Der Öl-Konzern BP, der für die Ölpest nach einer Explosion auf der Bohrinsel 'Deepwater Horizon' am 20. April 2010 zur Rechenschaft gezogen wird, muß 7,8 Milliarden US-Dollar - umgerechnet 5,9 Milliarden Euro - Entschädigung zahlen. Bundesrichter Carl Barbier bestätigte eine Einigung zwischen BP und mehr als 100.000 Unternehmen und Einzelpersonen, die eine Sammelklage eingereicht hatten.
Mit der verhältnismäßig geringen Entschädigungssumme sollen wirtschaftliche und medizinische Schäden von den an der Küste betroffenen Menschen abgegolten werden. Die im Golf von Mexiko und in den ökologisch besonders sensiblen Mündungsbereich des Mississippi durch die Ölpest entstandenen Schäden sind kaum in Geld zu abzuschätzen. Immer wieder kommen an Ständen, die als "gereinigt" ausgewiesen wurden, unter dem Sand ganze Öllachen zutage. Die Auswirkungen der Ölpest werden die Natur trotz aufwendiger Säuberungsmaßnahmen noch mindestens für ein Jahrzehnt belasten.
Sowohl die AnwältInnen von BP als auch jene, die die Sammelklage vertraten, äußerten sich zufrieden. "Die Einigung, mit der ein jahrelanges Verfahren verhindert wird, ist sowohl im Interesse der Menschen, Unternehmen und Gemeinden am Golf als auch in unserem Interesse", sagte BP-Unternehmenssprecher Scott Dean.
Über die Mitverantwortung der US-Behörden für die vermeidbare Öl-Katastrophe, schwieg auch der Konzern-Sprecher. Offenbar besteht ein stillschweigendes Einvernehmen zwischen BP, den US-Behörden und den Mainstream-Medien, dieses Thema nicht zu berühren.
Schon im Jahr 2008 geriet die US-amerikanische Behörde für Rohstoffverwaltung MMS (Minerals Management Service) durch Drogenorgien, Saufgelage und Sexpartys in Verruf. Immerhin berichtete die 'Frankfurter Rundschau am 17. Mai 2010 mit einem Satz hiervon. In den USA war ein interner Bericht aufgetaucht, aus dem hervorgeht, wie US-Inspektoren von den Öl-Giganten geschmiert wurden. So kam beispielsweise zutage, daß ein Inspektor, der vier Ölbohrinseln kontrollieren sollte, sich gleichzeitig bei der Ölfirma um einen Job bewarb. Andere übergaben das Formular zur Qualitätsprüfung gleich dem Öl-Konzern: Dort wurde dieses mit dem Bleistift ausgefüllt und die Kontrolleure schrieben den Text dann mit dem Kugelschreiber ins Reine. Der Untersuchungs-Bericht bezieht sich auf den Zeitraum 2005 bis 2008 und handelt von Schmiergeldern, illegalen Geschenken wie etwa Einladungen zu ausgiebigen Jagd- und Angelausflügen sowie zu wichtigen Football-Spielen, von Drogen-Konsum und von Sex-Partys.
Im Verlauf der Jahre zwischen 2008 und 2010 wurden die behördlich vorgegebenen Sicherheits-Standards bei Ölbohrungen vor der Küste immer mehr abgesenkt. Mittlerweile sind interne Papiere des BP-Konzerns ans Tageslicht gekommen, aus denen hervorgeht, daß BP-Ingenieure bereits am 22. Juni 2009 ein spezielles, auch bei der Bohrinsel 'Deepwater Horizon' eingegangenes Risiko zur Sprache brachten: Sie warnten davor, daß eine Metallverschalung, die am Bohrloch installiert werden sollte, unter großem Druck brechen kann. Laut 'New York Times' vom 29.05.2010 hielt BP jedoch entgegen der konzerneigenen Sicherheitsbestimmungen an der Verwendung dieser Metallverschalung fest - offenbar aus Gründen des Profits. In dem von der 'New York Times' veröffentlichten Dokument heißt es in Hinblick auf den Bruch der Metallverschalung: "Aber ich habe es schon mal erlebt, also seid euch bewußt, daß es passieren kann." BP habe dennoch an der billigeren Lösung festgehalten und sich dafür eine spezielle Erlaubnis eingeholt.
Und entgegen manchen auf dem Papier vorgegebenen Einschränkungen der "unternehmerischen Freiheit" unterließ es die MMS beispielsweise in Hunderten von Fällen, die vorgeschriebenen Stellungnahmen der Wetter- und Ozeanografie-Behörde NOAA für die Öl-Bohrgenehmigungen einzuholen. Gegenüber der 'New York Times' äußerten mehrere WissenschaftlerInnen, ihre Warnungen vor Sicherheits- und Umweltrisiken bei Ölbohrungen im Golf von Mexiko und in Alaska seien immer wieder vom Tisch gewischt worden. Die MMS habe "routinemäßig" ihre eigenen BiologInnen und TechnikerInnen zum Stillschweigen gebracht. Auch seien sie von MMS-BeamtInnen gedrängt worden, die Ergebnisse kritischer Studien nachträglich abzuändern.
