Warum die Journaille vor Wut schäumt
Es ist kein Herz für die Linkspartei und auch nur wenig Hirn nötig, um zu durchschauen, welche übles Spiel die Mainstream-Medien treiben. Bar jeglichen Anspruchs an journalistische Neutralität bezeichnen sie die beim Europaparteitag der Linkspartei in Essen dominierende Strömung als "antieuropäisch". Völlig vergessen scheint der hehre Anspruch, Bericht und Kommentar säuberlich zu trennen. Mit sonst selten derart unverholen angemaßtem Abolutheitsanspruch, wird der Leserschaft vorgebetet, wer als pragmatisch, konstruktiv und moderat zu gelten habe, und wer als ideologisch, destruktiv und fanatisch.
Doch was ist der Grund für den sprühenden Eifer der Journaille?
Einer der unbezweifelbaren Glaubenssätze, die neben der Alternativlosigkeit des Kapitalismus das Credo aller Schreiberlinge ausmachen, die in den Redaktionstuben von Zeitungen, Rundfunk- oder TV-Sendern Karriere machen wollen, ist öffentlich in Frage gestellt: Die Behauptung, der EU-Verfassungsvertrag, der nach seinem Scheitern in Frankreich und den Niederlande als Reformvertrag* verkleidet duch alle siebenundzwanzig EU-Staaten gepeitscht werden soll, diene dem Wohle und Gedeihen Europas. Jahrelang waren insbesondere die Mainstream-Medien Deutschlands mit all ihrer Macht darum bemüht, jegliche Kritik an diesem Projekt im Keime zu ersticken oder diese notfalls der Lächerlichkeit preiszugeben.
Doch immer mehr Menschen wagten hierzulande, sich selbst ein Urteil zu bilden - und so konnten sich Oskar Lafontaine und eine durchaus heterogene Mehrheitsströmung in der Linkspartei in den vergangenen Jahren zu Advokaten der VertragsgegnerInnen aufschwingen. Da die Journaille mittlerweile ihre Niederlage bei diesem Feldzug nicht mehr verleugnen kann, reagiert sie umso haßerfüllter. Und nachdem die Forderung nach einer Volksabstimmung in Deutschland jahrelang abgewehrt werden konnte, trifft es einen neuraligischen Punkt, da sie nun erkennen muß: Die kommende EU-Wahl soll zur Abtimmung über den EU-Reformvertrag "umfunktioniert" werden.
Propagandistische Kampfbegriffe wie "Fundis" und "Realos", die seinerzeit dazu dienten, bei den Grünen (1979 bis 1990) jene zu protegieren, die gegen deren ursprüngliche Ziele kämpften, den Kurs in die Anpassung an die herrschenden Verhältnisse vorantrieben und die Partei zerstörten, werden nun aus der Mottenkiste hervorgeholt. Das Wohlwollen gilt heute den "beiden profiliertesten Europapolitikern" der Linkspartei, den "renommierten" EU-Abgeordneten Sylvia-Yvonne Kaufmann und André Brie, die beide für den EU-Vertrag gestimmt hatten. Heimtückisch wird als Tatsache hingestellt, diese beiden seien auf dem Europaparteitag der Linkspartei unterlegen, weil sie "als zu europafreundlich gelten". Jenen "Europabefürwortern" werden "Europaverweigerer" gegenübergestellt. Gerüchte werden kolportiert, wonach Lafontaine höchstselbst aus persönlichen Rachegelüsten veranlaßt habe, daß André Brie "von der Kandidatenliste des Vorstandes gestrichen" wurde. Die Zustimmung Kaufmanns und Bries zu Kriegs-Einsätzen wird als "abwägend" verharmlost und ihre Äußerungen als "Nachdenken über ein absolutes Tabu" glorifiziert.
Auf der anderen Seite wird süffisant angemerkt, die Mehrheitsströmung in der Linkspartei sähe in Europa nur noch einen "Hort des Militarismus" - Europa und die EU-Institutionen werden bezeichnender Weise dabei gleichgesetzt. "In welcher Welt lebt die heutige Linke eigentlich?", poltert das Magazin 'focus' und die 'Zeit' sieht "Antieuropäer in der Linken" auf dem "Durchmarsch". Und zustimmend - keineswegs neutral - wird SPD-Chef Franz Müntefering zitiert, der Oskar Lafontaine als "nationalen Populisten" bezeichnete.
Es ist durchaus kritikwürdig, wenn nationalistische Positionen in der Linkspartei fröhliche Urständ feiern. Wenn aber in diesem Kontext auf solche Positionen angespielt wird, dient dies keineswegs dazu, etwa Pro und Contra darzustellen, sondern im Gegenteil: Damit soll von den Argumenten, welche Perspektive der Europäischen Union gutgeheißen und welche verneint wird, abgelenkt werden.
Argumente zu verschiedenen Positionen über europäische Fragen sind selbstverständlich in den Elaboraten der Mainstream-Medien vergeblich zu suchen. Wer sich hierüber informieren möchte, muß andere Quellen nutzen.
Und all dieses widerliche Gegeifere gegen eine mögliche Abstimmung über den EU-Reformvertrag birgt doch eine Verlockung: Vielleicht ist es in diesem "Super-Wahljahr" 2009 ausnahmsweise sinnvoll, einmal zur Wahl zu gehen. Denn bei dieser Wahl ist eines fast allen klar: Zu entscheiden haben die Gewählten in jenem Parlament nichts.
REGENBOGEN NACHRICHTEN
Anmerkungen
* auch als Vertrag von Lissabon bezeichnet
Siehe auch unsere Artikel:
Festung Europa
Menschenverachtende Politik gegen Flüchtlinge (20.06.08)
Irland rettet Europas Zukunft
Mainstream-Medien melden "Scherbenhaufen" (13.06.08)
EU-Reformvertrag
Wohin die Reise gehen soll (19.05.08)
Bundestag nickt EU-Reformvertrag ab
Wer hat wie abgestimmt? (24.04.08)
Weltmacht Europa auf dem Weg
in weltweite Kriege (17.01.07)
Bedankt, geachte vrienden!
Zweiter Sieg für Demokratie in Europa (2.06.05)
'Merci, chers amis!'
Ein großer Sieg für die europäische Demokratie (30.05.05)
'Medien-Propaganda pro EU-Verfassung' (21.05.05)
'Nein zur EU-Verfassung!'
Aufruf zur Demo am 19. März in Brüssel (16.03.05)
'Nein zur EU-Verfassung!'
Erklärung des 3. Friedenspolitischen Kongresses in Hannover
(5.09.04)
'Atomenergie, Atomwaffen und Militarisierung besiegelt' (19.06.04)
'EURATOM und EU-Verfassung' (11.06.04)
'Neue Atommacht EU?' (24.04.04)
'EU-Verfassung vorerst gescheitert' (19.12.03)
'Zur Ausrufung einer europäischen Verfassung' (14.06.03)