30.06.2008

Handy-Studien

Betrug oder nicht Betrug?

In den vergangenen Wochen überschlugen sich die Mainstream-Medien mit Entwarnungen: Handy und Mobilfunk-Masten seien nicht gefährlich. Doch zuvor hatten sie kaum je Warnungen verbreitet oder überhaupt kritische Artikel zum Thema veröffentlicht. Hintergrund dieser Entwarnungs-Euphorie war eine Meldung über eine angeblich gefälschte Studie zur Wirkung von Handy-Strahlung an der Wiener Medizinischen Universität.

Mittlerweile hüllt sich der Rektor der Uni, Wolfgang Schütz, in Schweigen. Ende Mai hatte er einen vermeintlichen Skandal an die Öffentlichkeit gebracht. "Frau K. hat sofort gestanden", hatte er gegenüber dem 'spiegel' enthüllt. Ohne Rücksicht auf die ansonsten gebotene Loyalität zu MitarbeiterInnen betrieb Schütz Motiv-Forschung: "Das ist ganz typisch für wissenschaftliche Betrugsdelikte. Nicht selten steckt dahinter eine junge Mitarbeiterin, die sich mit ihrem Chef sehr gut stellen will."

Laborassistentin K. hatte in den Jahren 2000 bis 2004 in der Klinischen Abteilung für Arbeitsmedizin an der Wiener AKH unter der Leitung von Hugo Rüdiger, bis Ende 2007 Chef der Abteilung, einen Teil der EU-weiten Reflex-Studie durchgeführt. Das von der EU geförderte, 3,2 Millionen Euro teure Projekt sollte den Einfluß von elektromagnetischen Feldern niedriger Energie auf menschliche Zellen untersuchen.

Dazu wurden Zellkulturen im Reagenzglas Handy-Strahlung ausgesetzt. Die ForscherInnen arbeiteten mit Feldstärken unterhalb des in Deutschland geltenden Grenzwertes und kamen trotz unterschiedlicher Nachweismethoden zum gleichen Ergebnis: Bereits ab einem SAR-Wert von 1,3 W/kg (der deutsche Grenzwert liegt bei 2 Watt pro Kilogramm) kam es zu Einfach- und Doppel-Strangbrüchen der DNA, des Erbguts.

"Wir haben selbst nicht damit gerechnet, überhaupt jemals etwas zu finden, konnten jedoch Strangbrüche des Erbguts schon bei geringer Dosis feststellen", berichtete Hugo Rüdiger nach Vorliegen der Ergebnisse. Solche DNA-Strangbrüche können ein erhöhtes Krebsrisiko bedeuten, erklärte er, schränkte aber zugleich ein, daß das Ergebnis nicht ohne Weiteres auf den Menschen übertragbar sei.

"Gefährlich sind vor allem die Doppelstrangbrüche, weil sie vom Körper oft falsch repariert werden", erklärte der leitende Prof. Adlkofer, und wies darauf hin: "Veränderungen am Erbgut führen in der Regel zu Krebs. (...) Seit 40 Jahren gilt die Lehrmeinung, daß elektromagnetische Felder zu schwach sind, um das Erbgut zu verändern", sagte Adlkofer, "Unsere Ergebnisse haben jetzt das Gegenteil gezeigt."

Bald nach der Veröffentlichung der Reflex-Studie fuhr die Mobilfunkbranche ForscherInnen auf, die die Ergebnisse anzweifelten. Es sei schlicht fragwürdig, wie eine Studie zu solchen Ergebnissen kommen könne, wo doch bekannt sei, daß eine elektronmagnetische Strahlung von so geringer Energie wie die im Mobilfunkbereich eingesetzte überhaupt keine Auswirkungen auf Zellen haben könne. Angefochten wurde zugleich die statistische Auswertung der Daten.

Im April 2008 kam die Reflex-Studie, über deren Veröffentlichung allenfalls am Rande berichtet worden war, in den Mainstream-Medien groß heraus: Betrug bei der Auswertung der Daten sei im Zusammenhang mit der Refelx-Studie in Wien aufgedeckt worden. Alex Pilger, Laborleiter in der Abteilung für Arbeitsmedizin an der Wiener AKH, hatte in der Tat eine seltsame Entdeckung gemacht: Auf dem Arbeitstisch von Laborassistentin K. fand er ein Notizheft, in dem diese Zahlencodes aufgelistet hatte. Solche Codes dienen der so genannten Doppelverblindung wissenschaftlicher Studien, um Manipulationen auszuschließen. Doch in dem von Pilger vorgefundenen Notizheft waren die Codes entschlüsselt. Pilger schloß daraus nicht nur, daß K. die Codes geknackt, sondern auch die Studienergebnisse aktiv verfälscht habe.

