26.09.2010

Von der Leyens Hartz-IV-Reform:
Nominal 5 Euro Plus ab 2011
- real ein Minus

Ursula von der Leyen - sozial blind Nach wochenlangen Vernebelungs- versuchen hat "Arbeits"-Ministerin Ursula von der Leyen am heutigen Sonntag die wichtigsten Fakten zu der in Kürze als Gesetzentwurf vorzulegenden Hartz-IV-Reform offenbart: Der Regelsatz soll zum Januar 2011 von derzeit 359 Euro um 5 Euro auf 364 Euro erhöht werden. Dieses nominale Plus ist unter Berücksichtigung der Inflationsrate real ein Minus. Wie kaum anders zu erwarten, wird der Sozialabbau unter "Schwarz-Gelb" fortgesetzt.

Schon die geringfügigen nominalen Erhöhungen der vergangenen fünf Jahre von 345 Euro um rund 4 Prozent auf mittlerweile 359 Euro liegen erheblich unter der für diesen Zeitraum zu verzeichnenden Inflationsrate von 8,4 Prozent. Real wurde also den Ärmsten der deutschen Gesellschaft die Hilfe gekürzt. Selbst nach fünf Jahren "Nullrunden" müßte der Hartz-IV-Satz bei 374 Euro liegen, um so wenigstens die durchschnittliche Preissteigerung auszugleichen. Real wurde der Regelsatz also in fünf Jahren um 15 Euro verringert. Wie hoch die reale Kürzung bei einer nominalen Erhöhung um 5 Euro exakt auffallen wird, läßt sich erst zum Ende dieses Jahres beurteilen, wenn die Inflationsrate 2010 bekannt sein wird. Da sie jedoch mit Sicherheit über 0 Prozent liegen wird, ist jetzt schon klar: Die "schwarz-gelbe" Hartz-IV-Reform wird auf eine Kürzung um mehr als 10 Euro gegenüber dem Anfangssatz des ALG II hinauslaufen, das zum Januar 2005 in Höhe von 345 Euro eingeführt wurde.

Die bislang mit einem willkürlich festgesetzten prozentualen Abschlag aus dem für Erwachsene gültigen ALG-II-Regelsatz ermittelten Sätze für Kinder und Jugendliche (Kinder unter 6 Jahren pauschal 215 Euro, bis 14 Jahren pauschal 251 Euro und für alle älteren Kinder pauschal 287 Euro im Monat) sollen sogar nominal unverändert bleiben - und damit real noch stärker gekürzt werden als der für Erwachsene. Brachial gekürzt wird also bei 1,8 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland - und dies, obwohl das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom Februar dieses Jahres diese Sätze als verfassungswidrig erklärte und dem Gesetzgeber auftrug, eine transparente und nachvollziehbare Begründung der Sätze auszuarbeiten.

Betroffen von der "schwarz-gelben" Hartz-IV-Reform sind insgesamt 4,8 Millionen Menschen, die ALG II beziehen. Davon ist rund die Hälfte arbeitslos gemeldet, rund 250.000 Betroffene verdienen mehr als 400 Euro, müssen aber wegen zu geringen Einkommens ALG II beantragen und weitere 250.000 absolvieren sogenannte Maßnahmen zur Qualifizierung. Alle anderen sind zwar theoretisch in der Lage zu arbeiten, stehen aber dem Arbeitsmarkt nicht zu Verfügung. Sie sind krank, betreuen kleine Kinder, pflegen Angehörige oder gehen zur Schule.

VertreterInnen von "S"PD und Pseudo-Grünen, die für die Einführung der viel zu geringen Regelsätze und den mit den Hartz-Gesetzen exekutierten Sozialabbau die Urheberschaft beanspruchen können, versuchen sich nun mit markigen Sprüchen wie etwa "schäbiges Spiel" als Anwalt der Schwachen zu profilieren. Der Vorsitzende der Linkspartei Klaus Ernst warf "Schwarz-Gelb" vor, Langzeitarbeitslose "am ausgestreckten Arm verhungern" lassen zu wollen, schonte jedoch "Rot-Grün". Offenbar schielt er auf eine Beteiligung an zukünftigen Koalitionen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigt sich demonstrativ gelassen und erklärte gegenüber den Medien, das Bundesverfassungsgericht habe einen "Spielraum" für politische Entscheidungen gegeben, was in die Grundsicherung für Langzeitarbeitslose hineingehöre und was nicht. Die Neuberechnung nannte sie "sachbezogen" und "rational", alles käme nun auf den Tisch, "und dann kann jeder sich das anschauen".

Bereits in den vergangenen Wochen war Kritik daran laut geworden, daß "Arbeits"-Ministerin von der Leyen - wie gerüchteweise durchsickerte - die Regelsätze für Erwachsene und Kinder auf der Grundlage einer sogenannten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) neu berechnen ließ. Bekannt wurde dabei auch, daß angeblich bislang einberechnete Sätze für Tabak und Alkohol in Höhe von monatlich insgesamt 18,30 Euro nicht mehr berücksichtigt würden, dafür aber im Regelsatz künftig 2,99 Euro monatlich für Mineralwasser veranschlagt werde. Neu einbezogen würden nun auch Ausgaben etwa für die Praxisgebühr und das Internet.

