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Zum baden-württembergischen Ostermarsch kamen bei strahlendem Sonnenschein in diesem Jahr mit 1.600 deutlich mehr Menschen als im vergangenen Jahr. Bereits am Karfreitag hatte der Auftakt in Stuttgart-Vaihingen vor der NATO-Kommandozentrale AfriCom stattgefunden. Heute startete die Demo am "Karriere-Zentrum" der Bundeswehr.
Ralf Chevalier vom Friedenstreff Stuttgart Nord warnte in seinem Beitrag vor einer weiteren Eskalation zwischen der US-Regierung und europäischen Regierungen auf der einen und der russischen Regierung auf der anderen Seite. Er warf den NATO-Staaten vor, immer näher an die russische Grenze heranzurücken. "Wir müssen vor der eigenen Haustür kehren. Die Kriege gehen von hier aus," sagte Chevallier. Er nannte die Zahl von 3000 deutschen SoldatInnen in derzeitigen Auslands-Einsätzen und die Ausgaben von jährlich 34 Milliarden Euro an Steuergeldern allein im offiziellen Teil des Bundeshaushalts. "Jeder Mensch in Stuttgart trägt jährlich 410 Euro dazu bei - Geld, das man zur Verbesserung der sozialen Verhältnisse verwenden und damit Pegida und der AfD den Nährboden entziehen könnte," so Chevallier. Kritik übte er auch an der baden-württembergischen Landesregierung un deren "bundeswehrfreundliche" Politik. Baden-Württemberg trage mit dem Waffen-Export aus Oberndorf - Heckler&Koch - zum Tod von Menschen in aller Welt bei.
Für rund eine Stunde zog die Friedens-Demo durch Stuttgart zum Schloßplatz, wo die Schluß-Kundgebung mit mehreren Rede-Beiträgen und Musik von der aus Flüchtlingen bestehenden Band 'Wüstenblume' stattfand. Zu Beginn forderte Heike Hänsel vom Friedensnetz Baden Württemberg die TeilnehmerInnen zu einer Schweigeminute für die Opfer von Terror und Krieg auf, an die Toten vom 22. März in Brüssel, die Toten vom 13. März in Ankara und die Toten der Kriege in Syrien und vielen weiteren Ländern.
Anne Rieger, Co-Sprecherin des Bundesausschusses Friedensratschlag, begann ihre Rede mit dem Hinweis, daß Deutschland nun auch in Syrien Kriegspartei sei. Der Jugoslawien-Krieg mit der ersten deutschen Kriegsbeteiligung seit dem Zweiten Weltkrieg in der Verantwortung von "Rot-Grün" hatte vor fast genau 17 Jahren begonnen. Er reihe sich ein in die deutsche Kriegsbeteiligung in Afghanistan, in die Beteiligung an der NATO Militär-Interventionen gegen den Irak und die Libysche Bevölkerung, in die Unterstützung von mörderischen Milizen in Zentralafrika, neofaschistischen Gruppierungen in der Ukraine und der Ausbildung von Soldaten in Mali. Rieger erinnerte auch an die Flut von Waffen-Exporten in die Golf-Despotien und in die Türkei. Damit würden die Kriege in Syrien und Jemen angeheizt. "Die deutsche Regierung führt seit Jahren unerklärte Kriege," so Rieger.
"Für die Profit-Interessen deutscher Konzerne haben deutsche Regierungen zwei Weltkriege begonnen, Millionen Menschen starben, Europa lag in Schutt und Asche. Gerade deswegen hat Deutschland eine besondere Verantwortung für Friedenspolitik. Die Bundeswehr hat tausende Kilometer von Deutschland entfernt nichts zu suchen. Wir fordern Frau Merkel und Frau von der Leyen auf:Holen sie alle SoldatInnen aus dem Ausland zurück!" war der zentrale Teil in Riegers Rede, für den sie viel Applaus bekam.