Pilger und der von ihm informierte provisorische Leiter der Arbeitsmedizin, Christian Wolf, führten ein klärendes Gespräch mit Laborassistentin K., nachdem sie auch den Rektor von dem "Fälschungsfall" unterrichtet hatten. Dabei soll die Laborassistentin gestanden haben, die entschlüsselten Codes bereits seit Jahren zu kennen. Das könnte bedeuten, daß die Daten der Reflex-Studie, die mit den gleichen Expositionskammern und Codes durchgeführt wurde, gefälscht waren.

"Um einen nachhaltigen Imageschaden von der Medizinischen Universität abzuwenden", ging nun Rektor Wolfgang Schütz mit einer Pressemitteilung an die Öffentlichkeit: Darin bat er Hugo Rüdiger als Leiter der Wiener Teilstudie sowie den Koordinator des Reflex-Projekts, den Münchener Medizinprofessor Franz Adlkofer, ihre Studienergebnisse zurückzuziehen. Ganz im Sinne der Mobilfunkbranche wurde der Eindruck verbreitet, der Betrug sei bereits nachgewiesen.

"Ich habe über 400 Publikationen veröffentlicht, und es wäre kein persönliches Drama, zwei davon zurückziehen zu müssen", sagt der seit Jahresbeginn emeritierte Hugo Rüdiger. "Aber es geht hier nicht um das Liebesleben der Maikäfer." Sowohl Rüdiger als auch Adlkofer waren bereit, von ihren Studienergebnissen zurückzutreten, obwohl sie nach wie vor von der Richtigkeit der Daten überzeugt sind.

Doch gleich mehrere in der Zwischenzeit bekannt gewordene Auffälligkeiten des Falles veranlaßten sie, von ihrem Vorhaben Abstand zu nehmen: Als Erstes wurde bekannt, daß der Leiter einer von Rektor Schütz einberufenen dreiköpfigen Untersuchungskommission ein Jurist der Mobilkom ist. Den Namen wollte Schütz nicht preisgeben.

Als nächstes fiel auf, daß sich die Kommission von jenen neun Studien, an denen K. mitgearbeitet hatte, nur für jene zwei Untersuchungen aus dem Reflex-Projekt interessierte. Und schließlich wurde offenbar, daß Laborassistentin K. keineswegs Fälschungen an der Reflex-Studie gestanden hatte. Sie hatte lediglich erklärt, um die Weihnachtszeit 2007 von einer Kollegin erfahren zu haben, wie einfach die Codes der Expositionsmaschine zu knacken seien.

Vom österreichischen Nachrichtenmagazin 'profil' befragt, sagt sie: "Ich arbeite seit Jahren mit dieser Maschine, deshalb wollte ich es genau wissen. Das ist einem ja nicht egal." Sie habe im April selbst eine Testreihe gestartet, um herauszufinden, ob die Codes tatsächlich so leicht geknackt werden könnten wie von der Kollegin behauptet. Erst wenn sie sich dessen sicher sein sollte, wollte sie sich an den Laborleiter wenden.

Doch dazu sei es nicht mehr gekommen, nachdem Laborleiter Pilger in K.s Abwesenheit das Notizheft entdeckt hatte. Als Rüdiger davon erfuhr, ließ er sich diese Darstellung von der Laborantin, die inzwischen selbst gekündigt hat, schriftlich bestätigen. Darin heißt es: "Ich erkläre, daß die von Prof. Wolf und DI Pilger unterschriebene Erklärung vom 5.5.2008 - daß ich seit zwei Jahren den Code der Expositionskammer gekannt und somit nicht unter Blindbedingungen gearbeitet habe - unrichtig ist."

Wahr sei vielmehr, daß sie erst im April realisiert habe, wie man herausfinden könne, in welcher der beiden Expositionskammern die Bestrahlung erfolgt. Die beiden im Rahmen des Reflex-Projekts durchgeführten Handystudien habe sie "ausnahmslos unter Doppelverblindung durchgeführt und ausgewertet". Dieses Schreiben legte Rüdiger am 19. Juni einer neuen, von Rektor Schütz einberufenen Kommission vor, welcher der Jurist der Mobilkom nicht mehr angehört.

