Herbe Niederlage für "Schwarz-Rot-Gelb-Grün"
Über die im Jahr 2004 von "Rot-Grün" beschlossenen und auch von "Schwarz-Rot" und "Schwarz-Gelb" exekutierten Hartz-IV-Regelungen hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe heute sein Urteil gesprochen: Die bisherigen Regelsätze für Erwachsene und Kinder verstoßen gegen das Grundgesetz. Die Bundesregierung muß die Regelsätze für alle 6,7 Millionen Hartz-IV-Betroffenen noch innerhalb dieses Jahres neu berechnen und damit höhere Sozialausgaben einplanen.
Insbesondere können nun über 2 Millionen Kinder in den von Hartz IV betroffenen Haushalten endlich auf menschenwürdige Lebensumstände hoffen. Das Bundesverfassungsgericht erklärte heute die geltenden Regelsätze für verfassungswidrig, wonach ausgehend von einem für Erwachsene geltenden Ecksatz von 359 Euro im Monat für Kinder unter 6 Jahren pauschal 215 Euro, bis 14 Jahren pauschal 251 Euro und für alle älteren Kinder pauschal 287 Euro im Monat als ausreichend definiert worden waren. Die Bundesregierung muß bis Ende dieses Jahres für alle 6,7 Millionen Hartz-IV-Betroffenen diese Regelsätze neu ermitteln und zugleich transparent begründen. Die RichterInnen legten dabei den Maßstab eines menschenwürdigen Existenzminimums zugrunde, das sich laut ihrem Urteil aus den im Grundgesetz verbürgten Menschenrechten ableitet. Die Hoffnung auf höhere Regelsätze stützt sich vor allem darauf, daß nunmehr insbesondere Bildungsausgaben für Kinder berücksichtigt werden müssen.
Das Urteil betrifft rund 10 Prozent der BundesbürgerInnen unter 65 Jahren. Jedes sechste Kind unter 15 Jahren lebt in einer Familie, die vom Arbeitslosengeld II abhängig ist - das sind nach offiziellen Angaben fast 1,75 Millionen Kinder. Insgesamt leben in Hartz-IV-Familien nach offiziellen Angaben rund 2,04 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren.
Die bislang gültigen Hartz-IV-Regelungen erfüllen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts "nicht den verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums." Der Präsident des Gerichts, Hans-Jürgen Papier, erklärte heute in Karlsruhe, der Gesetzgeber habe bei der Konkretisierung der Regelsätze Gestaltungsspielraum, müsse die Höhe aber in einem transparenten Verfahren realitätsgerecht ermitteln. Davon sei der Gesetzgeber bei den bisherigen Regelsätzen durch nicht nachvollziehbar begründete Abschläge abgewichen. "Schätzungen ins Blaue hinein laufen einem Verfahren zur realitätsgerechten Ermittlung zuwider", warnte Papier.
Bereits bei der Anhörung von VertreterInnen der Bundesregierung durch das Gericht war in den vergangenen Wochen deutlich geworden, daß es nicht allein um die Geldbeträge gehen kann, die ein Mensch in Deutschland zum Überleben benötigt sondern um das sogenannte soziokulturelle Existenzminimum. Dabei handelt es sich nach Auffassung des Verfassungsgerichts um einen Mindestbetrag, um am gesellschaftlichen Leben wenigsten ein wenig teilnehmen zu können: Er "sichert jedem Hilfsbedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerläßlich sind". So sei nicht nachvollziehbar, daß die Ausgaben für Bildung und das gesellschaftliche Leben ausgeklammert worden seien - etwa für Internetnutzung, Kino und Theater oder die Mitgliedschaft im Sportverein.
Vor allem die Ableitung des Kinder-Regelsatzes als pauschaler Prozentanteil des Erwachsenen-Regelsatzes griffen die Verfassungs-RichterInnen an. Hier liege ein "völliger Ermittlungsausfall" vor, sagte Papier. Die bisherige Festlegung, je nach dem Alter eines Kindes für dessen Bedarf einen Prozentsatz von 60 bis 80 Prozent des Erwachsenen-Regelsatzes anzunehmen, beruhe auf keiner vertretbaren Methode zur Ermittlung des Existenzminimums. "Kinder sind keine kleinen Erwachsenen", urteilte das Gericht. "Notwendige Aufwendungen zur Erfüllung schulischer Pflichten gehören zu ihrem existentiellen Bedarf." Alltagserfahrungen deuteten auf einen besonderen kinder- und altersspezifischen Bedarf hin. Das gelte vor allem für schulpflichtige Kinder. Könnten sie notwendige Materialien wie Bücher, Hefte oder einen Taschenrechner nicht zahlen, drohe den hilfebedürftigen Kindern der "Ausschluß von Lebenschancen". Es bestehe die Gefahr, daß sie später nicht in der Lage seien, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Die sei mit dem Prinzip des Sozialstaates nicht vereinbar.
Die gegenwärtig regierende "schwarz-gelbe" Koalition hatte bereits in den vergangenen Tagen die Befürchtung geäußert, das Urteil des Bundesverfassungsgericht zu den Hartz-IV-Regelsätzen könne zu Mehrausgaben in zweistelliger Milliardenhöhe führen. Die durch die Banken-Rettung in dreistelliger Milliardenhöhe verursachten Haushaltsprobleme würden damit weiter vergrößert. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hatte vor einigen Monaten berechnet, daß ein Regelsatz von monatlich 420 Euro den Staat jährlich zusätzlich zehn Milliarden Euro kosten würde. Allein durch die "rot-grüne" Steuerreform des Jahres 2000 wurden in den Folgejahren jährlich mehr als 20 Milliarden an Steuereinnahmen an die Unternehmen verschenkt.
REGENBOGEN NACHRICHTEN
Anmerkungen
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