30.11.2007

Heroin für die Welt

Afghanistan bricht unter US-Protektorat alle Rekorde

Der einzige Wirtschaftssektor, der in Afghanistan boomt, ist die Opium-Produktion, sind die Labors, die aus Opium Heroin produzieren. 93 Prozent des gesamten Heroins, das in Westeuropa auf dem Markt ist, stammt nach Schätzung der Vereinten Nationen aus Afghanistan. Alle anderen Wirtschaftsbereiche stagnieren seit Jahren oder sind durch ein Vierteljahrhundert Krieg fast restlos vernichtet worden.

Opium-Produktion in Afghanistan

Afghanistan war einst landwirtschaftlicher Selbstversorger. Noch in den Siebziger Jahren war Afghanistan der weltweit größte Exporteur von Rosinen. Heute sind selbst nach Auskunft des Mitglieds der afghanischen Marionetten-Regierung, das als "Wirtschaftsminister" fungiert, 99 Prozent aller Waren auf afghanischen Märkten Importwaren.

Der in Afghanistan gebürtige Politologe Matin Baraki, Dozent an den Universitäten Marburg, Münster, Kassel und Gießen, war Zeitzeuge der Sowjetbesatzung Afghanistans ebenso wie dessen Talibanisierung. Und auch die Zustände im Lande seit dem Einmarsch des US-Militärs kennt er aus eigener Anschauung. Baraki sagt: "Die afghanische Wirtschaft ist vor allem seit der Invasion der USA zerstört. In Afghanistan wird nichts, überhaupt nichts, produziert. Außer Mohn. (...) Seit der Besetzung durch USA und NATO wird in allen 32 Provinzen Afghanistans Mohn angebaut und zu Drogen verarbeitet."

Unter den Augen der USA verdienen Warlords und auch Verwandte des Marionetten-Präsidenten Hamid Karzai am Drogenhandel. Baraki erklärt: "Die Drogenbarone sind zum Teil Minister, Gouverneure, Generäle. Als ich vor zwei Jahren in Afghanistan war, wurde der britische Botschafter einbestellt zum Präsidenten Karzai, weil die britische diplomatische Vertretung einen Bericht veröffentlicht hatte, daß der Bruder Karzais, beziehungsweise die gesamte Familie Karzai, im Drogengeschäft mitmacht. Der Botschafter ist abberufen worden. Und heute pfeifen alle Spatzen von den Dächern, daß die Familie Karzai ganz tief im Drogengeschäft mitmacht. Ein Bruder von Karzai, er ist Ratsvorsitzender der Provinz Kandahar, kassiert jährlich 20 Millionen Dollar Schutzgelder von Drogenhändlern. Es gibt im afghanischen Innenministerium verschiedene Staatssekretäre. Einer von denen ist zuständig für Drogenbekämpfung. Und seine gesamte Familie betreibt selber Drogenhandel."

Auf 193.000 Hektar wurde 2007 der Stoff angebaut und erreichte laut UNO mit 8.200 Tonnen - 34 Prozent mehr als 2006 - einen neuen Rekord. Den Taliban gelang es zwar - mit brachialen Methoden - den Opiumanbau fast vollständig zum Erliegen zu bringen, doch mit humanen Methoden wird das Problem nicht in Afghanistan zu lösen sein. Nur wenn die weltweite Nachfrage nach Heroin gestoppt wird, verspricht der Anbau von Mohn in Afghanistan keinen Profit mehr. Das Beispiel Elfenbein und der über viele Jahre zusammengebrochene Markt für illegales Elfenbein zeigt, das dies möglich wäre.

Derzeit liefert ein Hektar mit Weizen 546 US-Dollar - mit Opium jedoch 5.200 US-Dollar. Die Produktionsrekorde der letzten Jahre haben zwar zu einem Preisverfall geführt. So wurden 2005 noch 200 US-Dollar für ein Kilo Roh-Opium bezahlt, sind es jetzt im Norden Afghanistans nur noch rund 30 US-Dollar. Doch dies heizt die Produktion nur noch weiter an, da eine höhere Produktionsmenge das Defizit auszugleichen verspricht.

Mit dem Büro der Vereinten Nationen für Suchtstoff- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) werden im ganzen Land mit 500 Millionen US-Dollar alternative Anbauprojekte finanziert. Ebensogut könnte in Deutschland jedem Heroinsüchtigen monatlich ein Euro ausbezahlt werden, um ihn so für eine Therapie zu motivieren. Daß bei einer solch lächerlichen finanziellen Basis alternative Anbauprojekte für Pistazien, Aprikosen, Pfirsiche, Mandelbäume oder gar Rosenstöcke, aus denen Rosenöl für den Export gewonnen werden soll, zum Scheitern verurteilt sind, ist vielen gutgläubigen EntwicklungshelferInnen in Afghanistan, die dabei viel Energie und Jahre ihres Lebens sinnlos vergeuden, nicht klar.