Rieger kritisierte das in den vergangenen Tagen geschlossene "schändliche Bündnis mit der Türkei". Die Erdogan-Regierung erhält von deutscher Seite drei Milliarden Euro, um Flüchtlinge von der europäischen Grenze fernzuhalten.
Die Mainstream-Medien würden Kriege häufig zu "humanitären Interventionen" umlügen. "Nichts ist an diesen Kriegen humanitär! Krieg ist ein Verbrechen," so Rieger. Tatsächlich gehe es um geopolitische Machtkämpfe, um die Ausbeutung wirtschaftlicher Reichtümer wie Öl, um Absatzmärkte, um die Durchsetzung neoliberaler Freihandelsverträge und um den Sturz von Regierungen, die nicht zur völligen Unterordnung unter die westlichen Großmächte und ihre Konzerne bereit sind. Riegers Bilanz: "Letztendlich geht es immer um die Profite aus den Kriegen und aus der Ausbeutung der Regionen – für wen? für die Aktionäre und Eigner der Großkonzerne und der Banken. Dafür lassen sie ganz Regionen zerstören."
Die von Rieger vorgebrachten Forderungen fanden bei den TeilnehmerInnen starkes Echo:
"Schluß mit der von NATO und EU schrittweise betriebenen Einkreisung Rußlands!
Die militärischen Drohungen müssen beendet werden!
Sie wurde durch NATO-Manöver an den Westgrenzen Rußlands und durch die Stärkung der Schnellen Eingreiftruppe (NRF) auf höchst gefährliche Weise vorangetrieben.
Schluß mit neuen Waffen-Programme wie dem Raketenabwehrsystem gegen Ost-Europa!
Wir fordern Verhandlungen mit Rußland über atomare und konventionelle Abrüstung!
Erhalt des Neutralitäts-Status der Ukraine!"
Rieger erinnerte an das unvorstellbare Leid, das mit Kriegen angerichtet wird, an die "Blutspur" in Jugoslawien, Afghanistan, dem Irak, Zentralafrika, Libyen, Syrien und der Ukraine, an die 9 Millionen Toten und die 28 Millionen Menschen, die durch diese Kriege zu Flüchtlingen gemacht wurden. Rieger wies darauf hin, daß viele junge Männer aus Syrien vor dem Kriegsdienst fliehen "Die Waffen nieder!" forderte sie in den Worten der großen österreichischen Friedenskämpferin Berta von Suttner.
"Etwas Positives" wollte Rieger ans Ende ihrer Rede stellen. Sie freue sich, daß am 27. Februar in London 300.000 Menschen für die Abschaffung der britischen Atomwaffen auf die Straße gegangen waren (Siehe unseren Artikel v. 27.02.16). Und als ein weiteres positives Beispiel nannte sie den Demo-Aufruf von Muslimen in den Niederlanden zu einer gemeinsamen Friedens-Demo von »Juden, Muslime, Christen und Atheisten« in Amsterdam.
(Der gesamte Rede-Text findet sich hier:
http://ostermarsch.friedenskooperative.de/?q=print/252)
Zwischen den Rede-Beiträgen spielte die Band 'Wüstenblumen'. Die Mitglieder der Band sind Flüchtlinge.
Nach etlichen Jahren Pause sprach in diesem Jahr beim Ostermarsch baden-Württemberg wieder ein Vertreter der IG Metall. Roman Zitzelsberger, IG-Metall-Bezierksleiter, bekundete: "Ohne Frieden ist alles nichts!" Nicht auf einhellige Zustimmung stieß allerdings die an alten Wunschbildern orientierte Forderung Zitzelsbergers, die Vereinten Nationen müßten gestärkt werden. Tatsächlich bildet ein fehlendes UNO-Mandat schon seit langem keine merkliche Hürde mehr, Kriege zu führen. Zudem ist diese Forderungen an Regierungen gerichtet, die von einer international agierenden Lobby der Waffen-Industrie gegeneinander ausgespielt werden. Zitzelsberger scheint zudem Krieg als Mittel der Politik, als "Ultima Ratio", nicht ausschließen zu wollen. Immerhin sprach er sich dafür aus, den Rüstungs-Export zu beschränken. So forderte er explizit: "Keine Waffen an Saudi-Arabien!" Ob bei einer Beschränkung der deutschen Waffen-Exporte auf NATO-Staaten die Türkei beliefert werden dürfe oder nicht, ließ Zitzelsberger offen.
