7.05.2009

Asse II:
Mehr radioaktiver Müll
als vermutet

Greenpeace findet Hinweise auf zu niedrige Angaben
in den Inventar-Listen

Laut Greenpeace stimmen die Inventar-Listen des "Versuchs-Endlagers" Asse II nicht mit gemessenen Werten in der Abluft der Schachtanlage überein. Die hohen Werte des radioaktiven Gases Tritium* lassen den Schluß zu, daß in Asse II vier- bis fünfmal mehr radioaktive Abfälle eingelagert sind als angegeben. Die offiziellen Angaben sind auf groteske Weise falsch: Greenpeace stellte fest, daß die Bergwerkschächte von 1980 bis 2007 mehr Tritium an die Umwelt abgegeben hatten, als die Abfälle insgesamt enthalten sollten.

In den vergangenen Wochen war bereits bekannt geworden, daß auch Pestizide, Arsen, Quecksilber und Blei illegal in des ehemalige Bergwerk versenkt worden waren (15.04.09), daß auch die Bundeswehr radioaktives Material dorthin gebracht hatte (24.04.09) und daß mittlerweile eine mit radioaktivem Müll gefüllte Kammer in 725 Meter Tiefe akut einsturzbedroht ist.(29.04.09)

Da von 1967 bis 1978 nur äußerst ungenau dokumentiert wurde, was und wie viel in Asse II eingelagert wurde, berechnete das damals verantwortliche Helmholtz Zentrum München die Menge des Tritiums angeblich zum Teil erst nachträglich. Die Unterlagen nennen ein Tritium-Inventar von 4.380 Gigabecquerel zum 1. Januar 1980. Greenpeace hat jedoch auf Grundlage der regelmäßig dokumentierten Tritium-Messungen in der Abluft ein eingelagertes Inventar von mindestens 20.000 Gigabecquerel berechnet.

"Der Umgang des früheren Betreibers mit dem Atommüll ist skandalös verantwortungslos", sagt Thomas Breuer, Atomexperte von Greenpeace. Damit sei nunmehr völlig fraglich, welche Einlagerungsdaten aus Asse II überhaupt als zuverlässig gelten könnten. Von den in Deutschland tätigen AKW-Betreibern RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW fordert Greenpeace lückenlose Aufklärung darüber, wie viel und welchen Atommüll sie in Asse II abgeladen haben.

Im Februar 2009 hatte Greenpeace öffentlich gemacht, dass mehr als 70 Prozent der Radioaktivität im maroden Salzbergwerk Asse von atomaren Abfällen aus Atomkraftwerken der vier großen Energiekonzerne EnBW, RWE, Vattenfall und E.ON stammen. Bis dahin hatten die Energiekonzerne behauptet, sie hätten nur einen geringen Anteil an dem in Asse II abgeladen Atommüll. (Siehe unseren Artikel v. 23.02.09)

Doch Bundes-Atom-Minister Sigmar Gabriel zieht keine Konsequenzen und verschleppt darüber hinaus die dringend nötige Rückholung der radioaktiven Abfälle aus Asse II. Nach wie bedient er sich dabei des Vorwands, es müsse zunächst das Inventar geklärt werden - doch dies ist angesichts völlig unplausibler Inventar-Listen obsolet.

Gabriel reiht sich damit nahtlos in die Folge seiner VorgängerInnen als Bundes-"Umwelt"-Minister ein - von Trittin über Merkel bis Töpfer und Wallmann. "Störfälle hat es während der gesamten Zeit der Einlagerung radioaktiver Abfälle auf der Schachtanlage Asse nicht gegeben", beantwortete das Bundes-"Umwelt"-Ministerium - Behördenchef war seinerzeit Klaus Töpfer - im März 1989 eine Kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion. Nur "vereinzelt wurden bei der Überwachung der Einlagerung durch Mitarbeiter des betrieblichen Strahlenschutzes Kontaminationen festgestellt, die bei Überschreitung von zulässigen Grenzwerten sachgerecht dekontaminiert wurden," heißt es in dieser Antwort.

Im Gegensatz zu dieser Behauptung kam selbst das Helmholtz Zentrum München nicht umhin, festzustellen, daß es beim Einlagern zwischen 1968 und 1978 rund 200 Störfälle und Betriebspannen gegeben habe. Meistens wurde dabei Radioaktivität freigesetzt. Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), das Asse II seit Beginn dieses Jahres betreibt, veröffentlichte in dieser Woche eine Liste mit dem Titel "Betriebsstörungen bei der Einlagerung".

Das im vergangenen Dezember, also kurz vor Übergabe der Verantwortung an das BfS erstellte Dokument listet die Störfälle in Stichworten auf. So heißt es unter dem Datum 4.12.1969: "Nukem-Faß Nr.256 mit Loch (Durchmesser 10 cm) im Faßmantel". Am 4.2.1971 wurde eine "Kontamination an den Faßklammern der Gabelstapler über und unter Tage durch äußerliche Kontamination an Fässern von HMI, Berlin" festgestellt.

