In Spanien halten die Proteste für Demokratie und gegen die neoliberale Ausplünderung des Landes trotz eines Demonstrationsverbots weiter an. Heute versammelten sich erneut über 60.000 SpanierInnen in Madrid auf dem zentralen Platz Puerta del Sol.
Kundgebungen gab es auch in vielen anderen spanischen Städten, darunter in Barcelona, Valencia und Sevilla. Die DemonstrantInnen errichteten rund 60 Protestcamps, in denen sie seit Tagen ausharren. Sie ignorierten damit heute auch ein Demonstrationsverbot, das die zentrale Wahlbehörde wegen der Regional- und Kommunalwahlen am morgigen Sonntag verhängt hatte. In Redebeiträgen und Parolen wird vor allem die sich verschlechternde soziale Lage angeprangert und Politik des Sozialabbaus durch die PSOE-Regierung. So beträgt etwa die Arbeitslosigkeit der SpanierInnen unter 25 Jahren nach offiziellen Angaben über 40 Prozent. Zugleich richtet sich der Protest gegen das herrschende "Zweiparteien-System" aus pseudo-sozialistischer PSOE und pseudo-konservativer PP, die beide die selbe neoliberale Politik im Auftrag des internationalen Finanzkapitals vertreten. So lautet die am weitesten verbreitete Parole der Proteste "Democracia real ya!" (Reale Demokratie jetzt!) und ein entsprechendes Manifest (siehe unseren Artikel vom 16. Mai) verbreitet sich wie ein Lauffeuer.
Entgegen den Meldungen der europäischen Mainstream-Medien, die versuchen, ein Bild von "Jugendprotesten" zu zeichnen, ist auf den Kundgebungen deutlich zu sehen, daß sich die "Empörten" aus Jugendlichen, StudentInnen, RentnerInnen, Erwerbslosen, EinwanderInnen, Linken und Konservativen zusammensetzen und gemeinsam gegen die "politische Klasse" aufbegehren. Es herrscht eine Aufbruchstimmung, die in Parolen und selbstgemalten Schildern mit Aufschriften wie "Hier und jetzt!" oder "So beginnt der Wandel" zum Ausdruck kommt.
Der derzeitige spanische Ministerpräsident José Zapatero von der PSOE hat in der Bevölkerung laut aktuellen Umfragen viel an "Kredit" verspielt. Die Pseudo-Sozialisten müssen sich auf deutliche Verluste einstellen. Zu viele Wahlversprechen haben sie in den vergangenen Jahren gebrochen. Im Juli 2009 hatte Zapatero etwa den Stillegungsbeschluß für das AKW Garoña (Betriebsbeginn: 1970) aufgehoben und die Genehmigung bis über das Ende seiner Amtszeit hinaus verlängert.
Wegen der morgigen Kommunal- und Regionalwahlen sind Kundgebungen untersagt. Die spanische Regierung wies die Sicherheitskräfte allerings an, die Demonstrationen zu dulden, solange sie friedlich verlaufen. Ministerpräsident Zapatero äußerte mittlerweile "Verständnis" für die Proteste. In den Medien wird der Protest als "Forderung nach Reformen" umgedeutet. Zapatero sagte, die Forderungen der Demonstranten machten der Regierung keine Angst. Vielmehr verpflichteten sie dazu, nach "Lösungen zu suchen". Als die PSOE jedoch das Manifest "Democracia Real Ya!" auf ihrer Web-Seite veröffentlichte, mußte die Partei dies nach wütenden Protesten wenig später wieder entfernen - die AktivistInnen wollten sich nicht vereinnahmen lassen. Die pseudo-sozialistische PSOE muß ebenso wie die PP bei den Wahlen mit deutlichen Verlusten rechnen.
Die Gründung einer neuen Partei wird von den Protestierenden auf breiter Front abgelehnt. Die SpanierInnen sind offenbar zu der Erkenntnis gelangt, daß eine winzige Minderheit trotz angeblich freier Wahlen auf die Auswahl der ParlamentarierInnen und die Entscheidungen in den Parlamenten mehr Einfluß hat als die Mehrheit des Volks. Mit hierzu beigetragen hat offensichtlich die hohe Zahl an aufgedeckten Bestechungsskandale, in die PolitikerInnen aller Parteien verwickelt sind. Und mehr noch hat zur umsichgreifenden Parteien-Verdrossenheit beigetragen, daß sich immer mehr Menschen fragten, warum die "PSOE-PP" ausgerechnet diejenigen unterstützt, "die uns in diese Krise geführt haben. Statt sie vor Gericht zu stellen und zur Verantwortung zu ziehen, hilft man ihnen sogar mit dem Steuergeld, das die Arbeiter dieses Landes erwirtschaften" - wie ein Sprecher der DemonstrantInnen in Madrid erklärt. Das System "PSOE-PP", das dem Land zuerst fast fünf Millionen Arbeitslose und nun ein schmerzhaftes staatliches Kürzungs-Programm beschert hat, wird in Frage gestellt.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Spanien: "Democracia real ya!"
Puerta del Sol von Polizei geräumt (18.05.11)
Massenproteste in Spanien
"Democracia real ya!" (16.05.11)
Die Dreckschleudern der Nation
PolitikerInnen und ihre Dienstlimousinen (18.04.11)
...völlig desillusioniert
von Wahlen (12.09.09)
AKW-Laufzeitverlängerung in Spanien
"Sozialistischer" Regierungs-Chef Zapatero
bricht Wahl-Versprechen (3.07.09)
AKW-Unfall in Spanien
Greenpeace ortet Radioaktivität bei Tarragona (8.04.08)
Parlamentarismus überzeugt
immer weniger (30.12.06)
Löst Spanien
den europäischen Wirtschafts-Crash aus? (3.07.04)