Erneut erkrankte ein Mensch in Vietnam an Vogelgrippe
Nach Zeitungsberichten ist im Norden Vietnams innerhalb einer Woche ein zweiter Mensch an der Vogelgrippe erkrankt. WissenschaftlerInnen warnen, daß sich das Virus mit zunehmender Ausbreitung an den Menschen adaptieren und zu einer tödlichen weltweiten Seuche entwickeln könnte.
Die staatliche vietnamesische Tageszeitung "Giai Phong" berichtete gestern von einem 36-Jährigen aus der Provinz Thai Binh, der in ein Krankenhaus nach Hanoi gebracht worden sei. Tests am Samstag hätten die Infektion mit der lebensgefährlichen Virus-Variante H5N1 bestätigt. Vertreter der Krankenhauses waren nicht zu einer Stellungnahme zu erreichen. Erst am Freitag hatten die Behörden bestätigt, daß sich ein 21-Jähriger in Thai Binh angesteckt hat. Sein Zustand wurde von den behandelnden ÄrztInnen als besorgniserregend bezeichnet. Möglicherweise sei auch seine 14-jährige Schwester infiziert. Auch sie leidet an hohem Fieber. An der Virus-Variante H5N1 sind seit dem jüngsten Ausbruch1 der Krankheit Anfang dieses Jahres in Vietnam 13 Menschen gestorben.
Auf einer internationalen Konferenz in Washington warnte die Direktorin des amerikanischen 'Centers for Disease Control', CDC, Julie Gerberding, mit drastischen Worten vor einer globalen Ausbreitung der Vogelgrippe. Die seit 2003 in Asien grassierende Viruserkrankung stehe kurz vor der Wandlung zu einer der gefährlichsten Seuchen überhaupt. Zwar müßte sich der Erreger der Geflügelkrankheit, das H5N1-Influenza-Virus, derart verändern, daß es nicht nur wie bisher von Vögeln auf einzelne Menschen überspringe, sondern schnell und wirksam auch von Mensch zu Mensch übertragbar wäre, sagte sie einschränkend. Bisher sei das noch nicht geschehen. Es bestünde aber ein großes Risiko, daß dies gesehen könne. Die derzeitige Situation erinnere stark an die Vorboten der spanischen Grippe 1918/19, der über 20 Millionen Menschen zum Opfer gefallen seien.
Ähnlich bedrohlich klangen Warnungen von GesundheitsexpertInnen an einer Tagung in Ho-Chi-Minh-Stadt. Der regionale Direktor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Shigeru Omi, sprach von der stark erhöhten Wahrscheinlichkeit einer Grippe-Pandemie. Das Virus scheine sich derzeit so zu verändern, daß seine weltweite Ausbreitung von Mensch zu Mensch kurz bevorstehe. Omi schätzte das H5N1-Virus gefährlicher ein als den Erreger der Lungenkrankheit SARS, der vor zwei Jahren 800 Menschen zum Opfer fielen.
Am WHO-Hauptsitz in Genf ist die Reaktion auf Medienanfragen derweil diplomatisch. "Wir warnen seit einem Jahr vor der Seuchengefahr", erklärt der WHO-Pressesprecher Dick Thompson. Derzeit gebe es keine neuen Erkenntnisse, welche die Lage bedrohlicher erscheinen ließen als bisher. Allerdings sei auch nichts geschehen, was die Lage entspanne, betont er. "Das Virus zirkuliert immer noch in der Umwelt und verbreitet sich."
Offensichtlich ist, daß sich das Virus den Bekämpfungsmaßnahmen entschiedener widersetzt als erhofft. Im Gegensatz zum Ausbruch von 1997 in Hongkong, wo durch das Schlachten von riesigen Mengen von Geflügel die Seuche eingedämmt werden konnte, scheint es diesmal schwieriger, den Erreger zu bekämpfen. Derzeit ist die Verbreitung des Virus in acht asiatischen Ländern nachgewiesen.
Die einzige Chance, die Gefahr zu bannen, sei eine radikale Reform der traditionellen Landwirtschaftsstrukturen in den betroffenen Ländern, meinten Vertreter der Uno-Landwirtschaftsorganisation (FAO) in Ho-Chi-Minh-Stadt. Millionen von Kleinbauern lebten mit ihrem Vieh unter unhygienischen Bedingungen zusammen. Zudem seien die viel kritisierten Geflügelmärkte weiterhin ein Quell der Ansteckung für Mensch und Tier. Die FAO beklagt zudem, daß von den 100 Millionen Dollar, die allein für die Verbesserung der Früherkennung aufgewendet werden müßten, bisher erst ein Fünftel von der Staatengemeinschaft aufgebracht worden sei.
Tatsächlich liegen die Ursachen jedoch in der industriellen Massentierhaltung begründet. Diese liegen bei den immer häufiger auftretenden und sich rasch ausbreitenden Erkrankungen der zur Nahrungsproduktion oder Pelzzucht gehaltenen Tiere, klar auf der Hand. BSE, SARS und die Seuche der Zibethkatzen im Jahr 2003 waren kein Zufall. Sowohl die große Zahl an Tieren auf geringem Raum, der Verzicht auf teure Impfungen, mit denen das H5N1-Virus sofort ausgerottet werden könnte, als auch die gigantische Zahl von Tiertransporten auch über Grenzen hinweg, sind nichts anderes als die blinde Vorbereitung des nächsten Super-GAU.
Und bevor nicht das heutige am Profit orientierte Wirtschaftssystem weltweit demokratisiert wird, werden die Folgen der zukünftigen Tierseuchen entsprechend einer in diesem System angelegten Dynamik von Mal zu Mal gravierender werden. Denn die Folgen bezahlen nicht die Verursacher, sondern die betroffenen Volkswirtschaften.
Solveig Brendel
Anmerkungen
1 Siehe auch unseren Artikel
'Vogelgrippe droht nach Ansicht der WHO zur neuen Pest zu werden'
(28.11.04)
'Vogelgrippe ist zurück' (8.07.04)
'Vogelgrippe - Gefährlicher als BSE?' (8.02.04)
'Hühner - Opfertiere auf dem Altar des Kapitalismus' (21.05.03)