5.01.2005

Folter in Deutschland

Amnesty International wirft der Bundesregierung vor, gegen Mißhandlungen auf Polizeiwachen und bei Abschiebungen nicht ernsthaft vorzugehen

Durch den Fall des ehemaligen Frankfurter Polizeivizepräsidenten Wolfgang Daschner1 kam in Deutschland eine Diskussion über die Zulässigkeit von Folter ins Rollen, die im Grunde an der Realität vorbeigeht. So war es Daschner und all jenen, die ihn nur als Werkzeug benutzten, darum gegangen, die Rechtslage einer "rauhen Wirklichkeit" anzupassen. Wenn auch von Menschenrechtsverletzungen auf Polizeiwachen oder bei Abschiebungen selten etwas an die Öffentlichkeit gelangt, fiel doch mit den Berichten über Folterfälle bei der Bundeswehr ein kleiner Lichtschein auf die bundesrepublikanischen Realitäten. Zumindest Teilen von Polizei- und Militär-Apparat ist es zunehmend lästig, aus Rücksicht auf ein ihnen anachronistisch erscheinendes Folterverbot ihrer Leidenschaft nur heimlich frönen zu können.

Daß mit einer Durchlöcherung des rechtsstaatlichen und verfassungsrechtlichen, unbedingten Folter-Verbots auch die Dämme in der Praxis vollends ins Rutschen gekommen wären, dürfte angesichts der Zustände in den USA klar sein. Ob diese nach der halbherzigen Verurteilung Daschners auf Dauer halten werden, muß sich erst noch zeigen.

Deutschland ist durch Grundgesetz und Strafrechts-Normen2 an die Ächtung von Folter gebunden und hat bereits vor einiger Zeit die Antifolterkonventionen von Europarat und UNO unterzeichnet. Doch seit 2003 liegt ein Zusatzprotokoll vor, das die Mitglieder verpflichtet, durch Kontrollen von unabhängigen Personen präventiv gegen Menschenrechtsverletzungen in staatlichen Einrichtungen vorzugehen. Nun gibt es aber in der Bundesrepublik weder auf Bundes- noch auf Länderebene entsprechende unabhängige Einrichtungen, stellte das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIM) im Januar 2004 fest. Und so drückt sich die "rot-grüne" Bundesregierung mit einem Schwarze-Peter-Spiel dauerhaft darum herum, dieses Zusatzprotokoll zu unterzeichnen. Denn damit würden luftige Absichtserklärungen zu handfesten Verpflichtungen.

Das Zusatzprotokoll trat vereinbarungsgemäß in Kraft, nachdem es von 20 Vertragsstaaten ratifiziert wurde. Bisher setzten 26 Staaten ihre Unterschrift unter den Vertragstext - Deutschland fehlt. Die Bundesregierung schiebt die Verantwortung den Bundesländern zu. Henning Plöger, Pressesprecher des Bundesjustizministeriums erklärt, "Rot-Grün" sei auf die Zustimmung der LandesinnenministerInnen angewiesen. Bisher - seit 2003 - sei die Bundesregierung noch im Gespräch mit den Ländern.

Bereits im Dezember 2000 inspizierte die Antifolterkommission des Europarats (CPT) in Deutschland Polizeigewahrsame sowie Abschiebe- und normale Haftanstalten und führte Gespräche mit Häftlingen. CPT erbat danach von der damaligen Kohl-Bundesregierung eine Liste über Beschwerden über Mißhandlungen bei Abschiebungen. Kohl und Kanther, der damalige Innenminister, erklärten sich unwissend: Abschiebungen seien Ländersache. Auf Nachfragen hin wurden drei Fälle preis gegeben. Bei allen seien aber die Ermittlungen wieder eingestellt worden, teilte die Bundesregierung der CPT mit. Die antirassistische Initiative Berlin indes hat 234 Fälle über den Zeitraum von 1993 bis 2003 dokumentiert, bei denen Menschen allein bei Abschiebungen durch Mißhandlungen verletzt wurden. Fünf wurden getötet.3

Amnesty International (ai) bat bereits 1997 Bundesinnenminister Kanther, Fälle von Mißhandlungen in Polizeigewahrsam oder vom Bundesgrenzschutz statistisch erfassen zu lassen. Auch die damalige Bundesregierung hatte daran kein Interesse und so begann Kanther das Schwarze-Peter-Spiel. Das Innenministerium erklärte sich für "nicht zuständig" und verwies auf das Justizministerium. Dort wurden die von ai berichteten Fälle daraufhin dann immerhin ausgewertet: Bis Mai 2004 seien 69 strafrechtliche Verfahren in erster Instanz abgeschlossen worden, teilt nun der heutige Sprecher Henning Plöger mit. In 15 Fällen kam es zu Verurteilungen mit Geld- oder Freiheitsstrafen. Für eine bessere Ausbildung, um Mißhandlungen vorzubeugen, seien allerdings die Länderinnenminister zuständig. Und für die Ausbildung zeichnet auch das Bundesinnenministerium verantwortlich.

Mißhandlungen und Demütigungen finden laut ai auch auf Polizeiwachen in Deutschland statt. Neben Menschenrechtsorganisationen moniert auch der Europarat seit langem, daß es an Fall-Statistiken und an unabhängigen Organen fehle, die Polizei- und Vollzugsbeamte hinter Gefängnismauern und auf Polizeirevieren kontrollieren. Weit über 100 Fälle hat ai seit 1996 dokumentiert, in denen in Deutschland Menschen in Polizeigewahrsam oder bei Abschiebungen vom Bundesgrenzschutz mißhandelt oder gar getötet wurden. Im Januar 2004 legte ai erneut eine "Studie über polizeiliche Mißhandlungen und den Einsatz unverhältnismäßiger Gewalt in Deutschland" vor. Demnach haben die meisten Betroffenen angegeben, daß Polizeibeamte sie mit Fußtritten und Fausthieben traktiert hätten, oder sich auf sie gekniet, um ihnen bewußt Schmerzen zuzufügen.

Fast immer seien die Ermittlungen eingestellt worden, so ai. Relevanten Hinweisen werde nicht nachgegangen. Ein signifikanter Anteil der Opfer seien ausländische Staatsbürger oder Deutsche ausländischer Herkunft. Für "bedenklich" hält ai zudem die hohe Zahl der Gegenanzeigen der Polizei, wodurch Mißhandlungsopfer potentiell abgeschreckt würden, ihr Recht auf Wiedergutmachung einzuklagen.

 

Monika Wittmer

 

Anmerkungen

1 Siehe hierzu auch unsere Artikel

      Folter-Vorwurf bestätigt
      Dennoch extrem mildes Urteil im Fall Daschner (21.12.04)

      Folter? "Unmittelbarer Zwang" klingt viel besser!
      Der Fall Daschner wird in Frankfurt verhandelt (20.11.04)

      Und Toilettenpapier färbt doch ab
      Zu Lafonaines Pro-Folter-Kolumne vom 3. März (8.03.03)

2 Siehe die Dokumentation

      Das Verbot von Folter im deutschen und internationalen Recht
      (8.03.03)

3 Siehe hierzu auch unsere Artikel

      Strafanzeige gegen Lufthansa-Kapitän
      Tod durch Abschiebung (22.03.04)

      Abschiebung am Fließband (28.03.04)

      Menschenverachtender Umgang
      mit Flüchtlingen beim FdAaF-Bundesamt (3.06.04)

 

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