"Rot-Grün" habe mit der Einführung des verminderten Arbeitslosen- geldes (ALG II) und der Einführung von Hartz IV zum Januar 2005 nicht gegen das Grundgesetz verstoßen, urteilte das Bundes- verfassungsgericht heute. Es habe sich dabei weder um einen Verstoß gegen die Eigentumsgarantie noch gegen den Vertrauensschutz gehandelt. Ganz anders wurde noch im Jahr 2000 argumentiert, als in der Öffentlichkeit über einen Atomausstieg diskutiert wurde: Eine Beschränkung der Betriebsdauer von Atomkraftwerken gefährde die Investitionssicherheit, käme einer Enteignung gleich und widerspreche daher dem Vertrauensschutz.
Die Arbeitslosenhilfe war eine bedarfsabhängige, einkommens- bezogene Sozialleistung, die nach Ende des Anspruches auf Arbeitslosengeld I theoretisch zeitlich unbegrenzt bezahlt wurde. Nach mehrmaligen Absenkungen noch vor dem Jahr 2005 betrug sie für Alleinstehende vor ihrer Abschaffung 53 Prozent des letzten Nettoeinkommens. Das dann von "Rot-Grün" eingeführte Arbeitslosengeld II (ALG II) lag bei Einberechnung der zuvor bei Bedarf ausbezahlten "Sonderleistungen" unter dem bis dahin gültigen Sozialhilfeniveau.
Seit Januar 2005 gilt: Wer länger als ein Jahr arbeitslos bleibt, bekommt nur noch ALG II ("Hartz IV"). Diese Zahlung ist unabhängig vom zuvor bezogenen Lohn oder Gehalt. Der "Regelsatz" beträgt derzeit 359 Euro im Monat plus Wohnkosten. Er wird nur bei "Bedürftigkeit" gewährt. Arbeitslose mit größerem Vermögen, Mieteinnahmen oder gut verdienendemR LebenspartnerIn gehen leer aus. Die Einführung von Hartz IV führte nicht nur unterm Strich zu massivem Sozialabbau, sondern bedeutete für etwa ein Drittel der BezieherInnen von Arbeitslosenhilfe eine teils herbe Einkommensverschlechterung. Zusammen mit flankierenden Maßnahmen führte Hartz IV zu einer extremen Ausweitung des Niedriglohn-Sektors in Deutschland.
Mit der heutigen Entscheidung wiesen die Karlsruher RichterInnen die Verfassungsbeschwerde eines damals Erwerbslosen zurück, der im Alter von 58 Jahren Arbeitslosenhilfe erhielt. Er hatte rund 40 Jahre lang in die Arbeitslosenversicherung einbezahlt. Aufgrund der gesetzlichen Umstellung auf Hartz IV wurden ihm die Bezüge komplett gestrichen, da sie unter Einbeziehung des Einkommens seiner Partnerin über dem Niveau der "Grundsicherung" lagen. Seine hiergegen gerichteten Klagen blieben in mehreren Instanzen der Sozialgerichte erfolglos. Jetzt wurde auch seine Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen.
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts verwies in seinem 18-seitigen Beschluß auf den grundsätzlichen Unterschied zwischen Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe. Ersteres werde aus Beiträgen der Arbeitslosenversicherung bezahlt, letztere sei dagegen aus Steuermitteln finanziert worden. Weil die Arbeitslosenhilfe somit nicht auf Eigenleistungen beruhte, falle sie auch nicht unter die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes. Auch der Vertrauensschutz sei durch die teilweise Streichung der Zahlung nicht verletzt worden. Denn Arbeitslosenhilfe sei in der Vergangenheit stets befristet ausgezahlt und der Anspruch dann neu geprüft worden. Folglich habe auch kein grundsätzlicher Anspruch auf den Fortbestand der Zahlung bestanden. Der verfassungsrechtlich garantierte Vertrauensschutz gehe nicht so weit, "den Staatsbürger vor jeglicher Enttäuschung in die Dauerhaftigkeit der Rechtslage zu schützen," befanden die RicherInnen. (Az.: 1 BvR 2628/07)
Am 9. Februar hatte das Bundesverfassungsgericht geurteilt, die Höhe der ALG-II-Sätze müßte neu berechnet werden und hatte dabei Transparenz angemahnt. Ob dies allerdings dazu führt, daß die Beträge real angehoben oder - wie in den vergangenen fünf Jahren - weiter abgesenkt werden, ist bislang offen. Der im September von Bundesministerin Ursula von der Leyen genannte "Regelsatz" von 364 Euro konnte bislang nicht verabschiedet werden, da der Bundesrat nicht zustimmte. 364 Euro sind unter Einberechnung der offiziellen Inflationsrate weniger als die im Jahr 2004 für den Start am 1. Januar 2005 festgesetzten 345 Euro.
Entgegen der häufig in den Mainstream-Medien verbreiteten Darstellung wurde in Deutschland zu keinem Zeitpunkt eine zeitliche Beschränkung der Laufzeiten von Atomkraftwerken beschlossen. Der von "Rot-Grün" im Jahr 2000 verkündete "Atom-Ausstieg" stellte de facto eine Bestandsgarantie dar und zog unter anderem den Bau von zwölf "Zwischenlagern" an den Standorten von Atomanlagen nach sich, wo der hochradioaktive Müll vermutlich mangels eines "Endlagers" auf unbestimmte Zeit verbleiben wird. Auch die Mißachtung des Atomgesetzes (§ 8a in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Juli 1985), in dem entweder die "schadlos Verwertung" oder die "geordnete Beseitigung" des Atommülls gefordert wird, ließen die Karlsruher RichterInnen bislang unbeanstandet zu.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
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Von der Leyens Hartz-IV-Reform
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(2.08.10)
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