In dieser Sitzung wurde erstmals klar, daß es das behauptete Geständnis der Laborassistentin nie gab. Doch noch während der Sitzung tauchte plötzlich eine neue, angeblich ebenfalls im Labor gefundene Unterlage mit entschlüsselten Codes auf - diesmal allerdings datiert mit dem Jahr 2005. Frau K. sagt, sie habe dieses Papier weder verfaßt noch jemals gesehen. Zur Klärung dieser Frage ist für den 23. Juli eine neuerliche Sitzung der Kommission anberaumt, in der erstmals auch die Laborassistentin angehört werden soll.

Die Vorgänge haben darüber hinaus einen brisanten Hintergrund: Zwischen Rüdiger und seinem damaligen Stellvertreter Wolf gab es heftige Spannungen. Wolf ist zudem stellvertretender Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats Funk (WBF), eines Gremiums des österreichischen Verkehrsministeriums, das im Jahr 2004 vom seinerzeitigen Verkehrsminister Hubert Gorbach (FPÖ/BZÖ) mit der ausdrücklichen Intention gegründet wurde, "die oftmals vorhandenen Ängste und Sorgen" vor Handymasten und Handystrahlen "einzudämmen oder zu zerstreuen".

Laut seinen Grundsätzen ist der WBF "ein unabhängiges Gremium, das eine bedeutende medizinisch-technische Kompetenz zum Thema Funkanwendungen in Österreich darstellt". Der Beirat soll Empfehlungen als Grundlage für politische Entscheidungen abgeben und helfen, die öffentliche Diskussion über elektromagnetische Felder zu versachlichen. Von KritikerInnen wird jedoch darauf hingewiesen, daß es in dem Beirat nur einen einzigen Wissenschafter gebe, der selbst über elektromagnetische Felder forscht. Rüdiger bezeichnet den WBF als den "größten Verharmlosungsclub unter dem Deckmantel der Objektivität".

Der WBF evaluiert jährlich dutzende Studien zum Thema Mobilfunk und kommt dabei regelmäßig zu dem Schluß, daß bei den derzeit geltenden Grenzwerten keine Gesundheitsgefährdung zu erwarten sei. So ist es auch kaum verwunderlich, wenn Wolf sich negativ über die Ergebnisse der Reflex-Studie äußerte: "Ich habe die Ergebnisse nie geglaubt."

Wolf wurde nach Rüdigers Emeritierung im Januar zum provisorischen Leiter der Klinischen Abteilung für Arbeitsmedizin der Wiener Medizinischen Universität bestellt. Ein neuer ordentlicher Leiter der Abteilung wird voraussichtlich erst im Herbst ernannt. Um den Posten sollen sich an die 20 KandidatInnen, darunter auch Wolf, beworben haben. Rüdiger vermutet, Wolf wolle nicht nur die Reflex-Studie kippen, sondern quasi auch den Augiasstall ausmisten, den er, Rüdiger, hinterlassen habe, um so seine Chancen auf den Leiterposten zu erhöhen. Wolf hält diese Überlegung für eine "bodenlose Frechheit".

Und Rektor Schütz will zu der Angelegenheit erst wieder Stellung nehmen, wenn alle Fragen geklärt seien.

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Heißes Material:
      Mobilfunk verursacht Gehirntumore (18.04.07)

      Mobilfunk
      Die Gefahren durch Handy und Sendeanlagen (12.02.07)

      Handy frittiert Gehirn
      Max-Planck-Forscher: 100 Grad in der Zelle (21.08.06)

      Vor vollendete Tatsachen gestellt:
      Mobilfunkanlage im benachbarten Kirchturm (22.10.05)

      Erhöhte Krebsrate
      im Nahbereich von Strom-Masten (5.06.05)

      Handy auf dem flachen Land
      - hohes Hirntumor-Risiko (17.05.05)

      Langzeit-Studie bestätigt
      Gesundheitsrisiken von Handys (21.12.04)

      Gehirnschäden
      durch Handy und Föhn (22.02.04)

      Krebs durch Mobilfunk ? (7.08.03)

      Aktuelle schwedische Studie:
      Handys gefährlicher als bisher vermutet (25.05.03)

      Handy-Fieber (29.12.01)

      Handys und Augenkrebs (25.01.01)

      Handys
      - Beweise für die Schädlichkeit? (30.12.2000)

 

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