14.01.2005

Bundesadler plumbum

Daß dem deutschen Seeadler seit Jahrzehnten mehr Schutz und Zuwendung des amtlichen Naturschutzes zuteil wurde als anderem Gefieder, hatte einen einfachen Grund: Prestige. Auch wenn der mit gespreizten Flügeln an die Stirnwand des Bundestages genagelte Vogel vom Volksmund despektierlich als "fette Henne" oder gar "Reichsgeier" bezeichnet wird und nur wenige tatsächlich wissen, was das Relikt aus Zeiten feudaler Heraldik darstellen soll, Vorlage unfähiger Künstler war nach einhelliger Heraldiker-Meinung der Seeadler.

Doch nunmehr zeigt sich, daß ein "Naturschutz", der nur im Kurieren an Symptomen verhaftet bleibt, auf die Dauer auch mit noch so großem Aufwand der kapitalistischen Zerstörungswut letztlich unterliegen muß. Obwohl Blei (chemische Bezeichnung: plumbum) schon seit langem aus deutschem Benzin weitestgehend verbannt ist, muß konstatiert werden, daß der deutsche Seeadler massiv unter Bleivergiftung leidet und so - einmal mehr - von der Ausrottung bedroht ist.

Ein vor wenigen Tagen bei Dahme (Kreis Teltow-Fläming) krank aufgegriffener und in die Tierklinik Düppel eingelieferter Seeadler ist Opfer einer Bleivergiftung geworden. Dies teilte die konservative und aus dem 'Deutschen Bund für Vogelschutz' hervorgegangene Umweltorganisation NABU, Landesverband Brandenburg, heute mit. Eine Blutuntersuchung hatte Bleiwerte ergeben, die einer tödlichen Dosis nahe kommen. Der NABU hatte bereits in der Vergangenheit wiederholt auf das Problem der Bleivergiftung hingewiesen. NABU-Geschäftsführer Wolfgang Mädlow rekapituliert: "Von 91 in Brandenburg in den letzten Jahren tot oder krank aufgefundenen Seeadlern hatten 32 eine tödliche Bleivergiftung, und weitere sechs wiesen erhöhte Bleiwerte in den Organen auf."

Ursache der Bleivergiftung ist nach wissenschaftlichen Erkenntnissen die Verwendung von Bleimunition bei der Jagd. Seit langem ist bekannt, daß viele Wasservögel, die bei der Jagd mit Bleischrot nicht tödlich getroffen werden, die Schrotkugeln im Körper tragen. Solche geschwächten Vögel werden leicht Beute von Seeadlern, die das Blei mit der Nahrung aufnehmen. Auch von Jägern im Gelände liegengelassene Organreste von getöteten Wildtieren, im Jäger-Jargon "Aufbruch" genannt, enthalten in der Regel Bleikugel, die von den Seeadlern mit gefressen werden.

Bei einigen vergifteten Seeadlern fanden sich im Magen noch Fragmente von Bleimunition. Mädlow: "Der Seeadler steht am Ende der Nahrungskette, so daß es bei ihm schnell zu tödlichen Bleikonzentrationen kommt. Das deutet aber auf ein grundsätzliches Problem mit Blei in unserer Umwelt hin."

Das Problem ist schon lange bekannt und hat in anderen Ländern Eingang in gesetzliche Regelungen gefunden. So ist in den USA, Kanada, der Schweiz, Großbritannien und Schweden der Einsatz von Bleischrot bei der Wasservogeljagd verboten, während Dänemark und die Niederlande ein Totalverbot für Bleischrot ausgesprochen haben. Deutschland hatte sich im Rahmen der Bonner Konvention zum Schutz wandernder Tierarten verpflichtet, bis zum Jahr 2000 Bleischrot bei der Wasservogeljagd zu verbieten. Dies ist aber - wie so vieles - von "Rot-Grün" vergessen und nur von einigen Bundesländern umgesetzt worden.

Auch Brandenburg hat bei der Novellierung des Landesjagdgesetzes im vergangenen Jahr auf Druck der Jäger-Lobby vergessen, eine derartige Regelung aufzunehmen. In Brandenburg kommen mehr als ein Drittel aller deutschen Seeadler vor. Eine "Altlast" aus der Zeit vor 1990: Im Artenschutz hatte die DDR in mancher Hinsicht die Nase vorn, auch wenn zugleich durch schwefelhaltige Kraftwerksabgase und Uranabbau ganze Landschaften zerstört worden waren.

 

Frank Bayer

 

Anmerkung:

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