Unbestreitbar ist zudem, daß keinerlei erprobte technische Sicherheitsvorkehrungen existieren, um eine Katastrophe beim Austritt von Öl aus einem Bohrloch in 1.500 Meter Tiefe wie bei der havarierten 'Deepwater Horizon' unter Kontrolle bringen zu können. Bereits im Jahr 2000 forderte die MMS von der Ölindustrie die Erstellung technischer Leitlinien für die Verhinderung von Lecks bei Tiefseebohrungen. Die Öl-Konzerne haben dies ignoriert und bis heute keine praktikablen Empfehlungen oder Vorschriften formuliert. Übergangen wurden bislang auch die Warnungen von UmweltschützerInnen und TechnikerInnen aus der Industrie vor den erhöhten Risiken bei Ölbohrungen vor der Küste in immer größeren Tiefen.
Zwischen 2005 und 2009 nahm die Zahl der Kontrollen der Bohrstellen durch die MMS um 41 Prozent ab, obwohl die Anzahl der Tiefseebohrungen in US-Gewässern in diesem Zeitraum zunahm. Die Anzahl von Strafmaßnahmen der MMS auf Grund von Regelverstößen nahm von 66 im Jahr 2000 auf 20 im Jahr 2009 ab.
Die Verfilzung zwischen MMS und Ölindustrie wurde seit der Wahl Obamas zum US-Präsidenten nicht etwa bekämpft, sondern verdichtete sich weiter. Unter der Decke arbeiteten die Konzerne mit Regierungs-Inspektoren zusammen, die so als Ausführungsorgane der Industrie funktionierten.
Im Juni 2009 verzichtete die MMS auf eine Studie der ökologischen Auswirkungen auf die Umgebung des Bohrplatzes von 'Deepwater Horizon', zu deren Erstellung BP vor Bohrbeginn gesetzlich verpflichtet gewesen wäre. Zuvor war US-Präsident Barack Obama vom Nationalen Amt für Ozeane und Atmosphäre (NOAA) darauf hingewiesen worden, daß Studien des MMS über Tiefseebohrungen nicht verläßlich seien. Dennoch erlaubte Obama im Januar 2010 die Ausweitung der aus Umweltschutzgründen bis dahin beschränkte Ölförderung vor der US-Küste. (Siehe unseren Artikel v. 30.01.2010)
Auch die kläglichen "Rettungsmaßnahmen" an den Stränden und in den Sümpfen des Mississippi-Deltas - genauer: Maßnahmen zur Schadensbegrenzung - konnten nicht optimal durchgeführt werden. Denn - wie mittlerweile herausgekommen ist - waren die Landkarten, mit denen die empfindlichsten Ökosysteme an der Küste des Golfs von Mexiko identifiziert werden sollten, wegen Haushaltskürzungen beim Ozeanografischen Amt noch auf dem Stand von vor mehr als zehn Jahren.
Der reale Hintergrund der Katastrophe verschwindet wird von den Mainstream-Medien systematisch ausgeblendet. Von Vielen ist auch längst vergessen, daß sich BP vor noch nicht allzu langer Zeit mit einer neuen Interpretation des Firmenlogos als "beyond petrol" zum Verfechter regenerativer Energien stilisieren wollte. Doch heute wird die Aufgabe der Ölförderung vor der Küste als "unrealistisch" abgetan. Die US-amerikanische "Umwelt"-Behörde EPA hat neue Konzessionen für Ölbohrungen in Höhe von 20 Milliarden Dollar vergeben.Nach wie vor hängt der globale Kapitalismus am Tropf der Erdöl-Industrie wie ein Heroin-Junkie an der Nadel.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Golf von Mexiko - BP versiegelt Öl-Bohrloch
Auswirkungen der Ölpest noch mindestens 10 Jahre (4.08.10)
BP lernresistent
Offshore-Ölbohrung im Mittelmeer geplant (22.07.10)
Öl-Katastrophe im Golf von Mexiko
Tritt weiterhin Öl aus?
Schadenersatz-Klagen nach Anti-Mafia-Gesetz (19.07.10)
Öl-Katastrophe im Golf von Mexiko
Bohrloch provisorisch abgedichtet (17.07.10)
Super-GAU im Golf von Mexiko?
Der Meeresboden kann aufbrechen (30.06.10)
Ölkatastrophe im Golf von Mexiko
Sichtbare Spitze eines verbrecherischen Systems (30.05.10)
Havarie der Bohrinsel im Golf von Mexiko
weitet sich zu Katastrophe aus (30.04.10)
Peru: Öl-Konzern Repsol plant Ausbeutung im Regenwald
Indigene und Ökosystem bedroht (20.04.10)
Ölpest bedroht Weltnaturerbe
Schiffs-Havarie am Great Barrier Reef (5.04.10)
Obama verspricht
Bau neuer Atomkraftwerke in den USA (30.01.10)
"Friedens"-Präsident Obama erhöht Militär-Etat
Neuer Weltrekord: 680 Milliarden US-Dollar (29.10.09)
Öl-Katastrophe vor Australien
Artenreiche Meeresregion bedroht (23.10.09)
Obama erhöht den US-Kriegsetat
Größtes Militär-Budget der Weltgeschichte (8.04.09)
Ölpest vor Australien
weitaus größer als zunächst gemeldet (15.03.09)
Barack Obama und das Nadelöhr
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