Erneut wird die Panikmache verbreitet, ab dem 1. Januar 2014 dürften Kranke nur mehr bei Vorlage der neuen eGesundheitskarte behandelt und versorgt werden. Die herkömmlichen Plastik-Karten ohne Foto würden zum Ende des Jahres 2013 - unabhängig von der auf der KVK aufgedruckten Gültigkeitsdauer - wertlos. Diese Drohung ist nur Bluff.
Schon seit Jahren wird die Einführung der eGesundheitskarte propagiert und mehrmals schon wurde sie verschoben. Nun versucht die GKV den aus guten Datenschutzgründen gegen die eGesundheitskarte kritischen eingestellten Versicherten zu suggerieren, sie seien eine kleine Minderheit. Ohne hierfür nachprüfbare Daten vorzulegen, behauptet die GKV, derzeit besäßen bereits 95 Prozent der Versicherten die eGesundheitskarte. Und erneut wird durch Falschmeldungen, die an herausragender Stelle in 'Google News' weiterverbreitet werden, Angstmache betrieben.
Nach wie vor verweigern viele kritische Versicherte das Einsenden eines Fotos an ihre Krankenkasse. Entscheidend ist übrigens nicht das Foto, sondern die Möglichkeit, auf dem Chip der neuen eGesundheitskarte sensible Daten der Versicherten abzuspeichern. Doch bislang erklärten die Krankenkassen, ein Foto sei die unbedingte Voraussetzung für die Ausstellung einer eGesundheitskarte.
Gleichgültig, ob die Daten, die in Zukunft auf der eGesundheitskarte gespeichert werden können, dann in einem zentralen Datenspeicher landen oder als Kopien in den jeweiligen Praxen gespeichert sind - die Gefahr besteht darin, daß auf diese Daten dann zentral zugegriffen werden kann. Das Mitbrauchs-Risiko ist unbestreitbar riesig. Welcher profitorienterte Daten-Hunger nach immer neuen persönlichen Daten schon heute existiert, läßt sich an dem erst kürzlich aufgedeckten Daten-Skandal in Zusammenhang mit dem Apothekenrechenzentrum VSA ablesen (siehe unseren Artikel v. 18.08.13).
Der US-Konzern IMS Health verfolgt nach eigenen Angaben die Krankheiten von 42 Millionen gesetzlich Versicherten in Deutschland und verkauft die heißen Daten wiederum an Pharma-Unternehmen weltweit. Erschreckend ist, daß die Menschen damit vor zahlungskräftigen Konzernen nicht nur nackt dastehen, sondern bis auf die letzte Faser ihres Seins durchleuchtet werden sollen. Gary King, Sozialforscher an der Harvard-Universität, erläutert dies so: "Zusätzlich zur guten, alten Umfrage mit rund 1.000 TeilnehmerInnen können ForscherInnen heute auf mehr als 100 Millionen tägliche Einträge in Sozialen Netzwerken zugreifen und sie mit automatischen Verfahren analysieren." Weiter gebe es bereits heute die Möglichkeit, "über Handys, IP-Adressen und Video-Überwachung Aufenthaltsorte zu ermitteln." Parteispenden, Unterschriftenlisten, Kreditkartenzahlungen, Grundstückskäufe, Funk-Etiketten (RFID - wir berichteten hierüber bereits 2003: "Die Wanze im Hemdkragen"), Einkäufe via Internet, elektronische Patienten- und Krankenhausakten, Meß-Werte aus neuen Geräten zur Bewegungskontrolle, zur Messung des Pulses, der Leitfähigkeit der Haut und der Körpertemperatur, darüber hinaus Onlinespiele und Protokolle von Unternehmen über das Verhalten ihrer Angestellten, zählt King enthusiastisch auf. Ein "dramatischer Fortschritt" sei dies, schwärmt der Harvard-Wissenschaftler (siehe auch "CIA und US-Wissenschaftler" v. 12.01.01).
