20.09.2007

Afghanische Politikerin Malalai Joya
fordert Änderung der US-amerikanischen
und deutschen Politik

Gestern (19. September) fand in der Berliner Volksbühne eine von der Linkspartei organisierte Veranstaltung mit der afghanischen Politikerin Malalai Joya statt. Im Zentrum stand die Situation der afghanischen Frauen - ein Thema das nicht nur in Deutschland dazu mißbraucht worden war, den Afghanistan-Krieg zu rechtfertigen.

Malalai Joya wurde 2003 international bekannt, nachdem sie vor der Loya Jirga (verfassungsgebende Versammlung) in einer Rede kein Blatt vor den Mund nahm und die Anwesenheit von Warlords und Kriminellen brandmarkte. Sie wurde aus der Versammlung verwiesen und erhielt seitdem mehrfach Morddrohungen. Dennoch ließ sie in ihrem Kampf für die Rechte der afghanischen Frauen, für Demokratie und gegen die Korruption der Regierung ihres Landes nicht nach. Bei den Parlamentswahlen in der Provinz Farah wurde sie auf Grund ihres anhaltenden Kampfes für Gerechtigkeit 2005 gewählt und erhielt ein Mandat. Ihre fortwährende Kritik an der Präsenz von Kriegsverbrechern im afghanischen Parlament und der aus ihrer Sicht undemokratischen afghanischen Regierung führte zum Entzug ihres Mandats im Mai 2007. Seitdem kämpft Malalai Joya für eine Rückgabe des Mandats und fordert weiterhin die Umsetzung demokratischer Grundrechte für Frauen und einen gerechten Frieden in Afghanistan.

In Berlin kritisierte Malalai Joya vehement den US-amerikanischen und deutschen Militäreinsatz in Afghanistan. Die USA unterstütze Fundamentalisten in der Regierung, die nach Joya ähnliche Ideen wie die Taliban vertreten. Seit den militärischen Einsätzen in Afghanistan sei die Situation vor Ort schlechter als zuvor. Unzählige Gewaltverbrechen an Mädchen und Frauen, die höchste Müttersterblichkeitsrate der Welt und eine durchschnittliche Lebenserwartung von 44 Jahren verdeutlichen die katastrophale Lage der afghanischen Frauen.

Selim Caliskan, Mitarbeiterin der in Afghanistan tätigen Nichtregierungs-Organisation 'Medica Mondiale', bestätigte diese Angaben. Sie hob die stetige häusliche, traditionelle und strukturelle Gewalt, der afghanische Frauen überall ausgesetzt seien, hervor. Weibliche Familienmitglieder dienen nicht selten der Konfliktlösung zwischen Familien, teils werden sie wie Gegenstände und Tiere gehandelt, um Probleme aus der Welt zu schaffen. Die Liste der Verbrechen der Männer an ihren eigenen Töchtern und Frauen sei lang. Die Reduzierung der im Alltag herrschenden Gewalt ist nach Ansicht Calikans ein erster Schritt, um "unten anzufangen" und schließlich auch die bewaffnete Gewalt einzudämmen.

Das in Deutschland als "Erfolgsrezept" gehandelte " zivil-militärische Konzept wies sie mit deutlichen Worten zurück. Zwar gäbe es viele Entwicklungsorganisationen, die gute Arbeit leisten, jedoch wären diese stark eingeschränkt, da ihre Einsätze nur dort unterstützt würden, wo auch die Bundeswehr sei. Die Tatsache, daß die Entscheidungen über Beginn und Durchführungen von Projekten der Verantwortung der militärischen Komponenten und nicht ansässigen zivilen Organisationen unterläge, schränke die Arbeit von Entwicklungsdiensten und Menschenrechtsorganisationen ebenfalls stark ein. Für die Organisationen sei es außerdem oft gefährlich, mit dem Militär in Verbindung gebracht zu werden, was den Druck auf die Menschenrechtler und Helfer steigere.