Selbstkritisch stellte Zitzelsberger zwar fest, daß es in den vergangenen Jahrzehnten kaum positive Beispiele für Konversion, die Umwandlung von Rüstungsbetrieben in Unternehmen zur Produktion ziviler Güter gegeben habe. "Dennoch nahm die IG Metall in jüngster Zeit einen neuen Anlauf bei diesem Thema", so Zitzelsberger. Beim vorigen Gewerkschaftstag seien 25 Anträge zu diesem Thema gestellt worden. Zugleich warnte er davon, die Arbeiterschaft zu spalten. Es gelte, auch die Beschäftigten in Rüstungsunternehmen einzubinden: "Konversion geht nur mit den Beschäftigten und nicht gegen die Beschäftigten." Wichtig sei hierbei ein innerbetrieblicher Leitfaden, der Wege aufzeige weg von militärischer und hin zu ziviler Produktion. Die IG Metall biete hierzu auch Workshops an. Es dürften allerdings auch keine Illusionen bestehen, etwa darüber, daß die Verlockungen - etwa in Hinblick auf weit höhere Profit-Raten bei militärischer Produktion - ignoriert und die Widerstände gegen einen schnellen Wandel unterschätzt würden.
Der frühere Betriebs-Seelsorger Paul Schobel nahm kein Blatt vor den Mund und benannte klar den Zusammenhang zwischen den Wirtschaftsinteressen und den Fluchtursachen in vielen Teilen der Welt. Auch Boko Haram in Afrika und die IS-Terror-Miliz versorgten sich mit deutschen Waffen. Er zitierte den Autor Jürgen Grässlin, der immer wieder fordert: "Grenzen dicht machen für Waffen, Grenzen öffnen für Flüchtlinge!"
Schobel zitierte Albert Einsteins Äußerung: "Der Mensch erfand die Atombombe, aber keine Maus der Welt würde eine Mausefalle konstruieren." - und er ergänzte dies um die Feststellung, daß die Menschheit das Attribut 'homo sapiens' nicht verdiene, solange Krieg als Mittel der Politik akzeptiert werde. Als Christ hat Schobel dabei in den eigenen Reihen allerdings zumindest in den oberen Rängen noch einige Aufklärungs-Arbeit vor sich. Unzweideutig stellte Schobel klar: "Krieg darf um Gottes und der Menschen Willen nicht sein!"
95 von 100 Opfern gehen nicht auf den Einsatz von Bomben, Granaten und anderen Geschossen aus Panzern, Kriegsschiffen oder anderen Großwaffen-Systemen zurück, sondern werden mit Kleinwaffen getötet. Allein durch Kugeln aus Gewehren sterben bei den heutigen kriegerischen Auseinandersetzungen zwei von drei Menschen. Gemessen an den Opferzahlen sind daher Gewehre die tödlichsten Waffen der gesamten Menschheitsgeschichte. Allein mit Waffen von Heckler&Koch wurden im Durchschnitt der vergangenen 50 Jahre täglich 114 Menschen getötet. "Wer Waffen sät, wird Flüchtlinge ernten," so Schobel.