Wohin ein Großteil der Entwicklungshilfe-Gelder fließt, zeigt folgendes Beispiel. Eines der wenigen sichtbaren Projekte, das von der US-amerikanischen Agentur für internationale Entwicklung (US Aid) finanziert wurde, ist der Bagrami Industrial Park bei Kabul. Dort hat Coca-Cola im Dezember 2005 eine Fabrik für 25 Millionen Dollar gebaut. Es ist die größte ausländische Investition seit dem Fall der Taliban. Ebenso grotesk - und vorbei an den Bedürfnissen der AfghanInnen - ist die Zuckerfabrik in Baghlan, wo Anfang November zahlreiche afghanische Parlamentarier und Zivilisten ermordet wurden. Sie gilt als Vorzeigeprojekt und laut Springers 'Welt' als "Symbol einer wirtschaftlichen Entwicklung jenseits des Mohnanbaus". Doch auch die 'Welt' muß im Jahr 6 des US-Protektorats in Afghanistan eingestehen: "Erfolge mit dem Wiederaufbau ehemaliger Industrie- und Anbaustrukturen lassen noch auf sich warten."

Tatsächlich geht es in Afghanistan weder um Terrorbekämpfung noch um Aufbauhilfe. Für Aufbauhilfe wird lediglich so viel Geld aufgewendet, um vor der Weltöffentlichkeit notdürftig Illusionen aufrecht zu erhalten und zugleich den Blick davon abzulenken, daß es in dieser Weltregion um knallharte strategische Interessen geht. Dies zeigt sich allein schon an den offiziellen Zahlen, die zwar kaum publiziert werden, aber öffentlich zugänglich sind: Demnach wurden seit 2002 für den Krieg in Afghanistan 85 Milliarden US-Dollar aufgewandt und lediglich 7,5 Milliarden unter dem Titel "friedlicher Aufbau von Entwicklung in Landwirtschaft, Gesundheit, Ausbildung und Straßenbau". Die deutschen Militär- und Entwicklungshilfe-Ausgaben "für Afghanistan" stehen in einem ähnlich krassen Verhältnis: 530 Millionen Euro zu rund 100 Millionen Euro laut offiziellen Angaben.

Kurz nach dem Sturz der Taliban im Oktober 2001 verkündete US-Präsident Georhge W. Bush, daß "die Frauen Afghanistans jetzt frei" seien. Doch wie zahllose unabhängige Berichte in den vergangenen sechs Jahren immer wieder gezeigt haben, hat sich an der Situation der afghanischen Frauen nichts zum Besseren gewandelt. Auch die "Befreiung der afghanischen Frauen" war nur ein weiterer Vorwand für den Afghanistan-Krieg.

Die Besetzung Afghanistans durch die USA - und die Beihilfe zweitrangiger Mächte wie Deutschland hierbei - hat denselben Grund wie die einstige Besetzung durch die Sowjetunion. Afghanistan ist ein Land von großer geostrategischer Bedeutung. Matin Baraki meint: "Das war immer so in der afghanischen Geschichte, und diese geostrategische Bedeutung ist zum Verhängnis geworden für Afghanistan." Nicht Deutschlands Sicherheit wird am Hindukusch verteidigt, wie der SPD-Fraktions-Chef Peter Struck einmal erklärte, sondern die Rohstoffversorgung der USA.

Unter den 4000 Meter hohen Bergen des Hindukusch liegt Afghanistan im Schnittpunkt zwischen der erdöl- und erdgasreichen Region um das Kaspische Meer. Es ist Transitland für Pipelines zum Indischen Ozean und zum Schwarzen Meer. Baraki führt hierzu aus: "Afghanistan hat Pakistan als Nachbarn, im Osten. Pakistan ist einer der wichtigsten Verbündeten der Vereinigten Staaten. Im Westen haben wir Iran, einen der wichtigsten Rohstoff-Exporteure der Welt. Im Norden haben wir Mittelasien, nicht so weit Kaukasus. Und von Afghanistan aus ist es bis zum Irak, bis zur Region, aus der das schwarze Gold kommt, ein Katzensprung. Afghanistan ist ein unsinkbarer Flugzeugträger für die Vereinigten Staaten und jetzt auch für die NATO. Darin liegt die Bedeutung dieses Landes."

2001 wollten die Taliban den Bau einer Gas-Pipeline vom Kaspischen Meer zum Indischen Ozean nicht dulden. So machten sie sich bei den Mächtigen der USA verhaßt, die sie einst gefördert hatten, um mit ihrer Hilfe der Sowjetunion eine schwere Niederlage zuzufügen. In den 1980er Jahren waren die Taliban, die Mudjaheddin und die War-Lords von den USA mit enormen finanziellen Mitteln und Waffenlieferungen aufgepäppelt worden. Es ist dasselbe Spiel, das die USA auch mit Saddam Hussein trieben. Zunächst war er von den USA gegen den Iran aufgebaut und von Rumsfeld höchstpersönlich hofiert worden. Erst als er nicht mehr wie eine Marionette funktionierte, wurde er zum Feind der USA erklärt.