Zugleich ist festzustellen, daß bislang kein veröffentlichter Nachweis vorliegt, daß die eGesundheitskarte die Anforderungen zum Stand der Technik nach den international gültigen Normen (ISO/IEC 15408) erfüllt. Deutschland ist einer der letztes Staaten, der die für Datensicherheit nötige Normung nicht vorweisen kann. Ebenso wenig gibt es bis heute eine rechtliche Grundlage, mit der die GKV oder eine Krankenversicherung Versicherte dazu zwingen könnte, auf die eGesundheitskarte umzusteigen. Vorhandene Gesundheitskarten sind sicher bis zum Ablauf des aufgedruckten Gültigkeitsdatums ausreichend, damit in Praxis und Krankenhaus die zu erwartende Leistung nicht verweigert werden kann.
Bereits vor gut zwei Wochen (siehe unseren Artikel v. 2.10.13) hat sich die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg von der Panikmache der GKV distanziert und verlautbart, daß "im Rahmen einer unbefristeten Übergangsregelung (...) die alten Krankenversichertenkarten weiterhin in das PVS eingelesen werden." Auch damit seien weiterhin Leistungen abzurechnen und Verordnungen und Bescheinigungen auszustellen.
Die GKV drohte hingegen, ohne eGesundheitskarte müssten die Versicherten mit einem "papiergebundenen Ersatzverfahren" rechnen, sie hätten dann nur zehn Tage Zeit, einen gültigen gültigen Krankenversicherungsnachweis vorzulegen oder sie müßten die Rechnung privat bezahlen. "Erstattet werden die Kosten einer bereits bezahlten Privatrechnung allerdings nur dann, wenn spätestens bis zum Ende des Quartals ein entsprechender Versicherungsnachweis vorliegt," so die leere GKV-Drohung. Medizin-RechtlerInnen haben bereits mehrfach darauf hingewiesen, daß die Rechte der Versicherten nicht davon abhängen, ob sie die neue eGesundheitskarte akzeptieren oder nicht. Auch viele MedizinerInnen zeigen sich kritisch und der Spitzenverband der ÄrztInnen erklärte, daß die alten Karten noch lange im Jahr 2014 akzeptiert würden.
Verwirrung soll wohl auch die Meldung stiften, die neuen eGesundheitskarten unterschieden sich technisch noch gar nicht von der herkömmlichen Plastik-Karte. Erst wenn die telematische Infrastruktur online geht, müssen die Krankenkassen PIN-Briefe zur Aktivierung der eGesundheitskarte verschicken. Dies trifft zwar zu - doch möglich wird dies nur durch den Chip auf der neuen eGesundheitskarte.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Internet-Schnüffelei
BND zapft deutsche Provider an (7.10.13)
Adobe gehackt
Zugriff auf Quellcodes von ColdFusion und Acrobat (4.10.13)
Bluff mit eGesundheitskarte
Druck auf Unwillige scheinbar erhöht (2.10.13)
Internet-Schnüffelei
GCHQ bespitzelt ganz Europa (28.08.13)
Witz der Woche
"Gilt auf deutschem Boden deutsches Recht?" (21.08.13)
Größter Daten-Skandal der Nachkriegszeit
Millionen PatientInnen und ÄrztInnen ausgespäht (18.08.13)
Washington Post deckt auf:
NSA hat doch US-Recht gebrochen (16.08.13)
Snowden beibt vorerst in Rußland
"Keine Auslieferung an USA" (1.08.13)
"Stop watching us"
Bundesweit Demos gegen Geheimdienst-Schnüffelei (27.07.13)
Big Brother hört mit
Hintertür per SIM-Karte (21.07.13)
Microsoft half offenbar bei Schnüffelei
und unterstützte NSA
beim Umgehen von Verschlüsselungen (12.07.13)
Snowden entwischt
Whistleblower flieht nach Ecuador (23.06.13)
Snowden: Britischer Geheimdienst GCHQ
spitzelt noch extremer als NSA (17.06.13)
Prism ist nichts Neues
Whistleblower macht latenten Skandal publik (7.06.13)
Big Brother wächst
Bundesrat macht Weg frei für Überwachungs-Staat (3.05.13)
"Anti-Terror-Datei"
Urteil der Bundesverfassungsgerichts
ebnet Weg zu neuer Gestapo (25.04.13)
Big Brother liest mit
Allein im Jahr 2011: 2,9 Millionen eMails und SMS (5.04.13)
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