26.06.2008

ELENA
Eine gigantische Datenbank

soll Angaben von 40 Millionen Beschäftigten umfassen

Innenminister Wolfgang Schäuble treibt das Projekt ELENA mit aller Kraft voran: Gestern (Mittwoch) beschloß das Kabinett die Einführung des elektronischen Entgeltnachweises. Künftig sollen Daten über das Einkommen und die Arbeitsverhältnisse von rund 40 Millionen Beschäftigten in einer neuen zentralen Speicherstelle erfaßt werden. Alle Beschäftigten in Deutschland sollen gezwungen werden, sich die dafür vorgesehene Chipkarte zuzulegen. Nur mit der digitalen Signatur dieser Karte können dann ab dem 1. Januar 2012 noch staatliche Leistungen wie Arbeitslosengeld oder Wohngeld ausbezahlt werden.

Die Signatur soll auch auf den Daten-Chip von EC- und Kreditkarten oder von neuen Personalausweisen aufgespielt werden können. In Zukunft müssen die Unternehmen die Daten elektronisch an die zentrale Datenbank übermitteln. Dort werden sie dann verschlüsselt und gespeichert. Vorgesehen ist zunächst nur die Erfassung von sechs Bescheinigungen des Sozialrechts. Geplant ist aber ab 2015 alle über 50 Bescheinigungen in das System aufzunehmen.

Die Kosten der Chipkarte sollen den Beschäftigten aufgebürdet werden: 40 Euro für die ersten drei Jahre, später sollen sich die Kosten ermäßigen. Wer sich die Karte nicht leisten kann, soll den Betrag über die Bundesagentur für Arbeit erstattet bekommen. Dafür und für die Anschubfinanzierung von ELENA sind 55 Millionen Euro vorgesehen.

Offiziell sollen die Unternehmen von bürokratischen Lasten befreit werden. "ELENA zeigt eindrucksvoll, daß neue Technologien auch wesentlich zum Bürokratieabbau beitragen können", prophezeit Wirtschaftsminister Michael Glos. Die Unternehmen würden etwa 85 Millionen Euro im Jahr einsparen. DatenschützerInnen hingegen kritisieren ELENA vor allem, weil damit eine weitere zentrale Vorratsdatenspeicherung aufgebaut wird. Die Gefahren einer Bespitzelung der Bevölkerung wachsen damit noch über die hinaus, die bereits durch die Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten gegeben sind.

"Ein direkter Zugriff auf die Datenbank ist weder für interne Mitarbeiter noch für Hacker möglich", versuchte das Wirtschaftsministerium die Befürchtungen zu zerstreuen. Die Gefahr eines staatlichen Mißbrauch und die Mißbrauchsmöglichkeiten im Falle einer Diktatur werden konsequent geleugnet. Ganz konkret ist der Staat jedoch mit ELENA in die Lage versetzt, sich jederzeit Persönlichkeitsprofile und Bewegungsmuster zu beschaffen. Auch bei der Einführung des elektronischen Überwachungssystems für die Autobahn-Maut hatte es zuerst geheißen, diese werde nicht zu anderen Zwecken verwendet. Doch mit dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung lassen sich zuvor zugesicherte Einschränkungen allzu leicht beiseite räumen.

Eine Entschlüsselung - so die Bundesregierung - werde nur dann möglich sein, wenn jemand dies mit seiner persönlichen Signatur erlaubt. Diese Darstellung nennt der schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert "schlicht unwahr". Das Verfahren ermöglicht technisch den zentralen Zugriff auf die Daten ohne die Kenntnis der Betroffenen. Bereits im vergangenen Jahr hat die Gesellschaft für Informatik vor Datenmißbrauch gewarnt, weil die Entschlüsselung der Daten mit einem hinterlegten Masterkey (einer Art elekronischem Generalschlüssel) leicht möglich sei. Nicht nur staatliche Strafverfolgungsbehörden und Geheimdienste könnten Zugang zu den Daten erlangen, sondern auch Unternehmen, die an Informationen über Konkurrenzfirmen interessiert sind, ebenso wie Banken, Versicherungen oder Inkassofirmen. Es entstehe also eine "datenschutzwidrige zentrale Großdatenbank ohne echte Verschlüsselung", so Thilo Weichert.

Im Gegensatz hierzu beschwichtigt der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar: er habe "keine Bedenken", da er in die Entwicklung von ELENA eingebunden worden sei. Zusammen mit Weichert jedoch kritisieren die Datenschutzbeauftragten der Länder seit fünf Jahren das Konzept von ELENA, das in seinen Grundstrukturen bis heute unverändert geblieben ist. Eine von diesen vorgeschlagene Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, die ein höheres Maß an Sicherheit gegen unbefugte zentrale Zugriffe auf die Daten geboten hätte, wurde - aus unbekannten Gründen - nicht realisiert.

Den Beteuerungen der Bundesregierung, die Daten unterlägen einer strengen Zweckbindung, erscheint nach dem beschlossenen Zugriff per Vorratsspeicherung auf Telefon- und Internetdaten und nach der Erlaubnis zur Online-Durchsuchung privater Computer wenig glaubwürdig. Denn ELENA bietet die technischen Möglichkeiten eines Zugriffes zum Zweck einer weitgehenden Überwachung der Bevölkerung. Zwanzig Jahre nach dem Volkszählungsboykott scheint die Bundesregierung gewillt, alles zu unternehmen, um die Sensibilität für die Brisanz des Datenschutzes wiederzuerwecken.

 

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Anmerkungen

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