Massive Behinderungen durch Polizei
Mit einer Kundgebung im elsässischen Colmar haben mehr als 10.000
AtomkraftgegenerInnen am gestrigen Samstag friedlich gegen den
Weiterbetrieb des französischen AKW Fessenheim am Rhein protestiert.
Zugleich forderten die TeilnehmerInnen aus Frankreich, Deutschland und der
Schweiz auf dem Bahnhofsplatz einen Ausbau der Erneuerbaren Energien und
den europaweiten Atom-Ausstieg. Ein Großaufgebot der Polizei hatte die
Innenstadt mit über zwei Meter hohen Metallbarrieren abgeriegelt. Bereits bei
der Anreise, aber auch auf dem Nachhauseweg, wurden die DemonstrantInnen
von der Polizei massiv behindert und zu mitunter mehrstündigen Wartezeiten
genötigt.
Die Demonstration richtete sich in erster Linie gegen die
Verlängerung der Betriebsgenehmigung des AKW Fessenheim um weitere
zehn Jahre. Diese Verlängerung soll durch eine in den kommenden
Wochen stattfindende offizielle "Sicherheits-Überprüfung" des
Atomkraftwerks legitimiert werden. Bei dem Ende 1977 in Betrieb
genommen AKW handelt es sich um das Älteste in Frankreich. Für die
OrganisatorInnen der Demo forderte das 'Reseau Sortir du Nucléaire'
(Netzwerk für den Atom-Ausstieg), ein Dachverband von über 840
französischen Organisationen, die sofortige Stillegung des AKW
Fessenheim. Philippe Brousse, Sprecher des 'Reseau Sortir du
Nucléaire', kritisierte das Vorgehen des zuständigen Präfekten und
der Polizei: "Zahlreiche Atomkraftgegner werden daran gehindert, zum
Bahnhof zu gelangen." In einer Vielzahl von Redebeiträgen wurde auf die
unzureichende Auslegung des AKW Fessenheim gegen Erdbeben sowie auf den
nach wie vor fehlenden Schutz gegen den terroristisch motivierten Absturz
von Flugzeugen hingewiesen. Einer der Schwerpunkte der Beiträge war die
erst kürzlich in die öffentliche Debatte in Frankreich gelangte Kritik,
daß mit dem Uranerz-Abbau - beipielsweise in Niger - Umweltzerstörung und
massive gesundheitliche Schädigung der indigenen Bevölkerung verbunden
sei.
Für die deutschen AtomkraftgegenerInnen sprach Eva Stegen. Sie freute sich
über die zahlreichen DemonstrantInnen auf dem Colmarer Bahnhofsplatz und
erinnerte an die seit kurzer Zeit auch in Frankreich bestehende
Möglichkeit zu einem persönlichen Atom-Ausstieg, dem Wechsel zu einem
Ökostrom-Anbieter. Das "alterschwache Atomkraftwerk" am Oberrhein werde
immer mehr zur "Bedrohung für ganz Zentraleuropa", betonte Axel Mayer vom
Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND). Satirisch proklamierte er ein
neue Städtepartnerschaft zwischen Colmar und Peking. Unmittelbar nach der
Übersetzung ins Französische brandete Beifall auf. Angesichts der massiven
Polzeipräsenz und dem Versuch der französischen Behörden, die
Demonstration in Colmar nur zehn Tage vor dem Termin durch eine Verlegung
weitab vom Stadtzentrum durch die Hintertür zu verbieten, hatten die
anwesenden Zehntausend die Anspielung sofort verstanden.
Am Nachmittag wurden fünf Minuten Schweigen eingelegt, während dem
sich die DemonstrantInnen auf dem Platz und den angrenzenden Straßen
setzen oder hinlegten. Das Schweigen wurde lediglich von einem über die
Lautsprecher eingespielten Sirenenton unterbrochen. Anschließend drückten
die TeilnehmerInnen ihre Unzufriedenheit mit einem gemeinsamen Wutschrei
aus, der vermutlich bis in die Innenstadt Colmars zu hören war.
Die Redebeiträge waren für Menschen, die bis zu mehrere hundert Meter von
der Kundgebungstribüne entfernt die Straßen füllten, wegen einem über dem
Bahnhofsplatz kreisenden Polizei-Hubschrauber zeitweise kaum zu verstehen.
Obwohl der Polizei-Hubschrauber fast den gesamten Samstag Nachmittag über
dem Colmarer Bahnhofsplatz gekreist hatte, heißt es von offizieller Seite,
lediglich 3000 Menschen hätten an der Kundgebung teilgenommen. Der
Bahnhofsplatz wurde symbolisch umbenannnt: Als "Place de la Liberté",
Freiheitsplatz, soll er nun gegen den von AtomkraftgegenerInnen
kritisierten Abbau von Demokratie und Freiheitsrechten in Frankreich
mahnen.
