"Schwarz-Rot-Grün" hat im Bundestag bei Enthaltung der Linkspartei einen Mindestlohn von 8,50 Euro beschlossen. Dieser ist im europäischen Vergleich ein Dumpinglohn, verbessert aber - trotz etlicher "Ausnahme"-Regelungen - die soziale Lage von rund 2 Millionen Erwerbstätigen in der BRD.
Die "rote" Arbeitslosigkeits-Ministerin Andrea Nahles feierte die Einführung eines Mindestlohns von 8,50 Euro als persönlichen Erfolg, da dies "für manche die größte Gehaltssteigerung ihres Lebens" bedeute. Wieder einmal wurde die Vokabel "historisch" benutzt - so lobte sich der Fraktions-Chef der "Roten" im Bundestag Thomas Oppermann selbst für die "Sozialreform von historischem Ausmaß" und auch die 'Süddeutsche Zeitung' schreibt von einer "historischen Reform".
Über vierzehn Jahre lang hatten GewerkschafterInnen und ein breites linkes Bündnis für einen gesetzlichen Mindestlohn gekämpft. Die Forderung des 'Frankfurter Appells' nach einem Mindestlohn von 10 Euro im Jahr 2006 entsprach in der Höhe der bereits im Jahr 2000 von der Gewerkschaft ver.di erhobenen Forderung (Siehe unseren Artikel v. 22.08.06). Und daher war zum Zeitpunkt der Bundestagswahl im vergangenen Herbst klar, daß ein Mindestlohn von 8,50 Euro in Deutschland immer noch einen Dumpinglohn im europäischen Vergleich darstellt. In den Staaten Luxemburg, Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Belgien waren zu diesem Zeitpunkt Mindestlöhne zwischen 10,83 Euro und 8,65 Euro Standard (Siehe unseren Artikel v. 18.10.13). In Luxemburg liegt er mittlerweile bei 11,10 Euro, in Frankreich bei 9,53 Euro.
"Es ist erfreulich, daß SPD und Union nach langem Widerstand den Mindestlohn akzeptierten," sagte Klaus Ernst, ehemaliger Gewerkschaftsfunktionär und stellvertretender Linkspartei-Fraktionsvorsitzender sowie Leiter des Arbeitskreises Wirtschaft, Arbeit und Finanzen. Da das Gesetz einzelnen Gruppen und Branchen Abweichungen erlaube, seien die 8,50 Euro aber weit von einem flächendeckenden Mindestlohn entfernt, erklärte Ernst.
Das Mindestlohn-Gesetz enthält "Ausnahme"-Regelungen etwa im Bereich Landwirtschaft und bei Zeitungs-AusträgerInnen. Auch Langzeitarbeitslose, die eine neue Stelle antreten, werden diskriminiert und können in den ersten sechs Monaten mit weniger als 8,50 Euro entlohnt werden. Jugendliche unter 18 Jahren, die keine abgeschlossene Berufsausbildung haben, sind ebenfalls ausgenommen. Landwirtschaftliche Betriebe können über schwer überprüfbare Sonderberechnungen für Kost und Logis den Mindestlohn von 8,50 Euro teilweise aushebeln. Die fünf großen Zeitungsverlage konnten durchsetzen, daß die Lohnuntergrenze von 8,50 Euro in den Jahren 2015 und 2016 noch nicht in ihrem Bereich gilt. Weitere "Ausnahmen" gelten für die Auszubildenden, für Menschen, die verpflichtende Schul- und Studien-Praktika absolvieren, und Menschen, die ehrenamtliche Arbeit leisten. Die Verschlechterungen bei Praktika, für Saison-ArbeiterInnen und Zeitungs-AusträgerInnen gegenüber dem ursprünglichen Gesetzes-Entwurf wurden in wenigen Tagen vor der Verabschiedung ausgehandelt.
Ein ausnahmsloser Mindestlohn von 8,50 Euro könnte in Deutschland laut Berechnungen des Instituts für Arbeit und Qualifikation der Uni Duisburg-Essen insgesamt 6,6 Millionen abhängig Beschäftigten zugute kommen. Arbeitslosigkeits-Ministerin Nahles räumte bereits ein, daß rund 3 Millionen von den "Ausnahme"-Regelungen betroffen sein werden - sie rechne mit 3,7 Millionen ArbeitnehmerInnen, deren Lage sich ab 1. Januar 2015 durch den Mindestlohn bessern werde. Tatsächlich werden durch die "Ausnahme"-Regelungen mindestens eine Million Langzeitarbeitslose, 500.000 Auszubildende und 160.000 Zeitungs-AusträgerInnen vom den Verbesserungen ausgeschlossen sein.
