24.09.2003

Artikel

Blair schubst Hoon

In der Kelly-Affaire wird es zunehmend unappetitlich. Blairs früherer PR-Chef Alastair Campbell konnte sich der Rolle des Bauernopfers entziehen, indem er sich unter Verweis auf frühere Vereinbarungen einen ehrenhaften Abgang mit späterer Wiedereinstiegsmöglichkeit verschaffte. Nun versucht er - offensichtlich mit Rückendeckung von Blair - dem rücktrittsunwilligen britischen Kriegsminister Hoon zur Opfer-Rolle zu verhelfen. Denn anders ist nicht zu erklären, warum Campbell ohne erkennbaren Druck der Untersuchungskommission unter Lordrichter Hutton seine Tagebuchnotizen zur Verfügung stellt, die Hoon als Lügner erscheinen lassen. Hutton verfügt über keinerlei Erzwingungsmittel, um die Herausgabe von Tagebuchnotizen oder irgendwelcher anderer Dokumente erwirken zu können.

Eben diese Tagebuchnotizen Campbells, die am Montag der Hutton-Kommission vorlagen, werden von den britischen Massenmedien - ungeachtet ihrer dürftigen Beweiskraft - als äußerst brisant gewertet. Jedenfalls geht daraus hervor, Kriegsminister Hoon habe ihn, Campbell, am 4. Juli, dem US-amerikanischen Nationalfeiertag, darüber informiert, daß der B-Waffen-Experte David Kelly sich innerhalb des Ministeriums dazu bekannt habe, jene undichte Stelle zu sein, auf die sich die so heftig umstrittenen BBC-Berichte stützten. Zur Erinnerung: Diese BBC-Berichte waren nicht etwa umstritten, weil sie die Rechtfertigungslügen des Irak-Krieges, das Regime Saddam Husseins verfüge über Massenvernichtungswaffen, in Frage gestellt hätten - sie waren umstritten, weil sie die mit Geheimdienst-Informationen und mit zum Teil auf lachhafte Weise kopierten Seminararbeiten unterfütterten Behauptungen lediglich als aufgebauscht kritisiert hatten. Und inzwischen aber sagt selbst der damalige Leiter der UN-Waffeninspekteure, Hans Blix, daß es nie Beweise für Massenvernichtungswaffen im Irak gab und daß es daher nicht verwunderlich sei, wenn dort keine solchen gefunden würden1.

Nun hatte der für die BBC-Berichte verantwortliche Journalist Andrew Gilligan allerdings behauptet, die von der britischen Regierung in ihrem Rechtfertigungs-Dossier für die Beteiligung am Irak-Krieg vorgelegten "Beweise" für Massenvernichtungswaffen seien auf Anweisung von Campbell aufgebauscht - oder wie es im englischen so hübsch zynisch heißt: sexyer gemacht - worden. Campell lenkt nun von diesem Punkt ab, in dem er Hoon die Schuld an der Preisgabe der Identität Kellys und damit - entsprechend der Selbstmord-Theorie - am Tode Kellys zuschiebt. Laut den Tagebucheintragungen seien sich Hoon und Campbell einig gewesen, Kelly dazu zu drängen, die Glaubwürdigkeit der BBC-Berichte durch ein Dementi zu erschüttern. Dazu sei vereinbart worden, die Identität Kellys den Medien zuzuspielen, ohne selbst dabei in Erscheinung zu treten. Mit Datum vom 9. Juli vermerkt das vermeintliche Tagebuch Campbells: "Das wichtigst ist, daß die Quelle rauskommt.(...) Wir waren uns einig, daß wir das nicht selbst machen sollten."

Witziger Weise fand die Würdigung dieser Textpassagen nun gerade am Montag unmittelbar nach der Einvernahme Hoons statt. Dieser war eben noch - bereits zum zweiten Mal - als Zeuge befragt worden und hatte versucht, jegliche Beteiligung an der Veröffentlichung von Kellys Namen so weit als möglich von sich zu weisen. Werden die auch für Campbell selbst kompromittierenden Texte als authentisch gewertet, folgte daraus unweigerlich, daß Hoon in dieser entscheidenden Frage gelogen hätte und dessen Rücktritt wäre unabwendbar. Eines jedenfalls ist sicher: die Herren stehen unter einem enormem und weiter anwachsenden Druck. Weitere Enthüllungen sind nur noch eine Frage der Zeit.

 

Harry Weber

 

Anmerkungen:
1 Siehe auch unseren Artikel:
'Blix widerspricht Blair und Bush'
"Keine Beweise für Massenvernichtungswaffen" vom 9.09.2003

Bisher erschienen zu diesem Thema auf unseren Seiten:

'Der Anfang vom Ende des Tony Blair'
Britischer Geheimdienstler David Kelly tot aufgefunden (18.07.2003)

'Todesfall Kelly - Selbstmord-These unglaubwürdig' (25.08.2003)

'Meacher schlägt Blair'
"This war on terrorism is bogus" ('Guardian' v. 6.09.) (7.09.2003)
und
Dokumentation des Original-Artikels in deutscher Übersetzung

'Hoon wird Blairs nächstes Bauernopfer' (12.09.2003)

'Blair unter Buch-Druck'
Enthüllungen über Innenminister Straw erhöhen den Druck auf Blair (17.09.2003)

 

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