An den Zufahrtsstraßen nach Colmar und bereits an deutsch-
französischen Grenzübergängen wie bei Breisach hatten polizeiliche
Kontrollen zu teilweise erheblichen Verkehrsbehinderungen und langen
Wartezeiten geführt. Laut einem Sprecher der 'Reseau Sortir du Nucléaire'
wurde rund ein Dutzend Busse zunächst an den Grenzübergängen blockiert.
Etliche AtomkraftgegenerInnen sahen sich daher zur Umkehr genötigt. Mit
Sprechchören wie "Atomstaat ist Polizeistaat" protestierten die
TeilnehmerInnen in Colmar, unter ihnen viele Familien mit Kindern, gegen
das Vorgehen der Behörden. Bürgermeister und Präfektur in Colmar hatte den
ursprünglich genehmigten Demonstrationszug durch die Innenstadt
kurzfristig untersagt. Diese war am Samstag Nachmittag nach
Augenzeugenberichten durch zahlreiche Polizeisperren hermetisch
abgeriegelt. Philippe Brousse, Sprecher des 'Reseau Sortir du Nucléaire',
kritisierte darüber hinaus, zahlreiche AtomkraftgegnerInnen seien daran
gehindert worden, zum Bahnhof zu gelangen.
Präfekt und Bürgermeister begründeten ihr martialisches Vorgehen mit
angeblich drohenden Ausschreitungen und stellten in öffentlichen
Verlautbarungen eine Verbindung mit den Krawallen in Straßbourg bei den
Demontrationen gegen den NATO-Gipfel Anfang April her. Zwischenfälle gab
es dennoch nicht. Wegen des Streits um die Demo- Route hatten viele Medien
im Vorfeld berichtet. Ob dies der Mobilisierung eher genutzt oder - wegen
der Warnung vor Randale - eher geschadet hat, ist schwer zu beurteilen.
Der französische Atom-Konzern EdF hat für Fessenheim eine Verlängerung der
Betriebsgenehmigung auf 40 Jahre beantragt. Die sogenannte
Zehnjahresinspektion für Block I soll dieser Tage beginnen, die für Block
II im kommenden Jahr. Die Überprüfungen dauern ASN zufolge jeweils rund
drei Monate und kosten pro Reaktor rund 60 Millionen Euro. Bei 19
französischen Atomkraftwerken mit insgesamt 58 Reaktorblöcken ergibt sich
daraus ein Investitionsvolumen von rund 3,5 Milliarden Euro. Die
französischen AtomkraftgegenerInnen kritisieren, daß dieses Geld ohne
jegliche öffentliche Debatte investiert werden soll. Das Geld stehe dann
nicht dem Ausbau der Erneuerbaren Energien zur Verfügung.
REGENBOGEN NACHRICHTEN
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
"AKW Fessenheim stillegen! - Erneuerbare ausbauen!"
Europäische Kundgebung in Colmar am 3. Oktober (18.09.09)
Der Rhein wird aufgeheizt
AKW Fessenheim mit maßgeblichem Beitrag (30.06.09)
Terrorziel Atomkraftwerk
TV-Magazin 'Frontal21' veröffentlicht Geheimbericht (17.06.09)
Erdbeben der Stärke 4,5 bei Steinen
AKW Fessenheim nach wie vor unsicher (5.05.09)
IAEA: AKW Fessenheim
entspricht nicht internationalen Standards (8.04.09)
Demo gegen Schein-Überprüfung
des AKW Fessenheim (22.03.09)
AKW Fessenheim undicht
Reaktor seit Samstag abgeschaltet (6.03.09)
AKW Fessenheim für weitere Jahrzehnte?
Versprecher oder Insider-Wissen? (4.12.08)
AKW Fessenheim: Block 2 abgeschaltet
Leck im Primärkreislauf (20.02.08)
Erneut Leiharbeiter im AKW Fessenheim verstrahlt (27.11.07)
Protestfrühstück beim AKW Fessenheim
"Terrorgefahr wird nicht ernst genommen" (11.11.07)
AKW Fessenheim
30 Jahre tödliche Gefahr (7.03.07)
Atomenergie in Frankreich
Info-Serie 'Atomenergie' - Folge 11
Das ungelöste Problem der Endlagerung
Info-Serie 'Atomenergie' - Folge 12
Aufruf: Atom-Ausstieg selber machen