Die Geschichte von Tante Emma und den Supermärkten wiederholt sich
In einer alten Folge der Bibi-Blocksberg-Geschichten hilft die junge Hexe der Besitzerin eines kleinen Tante-Emma-Ladens "an der nächsten Ecke" gegen den Raffzahn, der nur wenig davon entfernt, einen Supermarkt "auf der grünen Wiese" aufgemacht hat. Wer inzwischen erwachsene Kinder hat, kann sich vielleicht noch an diese Geschichte erinnern, die heute geradezu sozialrevolutionär anmutet. Lang, lang ist her...
Heute, eine Generation später, verdrängen nun mehr und mehr Biosupermärkte die kleinen Bioläden. Allein in den ersten fünf Monaten dieses Jahres wurden bundesweit über 20 neue Biosupermärkte eröffnet. Nachdem sich Neueröffnungen und Schließungen kleiner Bioläden bei geringen Zuwächsen bis vor wenigen Jahren ungefähr die Waage hielten (2003: insgesamt 121 Schließungen und 129 Neueröffnungen), steigt die Zahl der kleinen Läden, die dem kapitalistischen Wettbewerb nicht mehr standhalten können, rapide an. Die Gründergeneration der Bioläden hat zunächst in einer Nische einen neuen Markt geschaffen - nun kann sie abtreten. Einzelne allerdings haben noch rechtzeitig die Seiten gewechselt.
Trotz eines Booms in der Biobranche mit Umsatzzuwächsen von durchschnittlich 12 Prozent in 2004 sterben immer mehr kleine Bioläden. Dies muß insbesondere vor dem Hintergrund einer Stagnation und eines unerbittlichen Preiskampfes im gesamten Lebensmitteleinzelhandel gesehen werden. Laut einer von der Beratungsfirma 'Ecozept' Ende 2004 durchgeführten Befragung, bei der 165 NaturkostfachhändlerInnen nach dem Zufallsprinzip ausgewählt wurden, mußten 43 Prozent der Läden einen Umsatzrückgang im Jahr 2004 verbuchen.
Besonders deutlich wird das Sterben der kleinen Bioläden in Großstädten wie München, Hamburg oder Frankfurt. Als in München mit 'basic' der erste Biosupermarkt eröffnet wurde, mußten in kurzer Zeit eine ganze Reihe von kleinen Bioläden schließen. Im Raum Hamburg gaben allein zwischen Herbst 2002 bis Frühjahr 2004 insgesamt 14 kleine Bioläden auf, bezeugt Robert Jaurei von der 'Stadt-Land-Genossenschaft'. Auch in Berlin ist die Zahl der Bioläden rückläufig, wie Mario Schulz, Geschäftsführer des Biogroßhandels 'Kormoran' bestätigt. Von einem Ladensterben aber will noch niemand in der Bioszene reden.
Typisch ist in diesem Zusammenhang eine Äußerung von Martin Völkner, seit 28 Jahren in der Bio-Branche und früherer Besitzer zweier Bioläden in Frankfurt: "Die alten Bioläden, wie wir sie gekannt und aufgebaut haben, werden zu einem großen Teil verschwinden. Das klingt vielleicht etwas zynisch, aber mit Blick auf den gesamten Biohandel, gibt es genug Anzeichen, daß all die wenig geschätzten Auswirkungen der Globalisierung auch unsere Branche nicht nur beeinflussen, sondern gründlich verändern. Ich bin im übrigen kein Gegner von Biosupermärkten und kann mir durchaus vorstellen, einen solchen zu betreiben beziehungsweise in einem solchen zu arbeiten."
In Frankfurt mußten unmittelbar nach der Eröffnung eines Biosupermarkts die drei Bioläden 'Malm', 'Lebensbaum' und 'Rote Rebe' schließen. Der Bioladen 'Distel', wie 'Malm' nur wenig entfernt vom 'Alnatura'-Supermarkt und seit 29 Jahren in Frankfurt einer der Bio-Pioniere, berichtet von Umsatzeinbußen um die 30 Prozent. Die 'Distel' mußte MitarbeiterInnen entlassen und Kosten reduzieren, damit es eben noch so fürs Überleben reicht. Die Inhaberin der 'Roten Rebe', Mechthild Dehler, bekam zugleich von einem nahen basic'-Biosupermarkt Konkurrenz. Trotz Entlassungen und einem einsichtigen Vermieter, der einen Mietnachlaß gewährte, mußte sie Ende Juni dieses Jahres schließen.
Für die meisten kam dies überraschend, da sie nicht damit gerechnet hatten, daß die Konkurrenz derart ruinös sein würde. Martin Völkner merkt dazu mit leicht verbittertem Ton an, daß es sehr schnell bei der Kundschaft zu einer Abstimmung mit den Füßen kam. Selten wird dabei registriert, daß die KonsumentInnen sich - ähnlich wie bei der Entwicklung von vielen kleinen Tante-Emma-Länden hin zu wenigen großen Supermärkten - dabei ins eigene Fleisch schneiden. Denn weit überwiegend wird nicht mehr zu Fuß eingekauft, sondern das Auto wird heute zum Einkauf im "nahegelegenen" Supermarkt benutzt. Viele reden sich dabei selbst ein, das falle nicht ins Gewicht, da sie auf dem Heimweg von der Arbeit ohne "nennenswerten Umweg" zum Einkaufen führen. Und einen Teil der externen Kosten zahlt nicht nur die Umwelt, sondern sie werden in Form von Arbeitsplatzabbau an die KonsumentInnen zurück gereicht.
Obendrein erbittert es viele ehemalige Bioladen-BesitzerInnen, daß Biosupermärkte häufig ganz bewußt und gezielt in der Nähe alteingesessener Bioläden eröffnet wurden. Inzwischen trifft es nicht mehr allein die kleinen Bioläden, sondern auch mittlere: 'Pluspunktbio' war noch bis vor kurzem der zweitgrößte Bioladen in Essen. Nur 30 Meter entfernt eröffnete 'basic' einen Biosupermarkt mit einer Fläche von rund 1000 Quadratmetern. Über 30 Prozent Umsatzrückgang mußte 'Pluspunktbio' nach eigenen Angaben innerhalb weniger Wochen verkraften. Berhard Burdick von der 'Verbraucherzentrale NRW' vermeint dagegen sogar Synergie-Effekte ausmachen zu können: "Wir beobachten, daß Biosupermärkte neue, andere Käuferschichten ansprechen, die sich möglicherweise gar nicht über die Schwelle der üblichen Naturkostläden getraut hätten und so das Potential für Bio verbreitern."
Vor dreißig Jahren gab es auch Optimimus, daß die Lebensmittelläden auf dem Dorf, die kleinen Postfilialen oder gar die Sparkassenfilialen unmöglich verschwinden könnten.
Adriana Ascoli
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
'Öko-Landwirtschaft -
von "Rot-Grün" verraten und von "Schwarz-Gelb" bekämpft'
(10.06.05)
'Öko-Landwirtschaft in Deutschland ausgebremst' (25.02.05)
'Künast als Terminatorin der Öko-Landwirtschaft?' (19.03.05)
'Auch bei Öko-Essen und Öko-Strom:
Nur Lippenbekenntnisse' (25.01.04)
'5-mal am Tag: Obst und Gemüse' (8.02.03)
'Wahlfreiheit zwischen Gen-Futter und Gen-Futter' (22.04.04)
'Agrar-Wende - Nichts als heiße Luft' (24.01.04)