13.06.2008

Irland
rettet Europas Zukunft

Mainstream-Medien melden "Scherbenhaufen"

Laut übereinstimmenden Meldungen haben die IrInnen beim gestrigen Referendum den EU-Reformvertrag - alias Lissabon-Vertrag - mehrheitlich abgelehnt und damit Europa eine neue Chance für eine soziale und friedliche Entwicklung eröffnet.

Nach dem Scheitern der neoliberal und militaristisch ausgerichteten EU-Verfassung im Mai 2005 beim Referendum in Frankreich und im Juni 2005 in den Niederlanden, hatten die Regierungen der 27 EU-Mitgliedsstaaten beschlossen, dieselben Inhalte beim zweiten Anlauf im Kleide eines "Reformvertrages" lediglich den nationalen Parlamenten zur Beschlußfassung vorzulegen. Allein der irischen Regierung blieb dieser Weg versperrt, da Irlands Verfassung unmißverständlich ein Referendum vorsieht.

Daß es sich um dieselben Inhalte drehte, die bereits in Frankreich und den Niederlanden abgelehnt worden waren, bekundete die deutsche Bundeskanzlerin per Presseerklärung am 7. November 2007 in ungewohnter Offenheit: "Der Begriff 'Verfassung für Europa' war nach der Ablehnung bei den Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden nicht mehr haltbar. Das erklärte Ziel der deutschen Ratspräsidentschaft war es aber, die Substanz der Verfassung zu erhalten. Dies konnte erreicht werden."

Im April und Mai hatten der Deutsche Bundestag und der Bundesrat in "schwarz-rot-gelb-grüner" Einheitsfront den EU-Reformvertrag abgenickt. Lediglich die Abgeordeten der Linkspartei stimmt fast geschlossen dagegen und immerhin sieben Unions-Abgeordnete stellten sich quer. Auch in Irland wurde das Vertragswerk von allen großen Parteien unterstützt, so von der regierenden Fianna Fail, von der größten Oppositionspartei, der konservative Fine Gael, der irischen Labour Party und von den irischen "Grünen". Auch Unternehmens- und Bauernverbände wie einige Gewerkschaften empfahlen ein "Yes". Für eine soziale und friedliche Zukunft Europas und damit ein "No" zum EU-Reformvertrag sprachen sich lediglich kleinere Parteien wie Sinn Fein und die Socialist Workers Party, sowie mitgliederstarke Gewerkschaften wie UNITE aus.

Vor dem Referendum waren die IrInnen einem Trommelfeuer von Medien und PolitikerInnen ausgesetzt, die mehr oder minder unverhohlen damit drohten, ein "No" zum EU-Reformvertrag führe Europa in die Katastrophe. Einen Eindruck hiervon vermittelt ein Blick auf die aktuelle "Berichterstattung" der deutschen Mainstream-Medien zu diesem Thema. In außergewöhnlicher Klarheit ist hierbei zu erkennen, wie diese Medien zur Manipulation benutzt werden. Die angebliche Unterscheidung zwischen Bericht und Kommentar ist plötzlich unmaßgeblich und völlig "wertfrei" wird von einem drohenden "Schaden für Europa" berichtet, falls der EU-Reformvertrag in Irland abgelehnt werde: Ein "Scherbenhaufen" ist zu beklagen, das "Entsetzen auf dem Kontinent ist groß" und nun droht "Europa eine schwere Depression."

Völlig ausgeblendet blieben dagegen die Kontra-Argumente. Weder die Kritik an der ökonomischen Ausrichtung des Vertrags, noch die zahlreichen und detaillierten Hinweise auf eine zukünftige Verpflichtung der EU-Mitglieds-Staaten zu permanenter Aufrüstung und Militarisierung wurden überhaupt erwähnt, geschweige denn in neutraler Weise dargestellt. Statt dessen behaupteten korrupte JournalistInnen, das Problem läge allenfalls in einer "tragischen Kommunikationsstörung" begründet. Hierbei offenbart sich unversehens das bei den heutigen "WortführerInnen" verbreitete Verständnis von Kommunikation als Einbahnstraße. Wenn in den Mainstream-Medien und in Kommentaren "schwarz-rot-gelb-grüner" PolitikerInnen heute von Europa die Rede ist, zeigt sich zudem eine seltsame Identifikation. Eine winzige und arrogante Gruppe, die sich als Elite definiert, verwechselt sich mit Europa.

