Die am 15. Mai begonnenen Massenproteste in Spanien halten an. Das regierende Zwei-Parteien-System PSOE & PP reagiert völlig konzeptlos. Der zentrale Madrider Platz Puerta del Sol wurde mittlerweile zu einem mit dem ägyptischen Tahrir-Platz vergleichbaren Symbol. Er wurde heute abend von der Polizei erneut unter fadenscheinigem Vorwand geräumt.
Am Sonntag, 15. Mai, waren Tausende einem parteiunanhängigen, im Internet verbreiteten Aufruf zu Protesten in über fünfzig spanischen Städten gefolgt. Die Menschen wehren sich gegen den "Ausverkauf des Landes" im Zuge der sich vertiefenden Weltwirtschaftskrise. Spanien steht nach Irland, Griechenland und Portugal vor der Staatspleite.
Bereits am frühen Dienstag hatte die spanische Polizei die Puerta del Sol brutal geräumt. Doch im Laufe des Tages besetzten Tausende erneut den Platz. Im Zentrum steht die Parole "Democracia real ya!" (Reale Demokratie jetzt!), die sich gegen das Zwei-Parteien-System von pseudo-sozialistischer PSOE und pseudo-konservativer PP richtet. Das Manifest mit dem Titel "Democracia real ya!" (siehe unseren Artikel vom 16. Mai) verbreitet sich wie ein Lauffeuer. PSOE und PP verfolgten unter ihrem jeweiligen ideologischen Deckmantel eine neo-liberale Politik im Dienste des internationalen Kapitals. Bereits in den Jahren der bis 2004 amtierenden PP-Regierung des Ministerpräsidenten José María Aznar hatte sich in Spanien - ähnlich wie in den USA - eine verhängnisvolle Immobilien-Blase gebildet.
Im Laufe des gestrigen Tages strömten zugleich viele tausend Menschen auf die Plaza de Castilla, um vor dem Gerichtsgebäude die Freilassung von 15 auf der Puerta del Sol Festgenommenen zu fordern. Diese wurden schließlich unter stürmischen Applaus in Empfang genommen und zur Stadtmitte begleitet. In der Nacht wachten nach ägyptischem Vorbild Tausende auf der zentralen Puerta del Sol. So soll die erneute Räumung verhindert werden. In mindestens 27 spanischen Städten gibt es Platzbesetzungen mit Zelten und unter Plastikplanen. Und zugleich wollen die Menschen ein Zeichen setzten, gegen die am Sonntag, 22. Mai, stattfindenden Kommunal- und Regionalwahlen. Mehrheitlich versichern die DemonstrantInnen, weder PSOE noch PP wählen zu wollen.
Nachdem die Mainstream-Medien zunächst überhaupt nicht über die Massen-Proteste in Spanien berichtet hatten, versuchten sie heute das Bild von Jugend-Protesten zu zeichnen. Wenn auch die Arbeitslosigkeit der SpanierInnen unter 25 Jahren nach offiziellen Angaben über 40 Prozent beträgt, zeigen doch die Bilder von den Demonstrationen, daß sich Menschen jeden Alters beteiligen. Völlig absurd ist auch die Behauptung, es handele sich um eine "neue Form des Populismus", denn Populismus bedeutet immer, daß eine (neue) Partei Forderungen von unten aufgreift, um das Wasser so auf die eigenen Mühlen zu lenken. In Spanien jedoch ergreifen heute die Menschen selbst das Wort.
Einen entscheidenden Beitrag zu den Massen-Protesten lieferten die "Call-ins" verschiedener spanischer Radio-Sender wie beispielsweise 'Cadena SER'. Dort kommen SpanierInnen unterschiedlichster Berufe, aber auch Arbeitslose zu Wort. Die Arbeitslosigkeitsrate beträgt in Spanien offiziell 20 Prozent. Häufig wird in den "Call-ins" die weit verbreitete Verachtung für die PSOE- und PP-PolitikerInnen deutlich, denen vorgeworfen wird, es gehe ihnen allein um das eigene Wohlergehen. Bitterkeit und Abwendung angesichts der für die Wirtschaft Spaniens fehlenden Perspektive zeigen allerdings selten neue autoritäre Tendenzen. Die Agression richtet sich mehrheitlich nicht etwa gegen Minderheiten oder Sündenböcke. Die Menschen treten nicht nach unten, sondern setzen sich gegen die "Parteien-Demokratie" zu Wehr. Offenbar besteht bei vielen SpanierInnen eine klare Vorstellung davon, was "Democracia real" bedeuten könnte.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Massenproteste in Spanien
"Democracia real ya!" (16.05.11)
Die Dreckschleudern der Nation
PolitikerInnen und ihre Dienstlimousinen (18.04.11)
...völlig desillusioniert
von Wahlen (12.09.09)
AKW-Laufzeitverlängerung in Spanien
"Sozialistischer" Regierungs-Chef Zapatero
bricht Wahl-Versprechen (3.07.09)
AKW-Unfall in Spanien
Greenpeace ortet Radioaktivität bei Tarragona (8.04.08)
Parlamentarismus überzeugt
immer weniger (30.12.06)
Löst Spanien
den europäischen Wirtschafts-Crash aus? (3.07.04)