Kritisiert wird, daß die laut von der Leyen der Neuberechnung zugrundeliegende "Einkommens- und Verbrauchsstichprobe", die alle fünf Jahre vom Bundesamt für Statistik auf der Grundlage von 60.000 befragten Haushalten erstellt wird, aus dem Jahr 2008 stammt. Außerdem wurde offenbar bei den Berechnungen die Zahlen für die unteren 15 Prozent der Bevölkerung herangezogen: Dies würde jedoch nichts anderes heißen, daß genau die Zahlen zugrundegelegt wurden, die mit dem Sozialabbau der vorangegangenen drei Jahre produziert wurden. Entgegen mehrfacher Aufforderung von Verbänden und Bundesländern hat "Arbeits"-Ministerin von der Leyen jedoch bis heute die Rohdaten für die Berechnungen unter Verschluß gehalten.

Zynischer Weise erklärte von der Leyen heute, nach der neuen Berechnung hätte der Satz für Kinder sogar um zwei bis zwölf Euro sinken müssen. Zugleich gebärdete sie sich als großzügig und verkündete, daß aus Gründen des "Vertrauenschutzes" die entsprechenden Sätze dennoch nicht abgesenkt würden. Auch die nun angekündigten "Bildungsleistungen", die laut Gerüchten per Chipkarte eingeführt werden sollen, wolle sie nicht mit den Sätzen verrechnen. Sie stellte dies somit als reale Verbesserung dar. Ob und in welcher Form die "elektronische Bildungs-Chipkarte" eingeführt wird, ist jedoch noch gar nicht geklärt.

Nach einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des Hamburger Magazins 'stern' vom Oktober 2009 betrachteten 48 Prozent der Befragten den Hartz-IV-Satz als "zu gering", 28 Prozent als "gerade angemessen" und nur 17 Prozent als "zu hoch". Nun wird auf den Titelseiten der deutschen Mainstream-Medien eine obskure Umfrage im Auftrag von Deutschlands meistverkauftem Toilettenpapier veröffentlicht. Demnach würden 56 Prozent der Befragten ein Plus beim Hartz IV ablehnen. So stellt etwa der 'Kölner Stadtanzeiger' dieses "Umfrage-Ergebnis" an vorderster Stelle eines Artikels über die aktuelle Hartz-IV-Reform und erhebt die "umstrittene" Frage der Finanzierung von Alkohol- und Nikotin-Konsum zum zweitwichtigsten Thema. Der 'stern' schreibt immerhin kritisch von einem "Fünf-Euro-Stresstest". Doch auch dieses Blatt erwähnt gleich an zweiter Stelle die obskure Umfrage und erinnert nicht an sie selbst in Auftrag gegebene vom Oktober vergangenen Jahres.

Mit der jetzt von "Schwarz-Gelb" verkündeten Linie offenbart sich Ministerin von der Leyen, die schon als "Sozial"-Ministerin unter dem heutigen Bundespräsidenten und damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff keine Skrupel hatte, das Blindengeld zu kürzen (siehe unseren Artikel v. 14.12.2004) als Hardlinerin im Kabinett der Bundeskanzlerin Merkel - anders als das weichgezeichnete Bild der Mainstream-Medien zu vermitteln versucht.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Deutschland ist Spitze
      bei der Kinderfeindlichkeit (20.09.10)

      Weitere 40 Milliarden Euro für die HRE
      Bad Bank erweist sich als Schwarzes Loch (10.09.10)

      Schwarz-Gelbe Marionetten
      Auch die Pharma-Konzerne ziehen an den Fäden (10.09.10)

      Von der Leyens Hartz-IV-Reform
      Erneuter Sozialabbau trotz Urteil des Bundesverfassungsgerichts?
      (2.08.10)

      OECD kritisiert lasche Steuerprüfung in Deutschland
      Verlust von jährlich 100 Milliarden Euro (13.07.10)

      Gesundheitssystem: Weitere Milliarden
      für die Pharma-Konzerne (20.06.10)

      Spätrömische Dekadenz ganz real
      Absahnen in der Bundesanstalt für Arbeitslosigkeit (19.06.10)

      Proteste gegen Sozialabbau
      "Wir sind alle GriechInnen" (13.06.10)

      Ausgepreßt
      Sozialabbau schwarz-gelb (7.06.10)

      Nachwuchs ohne Zukunfts-Chance
      Immer mehr Kinder kommen unter die Räder (1.06.10)

      Kosten des Gesundheitssystems wachsen
      Nur Pharma-Konzerne profitieren (7.04.10)

      Kein Aprilscherz:
      BRD-Verschuldung bei 1690 Milliarden Euro (1.04.10)

      BA-Chef Alt plant weiteren Sozialabbau:
      Erhöhter Druck durch Wohnkostenpauschale (25.03.10)

      Rente wird gekürzt
      "Nullrunde" heißt Minus (16.03.10)

      Offizielle Parteispenden über 20 Millionen Euro
      Rund 14 Millionen Euro für "C"-Parteien (16.02.10)

      Hartz-IV-Regelsätze verfassungswidrig
      Herbe Niederlage für "Schwarz-Rot-Gelb-Grün" (9.02.10)

      DIW-Studie zum Vermögen in Deutschland
      Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich weiter (19.01.10)

      Hartz-IV-Bescheide
      36 Prozent aller Widersprüche erfolgreich (12.01.10)

      Bilanz von fünf Jahren Hartz IV
      Repression als "Arbeitsmarkt-Reform" (19.12.09)

      'stern'-Umfrage:
      Deutsche halten Hartz IV für zu niedrig (28.10.09)

      Niedersachsen
      will Blinde schröpfen (14.12.04)

 

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