"Entweder die Menschheit lernt teilen oder die Welt versinkt in Chaos," warnte Schobel. In den kommenden Jahren bestehe vielleicht eine letzte Chance. Ansonsten seien Flüchtlings-Ströme in noch ganz ungeahnten Dimensionen zu erwarten. "Was gerade weltweit abgeht, ist möglicherweise erst der Beginn eines epochalen Umbruchs. Die Verfolgten und Unterdrückten dieser Erde, aber auch all die Hungerleider und armen Schlucker werden aufbrechen und sich ihren Anteil holen," sagte Schobel. Nichts werde die traurigen und verzweifelten Menschen aufhalten - "keine Obergrenzen, kein Stacheldraht und keine Mauer. Auch nicht Frau Petrys Schießbefehl."
Ursächlich ist aus Sicht Schobels der Kapitalismus. Dieser sei "nicht willens und nicht in der Lage, die primitivsten Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen: Nahrung, Kleidung und Wohnen." Verantwortlich hierfür seinen Konzerne und Regierungen, die sich über die armen Länder hermachten. "Sie plündern ihre Rohstoffe, fischen ihre Meere leer und machen ganze Regionen zu Müllkippen." Kostbare Ressourcen und das ganze Potenzial an Kreativität, Phantasie und technischem Können würden mißbraucht, "um Leben zu vernichten statt Leben zu fördern," so Schobel.
Roland Blach von der DFG/VK wies in seinem Redebeitrag auf die nach wie vor große Bedrohung durch Atomwaffen hin. Derzeit werden die US-amerikanischen Atombomben, die rheinland-pfälzischen Büchel gelagert werden, modernisiert. Vor diesem Atomwaffenstützpunkt wird von 17. bis 27. April eine Protest-Aktion organisiert, an der sich DFG/VK-Mitglieder aus Stuttgart beteiligen werden.
In etlichen Artikeln der Mainstream-Medien wird versucht, die Friedensbewegung mit hämischen Bemerkungen klein zu schreiben - etwa mit dem Hinweis, die Zahl der Menschen, die sich auf der Stuttgarter Königstraße zeitgleich im Kaufrausch befanden, sei größer gewesen als die der TeilnehmerInnen des Ostermarschs. Doch tatsächlich ist in den vergangenen Jahren ein Aufwärtstrend zu verzeichnen: In diesem Jahr 1.600, im Jahr 2015 waren es 1.300 Menschen (2014: 1.100, 2013: 500).
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
300.000 auf Friedens-Demo in London
gegen Modernisierung der Atombomben (27.02.16)
Mahnwachen zum 70. Jahrestag
des Abwurfs der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki
(6.08.15)
3000 auf Ostermarsch in Glasgow
gegen die britische Atombombe (4.04.15)
Wachsende Beteiligung beim Ostermarsch
trotz naßkaltem Wetter (4.04.15)
Starke Resonanz der Ostermärsche
Ukraine-Konflikt macht Angst (19.04.14)
Mehr Menschen beim Ostermarsch
Protest gegen Atombombe, Drohnen und Waffenexporte
(30.03.13)
Zehntausende beim Ostermarsch
Gegen Krieg und Atomwaffen (9.04.12)
Ostermarsch in vielen Städten
Protest gegen Atomenergie und Atombombe (23.04.11)
50 Jahre Ostermarsch
Gegen Atomwaffen und für Abzug aus Afghanistan (3.04.10)
"Bewegung am Boden"?
Die Friedensbewegung nach dem NATO-Gipfel (5.04.09)
60.000 beim Ostermarsch
Protest gegen fortgesetzte Kriege
und gegen Unterdrückung in Tibet (24.03.08)
Baden-württembergischer Ostermarsch in Stuttgart
"Vernunft muß her statt Militär!" (23.03.08)
Demonstration gegen Bombodrom am Neujahrstag
Bundeswehr will Bombenabwurf üben (1.01.08)
Ostermärsche setzen Zeichen gegen Tornado-Einsatz (8.04.07)
Zehnausende bei Ostermärschen der Friedensbewegung (16.04.06)