In zahlreichen weiteren Fällen wurden Fahrzeuge, Werkzeuge und Arbeitskleidung radioaktiv verstrahlt, mehrmals auch "Schachthallensohlen" und der Förderkorb kontaminiert. Am 10.4.1972 trat aus einem vom Kernkraftwerk Obrigheim angelieferten Faß eine "dicke, gelbgrüne Flüssigkeit" aus. Am 4.3.1974 hieß es: "Fahrer des Wieger-Teleskopbaggers kontaminiert an Kleidung und Haaren". Vom 15.4. bis 29.10.1980 wurden 1.725 Fässer in andere Kammern umgelagert: "Bei einer dieser Umlagerungsaktionen platzte am 10.9.1980 das Faß, das am 12./13.12.1978 vom KGB Gundremmingen geliefert wurde."

Die Braunschweiger Staatsanwaltschaft hat zu Jahresbeginn Vorermittlungen gegen das Helmholtz Zentrum bestätigt. Dabei hat die Behörde unter anderem drei an Krebs erkrankte Ex-Mitarbeiter des Atommülllagers befragt.

Die Kette von skandalösen Enthüllungen über das "Versuchs-Endlager" Asse II ruft in Erinnerung, daß die Endlagerung des beim Betrieb von Atomkraftwerken entstehenden radioaktiven Mülls bis heute weltweit ungelöst ist. Es stellt sich unvermeidbar die Frage, wie es zu verantworten ist, Atomkraftwerke auch nur einen einzigen Tag weiter zu betreiben.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

* Tritium ist ein radioaktives Isotop von Wasserstoff (H). Beim Austausch eines H-Atoms im Wassermolekül durch ein Tritium-Atom ist "schweres Wasser" chemisch von normalem Wasser nicht zu unterscheiden. Es entsteht vor allem bei der Kernspaltung in Atomkraftwerken und gelangt über AKW-Abwässer und -Abluft sowie über den Atommüll in die Umwelt.

Gelangt Tritium ins Grundwasser, kann es kaum noch herausgefiltert werden. Auch als Gas ist seine Ausbreitung kaum zu kontrollieren. Es führt zu einer gleichmäßigen Strahlenbelastung aller Organe, kann Krebs erregen und noch nach Generationen genetische Schäden hervorrufen. Im Gegensatz zu anderen radioaktiven Stoffen ist es besonders gut meßbar. Tritium hat eine Halbwertzeit von 12,3 Jahren.

Siehe auch unsere Artikel zum Thema:

      Asse II: Einsturzgefahr in Kammer 7 akut
      (29.04.09)

      Asse II diente auch der Bundeswehr als Atomklo
      Endlager-Skandal nimmt immer neue Dimensionen an (24.04.09)

      Asse II: Auch Fässer mit Pestiziden,
      Arsen und Blei im "Versuchs-Endlager" Asse II (15.04.09)

      Versuchslager Asse II
      Wer hat den radioaktiven Müll produziert? (23.02.09)

      Lauge aus Atommüll-Lager Asse erneut nach 'Mariaglück'
      Dringend nötige Rückholung weiter verzögert (7.02.09)

      Einsturzgefahr im Atommüll-Lager Asse
      Seit Dezember nicht veröffentlicht (15.01.09)

      Asse II: Der Wechsel zum BfS ist nur Pop
      Rückholung des radioaktiven Mülls bislang nicht geplant (5.09.08)

      Gefahr durch atomares Versuchslager Asse II nicht länger geleugnet
      Atom-Minister Gabriel: "Zustände in Asse sind unhaltbar"
      Wird das Bergwerk geräumt? (2.09.08)

      Verdacht auf hochradioaktiven Müll im Versuchslager Asse II
      "Brennstäbe in Blechdosen" (29.07.08)

      Skandal-Grube Asse II
      Eindringendes Wasser radioaktiv kontaminiert (12.06.08)

      Kosten für Karlsruher "Atomsuppe" wachsen auf 2,6 Milliarden Euro
      Vorgeschmack auf das bittere Erbe der Atomenergie (16.01.08)

      Endlager-Pläne in Ton zerbröseln
      Konsequenzen für Benken (Schweiz) und Bure (Frankreich)
      (14.01.08)

      Drohende Umweltkatastrophe durch Atom-Lagerstätte Asse
      Gabriel räumt Gefahren ein (21.11.07)

      Die BI Schacht Konrad weitet den Kampf aus
      Zahlreiche Aktionen gegen Atommülldeponie (4.07.07)

      Niederlage im Kampf gegen Schacht Konrad
      Gericht gibt Atom-Mafia recht (3.04.07)

      Atomares Endlager
      Yucca Mountain gestoppt (22.07.04)

      ItalienerInnen erfolgreich -
      kein Endlager weltweit (2.12.03)

      Endlager-Wahnsinn (28.02.01)

      Informationen zum deutschen "Atom-Ausstieg"

      Atom-Ausstieg selber machen!

 

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