Bundes-"Arbeits"-Ministerin Ursula von der Leyen läßt derzeit Informationen über die anstehende Reform der Hartz-IV-Gesetze durchsickern. So beabsichtigt sie offenbar, die vom Bundesver- fassungsgericht im Februar angemahnte Verbesserung der Lage der von Hartz IV betroffenen Kinder mit der Einführung von Gutscheinen oder Chipkarten zu beantworten. Die Informationen lassen darauf schließen, daß die Betroffenen mit weiterem Sozialabbau statt mit Verbesserungen rechnen müssen.
Von der Leyen, die schon als "Sozial"-Ministerin unter dem heutigen Bundespräsidenten und damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff keine Skrupel hatte, das Blindengeld zu kürzen (siehe unseren Artikel v. 14.12.2004), ließ bereits mehrfach durchblicken, daß sie eine Erhöhung der Hartz-IV-Sätze nicht für nötig erachtet. Dabei lagen die geringfügigen nominellen Erhöhungen der vergangenen fünf Jahre von 345 Euro um rund 4 Prozent auf mittlerweile 359 Euro erheblich unter der Inflationsrate von 8,4 Prozent, sodaß den Ärmsten die Hilfe real gekürzt wurde. Selbst nach fünf Jahren "Nullrunden" müßte demnach der Hartz-IV-Satz bei 374 Euro liegen. Real wurden also in fünf Jahren 15 Euro am Regelsatz gekürzt. Und dies allein bei Berücksichtigung der offiziellen Inflationsrate. Gerade bei den von Hartz-IV Betroffenen war die reale Kürzung um mehr als 15 Euro in den vergangenen fünf Jahren besonders schmerzhaft.
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar in einem Urteil zu Hartz IV vorgegeben, daß die Bundesregierung bis Ende des Jahres die Regelsätze neu und transparent berechnen lassen muß. Laut den aktuell gestreuten Informationen will von der Leyen dieses "historische Fenster" nutzen, um "deutliche Korrekturen" am "Fürsorgesystem" anzubringen. So heißt es etwa, von der Leyen plane, einen Teil der Hartz-IV-Zahlungen auf ein Gutschein- oder Chipkarten-System umzustellen. Den betroffenen Kindern soll auf diese Weise angeblich ermöglicht werden, an Sport- und Musikunterricht teilzunehmen oder Nachhilfe und Sprachförderung zu bekommen.
Für die Reform der noch von der "rot-grünen" Regierung unter Gerhard Schöder und Joseph Fischer zu verantwortenden Hartz-IV-Gesetze benötigt "Schwarz-Gelb" die Zustimmung des Bundesrats und somit auch der "S"PD-geführten Länder. Obwohl sich die "Elite" von "S"PD und Pseudo-Grünen bis heute nicht von den Hartz-Gesetzen und dem damit verursachten einschneidendsten Sozialabbau in der Geschichte der BRD distanziert hat, wird es doch interessant werden, welche verbalen Verrenkungen sie vorführen werden, um sich aus der Mitverantwortung für einen weiteren Sozialabbau zu stehlen. So hat sich bereits Karl Lauterbach, "Sozialexperte" der "S"PD, zu Wort gemeldet: Er lehne ein Gutscheinmodell entschieden ab. "Die armen Kinder bleiben arm, sie erhalten nicht mehr Geld", beklagte Lauterbach. Entscheidend sei "mehr Netto" für Hartz-IV-Familien - also eine Erhöhung der Sätze für Kinder. Gutscheine dagegen würden "eine Art neue Diskriminierung" bedeuten.
Zu befürchten steht, daß eine Nebelwand aus Streitigkeiten um Ausführungsdetails letztlich dazu dient, die entscheidende Frage zu verdecken: Werden eventuelle nominale Erhöhungen der Hartz-IV-Sätze oberhalb oder unterhalb der Inflationsrate liegen? Ein Sprecher des Bundes-"Arbeits"-Ministeriums erläuterte, künftig werde nicht mehr der Rentenwert der Maßstab für die jährlichen Anpassungen des Hartz-IV-Satzes sein. Auch die Rente sanken inflationsbedingt in den vergangenen Jahren - wurden also real gekürzt. Das Verfassungsgericht hat drei mögliche neue Orientierungsrahmen vorgegeben: die allgemeine Lohnentwicklung, die Inflationsrate oder die laufende Wirtschaftsrechnung. Ob ein Aspekt allein oder die Kombination mehrerer Elemente herangezogen werden, wird laut Bundes-"Arbeits"-Ministeriums derzeit geprüft.
Fürs erste deutet alles darauf hin, daß eine geringfügige Erhöhung der Regelsätze für Kinder kaum mehr als die inflationsbedingten Verlusten der vergangenen Jahre ausgleichen wird: 480 Millionen Euro zusätzlich, die Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble in den Haushalt einstellte, ergeben nach Berechnung von Fachleuten gerade einmal rund 20 Euro mehr für jedes der 1,7 Millionen Hartz-IV-Kinder.
Der Deutschen Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV) schlägt eine Erhöhung des Regelsatzes von derzeit 359 Euro monatlich auf 420 Euro vor. Das ver.di-Vorstandsmitglied Elke Hannack sagte: "Wir brauchen eine echte Reform und eine soziale Grundsicherung, die bedarfsorientiert, armutsfest und repressionsfrei ist." Deshalb fordere ver.di eine Erhöhung der Regelsätze auf 435 Euro monatlich. Linkspartei-Chefin Gesine Lötzsch fordert einen Regelsatz von 500 Euro. Dagegen preschte der Chef der "Bundesagentur für Arbeit" (BA), Heinrich Alt, nur einen Monat nach dem Bundesverfassungsgerichts-Urteil vor und machte den Vorschlag, mit einer Pauschalierung des Wohnungsgeldes die Finanzen der Hartz-IV-Betroffenen weiter zu beschneiden.
Entsprechende Begleitmusik für die Pläne von der Leyens erklingt aus den Reihen der "schwarz-gelben" Koalition: "Hartz IV darf nicht attraktiver werden als Arbeit", warnte Unionsfraktionsvize Michael Fuchs. Und "CS"U-"Sozial"-Politiker Max Straubinger mahnte: "Man muß das Lohnabstandsgebot beachten, gerade jetzt, wo der Arbeitsmarkt beginnt, Arbeitslose aufzunehmen." Die logische Folgerung aus dem angeblich sakrosankten Lohnabstandsgebot wäre allerdings die Einführung eines Mindestlohns, der wenigstens über der Pfändungsfreigrenze läge. Dies wäre ein Mindestlohn von 10 Euro. Doch das Lohnabstandsgebot war nie auch nur der Rede wert, wenn es galt, mit Hilfe der "Reformen" den Niedriglohnsektor auszuweiten.
REGENBOGEN NACHRICHTEN
Anmerkungen
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