Malalai Joya will ihren Kampf für Demokratie und Frieden weiterhin fortsetzen, auch wenn sie sich in Afghanistan nicht ohne Leibwächter bewegen kann. Sie bezeichnet sich selbst als "voice of the voiceless", Sprachrohr der zum Schweigen gebrachten, als Hoffnungsträgerin eines großen Teils der afghanischen Bevölkerung, der nichts gegen die Korruption innerhalb ihrer Regierung, ausgeführt durch Warlords, Drogenbarone, Kriegsverbrecher und Fundamentalisten, häufig auch noch durch ausländische Gelder unterstützt, unternehmen kann. Joya hält ausländische Hilfe definitiv für notwendig, bei einem schlichten Abzug der Truppen wäre die Wahrscheinlichkeit eines Bürgerkriegs oder einer erneuten Machtübernahme der Taliban extrem hoch. Dennoch fordert sie die EU auf, nicht einfach der US-amerikanischen Afghanistan-Politik zu folgen, sondern vielmehr Druck auf die USA auszuüben, die Strategie zu verändern.

Kriegsverbrecher und Warlords im Parlament müßten entmachtet und entwaffnet werden und vor ein internationales Tribunal gestellt werden. Auch die Verwaltung der Gelder, die nach Afghanistan fließen müsse einerseits der Kontrolle der korrupten Regierung entzogen werden und außerdem, wie auch Caliskan forderte, zu einem größeren Anteil tatsächlich in zivile Maßnahmen investiert werden. "Mit dem vielen Geld, das bereits in Afghanistan investiert wurde, könnte man theoretisch zwei komplette Afghanistan aufbauen", so Joya.

Es gehe also nicht darum, die Unterstützung vom Ausland einzustellen. Doch momentan bekomme die afghanische Bevölkerung nicht viel mehr zu sehen als Militär. 90 Prozent der AfghanInnen sind arm, über 40 Prozent arbeitslos und der Großteil wünscht sich nicht mehr als Essen, Wasser, Gesundheit und Sicherheit. Die eigentliche Aufgabe der "Internationalen Gemeinschaft" sollte sein, dafür zu sorgen, daß keine Kriminellen die Regierung bilden und Gelder für Militär und zivilen Wiederaufbau zumindest in einem ausgeglichenen Verhältnis stehen.

Nach Ansicht von Doktor Matin Baraki (Universität Marburg) sei es bei den Bundeswehr-Einsätzen nie wirklich um Demokratisierung und Stabilität in Afghanistan gegangen. Vielmehr sei ein "knallhartes strategisches Interesse" der Grund für die Anwesenheit. Der zentralasiatische Raum und die Golfstaaten würden von immer größerem geostrategischen Interesse und auch die Bundesrepublik wolle mit Hilfe von ISAF an der Besetzung ganz Afghanistans teilhaben. Laut Baraki seien in der afghanischen Regierung aktuell drei Warlords und sonst nur afghanisch-europäische beziehungsweise afghanisch-amerikanische Mitglieder.

Im Anschluß an die Diskussion wurde der Film 'Enemies of Happiness' gezeigt. Er dokumentiert die letzten Tage vor der Wahl Malalai Joyas im Jahr 2005 und ihre Versuche, die Bevölkerung zu einem anderen Denken zu bewegen. Ihre Rolle als Hoffnungsträgerin verschiedener Generationen und beider Geschlechter wird darin sehr deutlich.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe unsere Artikel:

      Afghanistan: Raubzug ohne Rücksicht
      Mohnernte liefert neuen Drogenrekord (27.06.07)

      Deutsche Soldaten in Afghanistan zeigen ihr wahres Gesicht
      Der Skandal ist die militärische Normalität (25.10.06)

      Medica Mondiale bestätigt: Der Afghanistan-Krieg
      brachte keine Verbesserung für die Lage der Frauen (24.08.04)

      Rechtfertigung für Afghanistan-Krieg
      läßt auf sich warten (27.05.04)

      B-T-C Baku-Tbilissi-Ceyhan
      Gezerre um das eurasische Pipeline-Netz (7.08.03)

      Afghanistan - Eine Bilanz der "Befreiung" (23.05.03)

      Anklagepunkte zur Amtsenthebung (Impeachment)
      gegen US-Präsident George W. Bush (10.03.03)

      Krieg ist Frieden (28.11.01)

 

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