02)

 

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