Angeblich sollten Internet-Sperren eingeführt werden, um Kinderporno- graphie zu bekämpfen. Zwischenzeitlich stellte sich jedoch heraus, daß dieses Instrument hierfür zwar denkbar ungeeignet ist, jedoch zur politischen Zensur des Internets genutzt werden könnte. Nun hat der Bundestag den von der damals zuständigen Ministerin Ursula von der Leyen forcierten Gesetzentwurf endgültig verworfen.
Schon Ende 2008 hatte sich in der öffentlichen Diskussion die Frage erhoben, ob nicht die Löschung von Internet-Seiten mit kinderpornographischen Inhalten eine effektivere Maßnahme sei als Internet-Sperren, die auch umgangen werden können. Schon damals stellte sich heraus, daß der springende Punkt darin besteht, daß allein für Internet-Sperren schwarze Listen in der Regie der Bundeskriminalamtes (BKA) geführt werden müßten. Solche schwarzen Listen, die täglich aktualisiert werden müssen, wären - notwendiger Weise - geheim und daher nicht demokratisch kontrollierbar.
Spätestens nachdem das Bundeskriminalamt nach anfänglicher Obstruktion eingestehen mußte, daß die Löschung von Internet-Seiten mit kinderpornographischen Inhalten machbar und auch über Ländergrenzen praktikabel ist, brach die Front der BefürworterInnen im vergangenen Jahr nach und nach ein. Allzu fadenscheinig und widerlich waren zudem oftmals die Aussagen der Seite der BefürworterInnen von Internet-Spersen, die nicht selten unterstellten, wer sich hiergegen einsetze, habe ein persönliches Interesse an Kinderpornographie.
Eine unglückliche Rolle spielte der Fall des SPD-Bundestagsabgeordneten und Medien-Experten Jörg Tauss, der sich als einer der ganz wenigen in seiner Partei Sachkenntnis im Bereich IT und Internet angeeignet hatte und sich - in einer Minderheitsposition innerhalb der SPD - gegen die Einführung von Internet-Sperren aussprach. Im März 2009 war bei ihm kinderpornographisches Material bei einer Büro- und Hausdurchsuchung entdeckt worden, was seine Glaubwürdigkeit schwer beschädigte.
Möglicherweise entscheidend für den Verlauf der öffentlichen Diskussion um die Einführung von Internet-Sperren war eine ePetition an den Bundestag, die im Mai 2009 eingereicht wurde und innerhalb weniger Wochen über 100.000 Menschen UnterzeichnerInnen fand (siehe unseren Artikel vom 5.05.09). In der Folge gelangte auch die Problematik ins öffentliche Bewußtsein, daß mit Internet-Sperren eine politische Zensur von linken Internet-Zeitungen ermöglicht würde.
Nun hat der Bundestag heute das bereits seit April dieses Jahres ausgesetzte Gesetz über die Einführung von Internet-Sperren endgültig aufgehoben. Damit wurde nach langem Zögern anerkannt, daß die Zweifel an der Wirksamkeit von Internet-Sperren als Mittel gegen die Verbreitung von Kinderpornographie begründet waren. Eine entsprechende Gesetzesinitiative der Bundesregierung wurde am Donnerstagabend mit Zustimmung aller Fraktionen angenommen. Die - nach wie vor - illegalen Internet-Seiten mit kinderpornographischen Inhalten sollen weiterhin nicht einfach nur gesperrt, sondern dort, wo sie als Dateien bei Internet-Hostern abgelegt werden, gelöscht werden.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Zweiter Anlauf zur Internet-Zensur
(11.04.11)
Erfolg gegen Internet-Zensur
Das Gesetz zur Sperrung von Internet-Seiten fällt (5.04.11)
EU-Kommissarin Malmström
kämpft weiter für Internet-Zensur (17.02.11)
Internet-Sperren und Cecilia Malmström
Unfähig zur Diskussion (15.04.10)
Internet-Zensur nun aus Brüssel?
Vorwand Kinderpornographie und erschreckende
Ignoranz gegenüber Sachargumenten (29.03.10)
Internet-Sperren-Gesetz von der Leyens
soll gestoppt werden (27.12.09)
'aspekte'-Sendung mit Kritik an Internet-Sperren-Gesetz
Ex-Bundesverfassungsrichter Hoffmann-Riem
äußert schwerwiegende Bedenken (1.08.09)
Internet - Kinderpornographie - Vorwand für politische Zensur
Anhörung im Bundestag (4.06.09)
Internet - Kinderpornographie - Vorwand für politische Zensur
Regierung spricht von Gremium zur Kontrolle des BKA (26.05.09)
Gegen politische Zensur des Internets
Online-Petition gegen Internetsperre
am ersten Tag mehr als 16.000 UnterzeichnerInnen (5.05.09)
Mit Stop-Schild gegen Kinderpornos?
Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur gegründet (17.04.09)
wikileaks.de gesperrt
Beginn der Internet-Zensur in Deutschland? (11.04.09)
Hausdurchsuchung bei Inhaber der Domain wikileaks.de
Aktionismus gegen Kinderpornographie
als Vorwand für politische Zensur (25.03.09)
Aktionismus gegen Kinderpornographie
zielt auf Zensur des Internets
Im Visier ist das letzte Kommunikationsfeld
für freie linke Nachrichten (1.02.09)