Bei Vollzeitarbeit kämen Beschäftigte mit 8,50 Euro auf höchstens 1.400 Euro brutto im Monat - dies ist laut der offiziellen Armuts-Definition als nicht ausreichend zu bezeichnen. Um über dem Armuts-Niveau zu liegen, müßte ein Mindestlohn in Deutschland deutlich über 10 Euro betragen. Nach Berechnungen der DGB-Jugend müßte ein Mindestlohn bei 12,40 Euro liegen, um Armut zu verhindern der 'Paritätische Wohlfahrtsverband' erachtet allenfalls einen Mindestlohn von 13 Euro für ausreichend.
Mit der Einführung des Mindestlohns von 8,50 Euro wird dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) der Wind aus den Segeln genommen, sich weiter für den von ihm geforderten Mindestlohn in Höhe von 10 Euro einzusetzen. Dabei zeichnete sich dieser Einsatz in den vergangenen Jahren eher durch Zaghaftigkeit als durch Dynamik aus, während sich laut Umfragen in den vergangenen Jahren in Deutschland Mehrheiten für die Einführung eines Mindestlohns aussprachen, die auf parlamentarischer Ebene als "verfassungsändernd" gelten.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
Mehrheit will Mindestlohn
"S"PD in der Klemme (18.10.13)
Mindestlohn in 21 EU-Staaten
Ausnahme: Deutschland (6.08.13)
70 Milliarden Euro für "Aufstocker"
- indirekte Subventionierung der deutschen Unternehmen (22.12.12)
Mindestlohn in Frankreich
Hält Hollande ein Wahlversprechen? (17.12.12)
Erneute Kürzung von Hartz IV
8 Euro heißt Minus (19.09.12)
IG Metall Pilot-Tarifabschluß
Eis in der Sonne (20.05.12)
Reallöhne in Deutschland sinken weiter
Zuwächse von Inflation ausgefressen (5.11.11)
Trotz Lohnerhöhungen:
Inflation bewirkt Minus (6.07.11)
Starke Zunahme von "400-Euro-Jobs"
von "Rot-Grün" verursacht (27.04.11)
Discounter Lidl für 10 Euro Mindestlohn
Einzelhandel fürchtet Ost-Konkurrenz (21.12.10)
Mißbrauch von Ein-Euro-Jobs?
Der Zweck ist Lohndumping (15.11.10)
Real über 9 Millionen Arbeitslose
Die Tricks der Bundesregierung (28.10.10)
50 Milliarden Euro
für Subventionierung des Niedriglohn-Sektors (13.08.10)
Pisa 2010 und die Schere
zwischen Arm und Reich (23.06.10)
Bundesverwaltungsgericht:
Post-Mindestlohn nicht rechtmäßig (29.01.10)
DIW-Studie zum Vermögen in Deutschland
Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich weiter (19.01.10)
Bilanz von fünf Jahren Hartz IV
Repression als "Arbeitsmarkt-Reform"
Niederiglohn-Sektor massiv ausgeweitet (19.12.09)
Aufschwung? Abschwung?
Schwund bei den Reallöhne seit vielen Jahren (14.08.09)
Sozialabbau und Niedriglohn-Sektor
22 Prozent arbeiten in Deutschland für Niedriglöhne (28.04.08)
Absurde Argumente gegen den Mindestlohn
Dient eine Lohnuntergrenze den Mächtigen? (7.04.08)
Neoliberales EuGH-Urteil
Sprengstoff gegen Mindestlohn (4.04.08)
Reallöhne in Deutschland
seit Jahrzehnten eingefroren (24.09.07)
Armut trotz Arbeitsplatz
"Working poor" auch in Deutschland (15.05.07)
Thema Mindestlohn im Bundestag
Von einem Versuch, die SPD zu stellen (14.05.07)
Mindestlohn, Bezahlung von Putzkräften
im Bundestag und Heuchelei (12.05.07)
Für einen Mindestlohn
von 10 Euro (22.08.06)