24.02.2005

Joseph Fischer nun doch
erst später vor Visa-Ausschuß

Visa-Mißbrauch bereits im März 2000 Thema im Kabinett

Der Zick-Zack-Kurs von "Rot-Grün" bei der Stabilisierung des kippenden Außenministers Fischer nimmt inzwischen groteske Züge an. Alle paar Tage wird die Entscheidung, ob Joseph Fischer nun vor oder erst nach der für den Fortbestand von "Rot-Grün" entscheidenden Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen vor dem Visa-Untersuchungs- ausschuß des Bundestages erscheinen soll, revidiert. Die Nervosität wächst, denn die nächste verlorene Landtagswahl in Folge, die zugleich den Verlust des bevölkerungsreichsten Bundeslandes bedeuten würde, hat den Charakter einer Weichenstellung für die Bundestagswahl 2006.

Zugleich mußte nun eine Aussage von Regierungssprecher Béla Anda "korrigiert" werden: Entgegen dessen wiederholter Darstellung, war die Visa-Problematik seinerzeit Thema im Kabinett. Diese Information, die wir bereits vor zwei Tagen veröffentlichten,1 wird nun heute auch in den online-Ausgaben von 'stern' und 'focus' verbreitet. Dem 'stern' liegen Dokumente vor, aus denen hervorgeht, daß der Visa-Mißbrauch in Osteuropa schon im März 2000 Thema im Bundeskabinett war.

Bei jener Kabinetts-Sitzung erklärte Bundesinnenminister Otto Schily beim Tagesordnungspunkt "Verschiedenes", durch die Visa-Erlasse werde seine Politik zur Steuerung des Ausländerzustroms untergraben. Obwohl er für den Schutz der Grenzen zuständig sei, habe ihn Außenminister Fischer nicht eingebunden. Als Fischer den Vorwurf zurückwies, griff Bundeskanzler Schröder ein und erklärte, der Konflikt solle auf Arbeitsebene geklärt werden.

Laut weiteren Informationen des 'stern' sei das Kanzleramt auch in der Folgezeit durch Berichte des Bundesnachrichtendienstes (BND) stets gut über die Folgen der Visa-Erlasse informiert gewesen. Fischer selbst sei bei einem Besuch der Botschaft in Kiew im Sommer 2000 über die schon damals "unhaltbaren Zustände bei der Visa-Erteilung" informiert worden.

Der 2001 begonnene und 2003 fertiggestellte Wostok-Sonderbericht des Bundeskriminalamts über die Folgen der neuen Visa-Praxis landete nach 'stern'-Informationen auch auf Schilys Schreibtisch. In 'Wostok' ist nachzulesen, daß auch tschetschenische TerroristInnen, die in die blutige Geiselnahme im Moskauer Musicaltheater verwickelt waren, mit in Moskau erschlichene deutschen Visa mehrfach in die Bundesrepublik eingereist sind.

All diese Details, von denen in den nächsten Wochen sicherlich noch etliche ans Tageslicht kommen werden - so denn Fischer nicht alsbald von Schröder zurückgetreten wird, lenken jedoch vom Kern der Visa-Affäre ab. Unabhängig davon, wie auch immer das Schengener Abkommen politisch zu werten ist, steht fest, daß mit den von Außenminister Fischer zu verantwortenden Visa-Erlassen gegen geltendes deutsches und europäisches Recht verstoßen wurde. Und dies jahrelang. Eine klarere Voraussetzung für die Demission eines Ministers dürfte wohl kaum je zu finden sein. Wenn Fischer bisher nicht zurückgetreten wurde (denn ein freiwilliger Abgang ist bei diesem gelehrigen Schüler Helmut Kohls nicht zu erwarten), dann allein aus Gründen des Machterhalts. Doch auch wenn Schröder im Moment noch damit kalkuliert, sich nach einem Abtritt Fischers kaum mehr an der Macht halten zu können, wird sich die Frage für ihn schon in Kürze umgekehrt stellen: Wie lange kann ich mich mit Fischer an der Seite noch an der Macht halten?

 

Adriana Ascoli

 

Anmerkungen

1 Siehe auch unseren Artikel (letzter Satz)

      Joseph Fischer nun doch bald vor den Visa-Ausschuß
      (22.02.05)

Siehe auch unsere vorangegangenen Artikel

      Koch in Visa-Affäre verstrickt
      (19.02.05)

      Sensation im Visa-Ausschuß
      Fischers Praktiken waren illegal
      (17.02.05)

      Fischers Visa-Affäre spitzt sich zu
      Brief vom Außenminister höchstselbst vom April 2000
      (16.02.05)

      Joseph Fischers final flight?
      Schröders Treue im Bruch-Test
      Volmer nimmt die Rolle des Bauernopfers nicht an
      (14.02.05)

      Volmer aus der Schußlinie genommen
      In wenigen Tagen beginnt Visa-Untersuchungsausschuß (12.02.05)

      Volmer beim Lügen ertappt
      Hunderttausende verdient mit "auf dem Schoß sitzen" (10.02.05)

      Bundestagsabgeordneter Volmer als Lobbyist enttarnt (19.01.05)

 

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