Dieser Tagen wurde nicht selten in "Berichten" über Irland erwähnt, das Land habe in hohem Maße von seiner EU-Mitgliedschaft profitiert. Dies ist nicht zu bestreiten. Dieser Hinweis wurde jedoch in der Regel so placiert, daß sich damit die Suggestion verband, wenn sich Irland nun "gegen Europa" entscheide, verhalte es sich undankbar.

Gerne und häufig erschienen Hinweise in den Mainstream-Medien, es sei undemokratisch, daß 2,8 Millionen Wahlberechtigte in Irland stellvertretend für 495 Millionen EuropäerInnen über die Zukunft der EU entscheiden dürften. Ausgeblendet bleibt hierbei, daß sich die europäischen selbsternannten Eliten über die Abstimmungen in Frankreich und den Niederlanden hinwegsetzten und dieselben Inhalte durch die von Parteien dominierten Parlamente legitimieren lassen wollten. Maliziös rechneten JournalistInnen vor, bei jenen 2,8 Millionen handele es sich nicht einmal um ein Prozent der EU-Bevölkerung. Doch die logische Konsequenz dieser Argumentation hieße: Der EU-Reformvertrag muß in sämtlichen 27 Staaten zur Abstimmung gestellt werden. Dies kam lediglich im 'stern' und einigen wenigen Blättern zur Sprache. Denn selbstverständlich erinnern sich viele JournalistInnen noch daran, was der pseudo-grüne deutsche Ex-Außenminister Joseph Fischer am 17. Februar 2008 im ZDF äußerte: "Ich bin froh, daß es in Deutschland keine Volksabstimmung gibt, denn wir würden sie verlieren." Ein solches Verständnis von Demokratie ist bezeichnend für jene in Europa, die sich selbst auch gerne als "Entscheider" definieren.

Da ist es denn nicht weiter verwunderlich, wenn als "Plan B" in diesen Kreisen nun diskutiert wird, widerrechtlich den EU-Reformvertrag trotz der Ablehnung Irlands in Kraft zu setzen. So sprach sich die "sozialistische" spanische Regierung flugs für eine Fortsetzung des Ratifizierungsprozesses aus - als sei nichts gewesen. Oder alternativ hierzu - nach bereits einmal exerziertem Muster - tönt es im Chor, das Referendum in Irland müsse einfach nach einer gewissen Frist wiederholt werden. Es mag ja als Demokratie à la carte gelten, die Abstimmung so oft zu wiederholen, bis das erwünschte Ergebnis eintritt.

So steht es auch nach dieser dritten Lektion in Demokratie nicht zu erwarten, daß Europas "Elite" etwas daraus lernen wird.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      EU-Reformvertrag
      Wohin die Reise gehen soll (19.05.08)

      Bundestag nickt EU-Reformvertrag ab
      Wer hat wie abgestimmt? (24.04.08)

      Weltmacht Europa auf dem Weg
      in weltweite Kriege (17.01.07)

      Bedankt, geachte vrienden!
      Zweiter Sieg für Demokratie in Europa (2.06.05)

      Merci, chers amis!
      Ein großer Sieg für die europäische Demokratie (30.05.05)

      Medien-Propaganda pro EU-Verfassung (21.05.05)

      Nein zur EU-Verfassung!
      Aufruf zur Demo am 19. März in Brüssel (16.03.05)

      Nein zur EU-Verfassung!
      Erklärung des 3. Friedenspolitischen Kongresses in Hannover
      (5.09.04)

      Atomenergie, Atomwaffen und Militarisierung besiegelt (19.06.04)

      EURATOM und EU-Verfassung (11.06.04)

      Neue Atommacht EU? (24.04.04)

      EU-Verfassung vorerst gescheitert (19.12.03)

      Zur Ausrufung einer europäischen Verfassung (14.06.03)

 

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