Wie zuvor die Mudjaheddin, die sich nach ihrem Sieg über die Sowjetunion gegenseitig blutig bekämpften, wurden die Taliban von den USA als Handlanger zur Durchsetzung ihrer Interessen und Ölgelüste groß gemacht, finanziert und von Pakistan nach Afghanistan eingeschleust. Denn die Mudjaheddin behinderten durch ihren Bürgerkrieg die "Befriedung" des Landes. An der war den USA gelegen - Ruhe sollte herrschen auf dem "unsinkbaren Flugzeugträger". Diese sollten die Taliban herstellen. Doch dieser Plan ging nur für wenige Jahre auf. Dann wurden auch die Taliban zu "eigensinnig". Nach dem 11. September 2001 war es dann leicht, sie zu Terroristen, Islamisten und Frauenschindern zu erklären. Falsch war das zwar nicht - doch neu war es ebensowenig und den US-Mächtigen längst bekannt, bevor sie die Taliban aufbauten.

Doch Baraki kennt seine Landsleute. Sie haben fremde Besatzer zwar "schon oft erdulden müssen, aber doch nie ertragen." Fremde Besatzer sind in Afghanistan bislang stets gescheitert, vor den Sowjets hatten sich bereits die Briten an Afghanistan die Zähne ausgebissen. Eine historische Lehre, die sich auch die Deutschen vor Augen halten müßten, warnt Baraki.

"Das afghanische Volk hat die Nase voll von fremden Besatzern. Auch von deutschen. Vor allem, seit die Deutschen dem Tornado-Einsatz zugestimmt haben. Als der Tornado-Einsatz hier in der Diskussion war, war ich in Afghanistan. Da haben mir die Afghanen erklärt: Das ist eine Kriegserklärung an unsere Adresse. Weil die Tornados Bedingungen schaffen für Bombardements seitens der NATO und der USA. Davor hatte man eine relativ positive Einstellung zu den Deutschen. Aber jetzt sind die Deutschen Teil der kriegführenden Mächte. Und auch deswegen hat es danach mehrere Anschläge gegeben, bei denen auch deutsche Soldaten ums Leben gekommen sind," erklärt Baraki.

Vor wenigen Tagen wurden bei einem Bombardement der ISAF vierzehn afghanische Straßenarbeiter getötet. ISAF und OEF hatten sich erst im September neue Einsatzregeln verordnet, wodurch die afghanische Bevölkerung vor weiteren "Kollateralschäden" bewahrt werden sollte. Offenbar dienen diese Regeln jedoch nur der Außendarstellung. Denn ob Geheimdienst-Informationen falsch waren - wie zur Rechtfertigung vorgebracht wurde - oder auch nicht: Ein Gelände zu bombardieren, aus dem kein militärischer Angriff erfolgte oder wo gegnerisches Militär geortet wurde, widerspricht selbst dem Kriegsrecht. Es stellt sich die Frage, ob die ISAF, die als Schutz- und Wiederaufbautruppe bezeichnet wird, nichts von den Straßenbauarbeiten im Zielgebiet wußte oder ob die Toten bewußt in Kauf genommen wurden. Ebenso muß gefragt werden, ob es unter der Hand bereits zum ISAF-Mandat gehört, wenn auf der Basis von Geheimdienst-Informationen Jagd auf Terroristen gemacht wird und ob deutsche Tornados für die Zielplanung dieses Bombardements genutzt wurden.

Außer für einige wenige, deren Profite steigen, kommt die Besetzung Afghanistans für die Mehrzahl der Deutschen - an Menschenleben und finanziell - um so teurer zu stehen, je länger sie andauert.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe unsere Artikel:

      Frauen werden als Währung gehandelt
      Ungebrochene Warlord-Kultur in Afghanistan (6.10.07)

      Afghanistan: Raubzug ohne Rücksicht
      Mohnernte liefert neuen Drogenrekord (27.06.07)

      Deutsche Soldaten in Afghanistan zeigen ihr wahres Gesicht
      Der Skandal ist die militärische Normalität (25.10.06)

      Medica Mondiale bestätigt: Der Afghanistan-Krieg
      brachte keine Verbesserung für die Lage der Frauen (24.08.04)

      Rechtfertigung für Afghanistan-Krieg
      läßt auf sich warten (27.05.04)

      B-T-C Baku-Tbilissi-Ceyhan
      Gezerre um das eurasische Pipeline-Netz (7.08.03)

      Afghanistan - Eine Bilanz der "Befreiung" (23.05.03)

      Krieg ist Frieden (28.11.01)

 

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