In letzter Instanz kippte das Bundes- verwaltungsgericht in Leipzig den Mindestlohn für BriefzustellerInnen. Das entsprechende Gesetz sei wegen eines Formfehlers - die Konkurrenz-Unternehmen des Post-Konzerns waren nicht angehört worden - unwirksam. Gegen den Mindest- lohn in Höhe von 9 Euro (Ost) und 9,80 Euro (West) hatten mehrere Mitbewerber, so die Pin Mail AG und TNT, geklagt. Neoliberale KommentatorInnen feiern das Urteil bereits als Durchbruch zu einem "freien Markt".
Im Jahr 2008 war das Gesetz in Kraft getreten, das allen Anbietern von Postdiensten gleiche Ausgangschancen für einen fairen Wettkampf bot. Mangels Interesse von Großinvestoren, die eine mehrjährige Durststrecke überbrücken könnten, versuchten etliche Mitbewerber der Post AG jedoch, auf dem Rücken von NiedriglöhnerInnen Marktanteile zu erobern. Umgekehrt war der Deutschen Post AG keineswegs sozial motiviert, ihre Interessen deckten sich nur zufällig mit den Interessen der Post-BriefzustellerInnen, die in der Gewerkschaft ver.di organisiert sind.
Obwohl nach mehreren Liberalisierungswellen und nach der durch die Hartz-Gesetze ausgelöste massive Ausweitung des Niedriglohnsektors die immer wieder propagierte Zunahme der Zahl an Arbeitsplätzen ausblieb, singen KommentatorInnen der Mainstream-Medien erneut das Hohelied des Neoliberalismus: Die Konkurrenz werde nun belebt und so könnten neue Jobs entstehen.
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts bedeutet zugleich, daß die Konkurrenz-Unternehmen des Post-Konzerns nun keine Sozialversicherungsabgaben nachzahlen müssen. Ein Mindestlohn für BriefzustellerInnen ist mit dem aktuellen Urteil jedoch keineswegs endgültig vom Tisch. "Gescheitert bedeutet nicht endgültig gescheitert", sagte Wolfhard Bender, der Vorsitzende des von der Post AG dominierten Arbeitgeberverbands Postdienste. "Wir werden nun mit der Gewerkschaft beraten, ob wir bei der Bundesregierung erneut einen Antrag stellen, damit der Mindestlohn für allgemeinverbindlich erklärt wird." Auch von der Gewerkschaftsbasis kommt immer mehr Druck, notfalls auch durch Streik einen einheitlichen Mindestlohn für alle abhängig Beschäftigten in Deutschland durchzusetzen. Dieser müßte, nicht allein aus sozialen Gründen, sondern auch bei einer Orientierung an Nachbarstaaten wie Frankreich oder Luxemburg bei 10 Euro pro Stunde liegen.
Die Gewerkschafts-Funktionäre bei ver.di agieren derzeit eher defensiv. Lediglich eine Absenkung des Mindestlohns für BriefzustellerInnen auf unter 9,00/9,80 Euro wird abgelehnt. Von den mit ihrer Klage nun erfolgreichen Unternehmen erwarten BranchenkennerInnen eine Offensive. Erst vor wenigen Tagen hatte sich die deutsche Tochter der niederländischen TNT mit Zeitungsverlagen wie Holzbrinck, Madsack und die Mediengruppe Pressedruck zu einer neuen Allianz zusammengeschlossen. Sie beschäftigten gemeinsam mehr als 30.000 BriefzustellerInnen und wollen sich offenbar aus dem Gesamtmarkt die lukrativen Rosinen herauspicken. Bisher wollten sie sich auf das lukrative Geschäft mit GeschäftskundInnen beschränken.
Für die Deutsche Post AG könnte das Geschäft nun deutlich härter werden, zumal sie ihren 80.000 BriefzustellerInnen vertragsbedingt teilweise deutlich mehr zahlen muß als den Mindestlohn von 9,00/9,80 Euro. Die Differenz zu den Dumpinglöhnen der Konkurrenz-Unternhmen war ein wichtiger Grund dafür, daß der Marktführer zuletzt bei einigen Ausschreibungen das Nachsehen hatte. Der Konzern, bei dem der Bund immer noch größter Aktionär ist, hat darauf bereits reagiert und baut seine Billigtochter Firstmail aus, die ihren BriefzustellerInnen nur den Mindestlohn von 9,00/9,80 Euro zahlt. Bislang war Firstmail nur im Düsseldorfer Raum tätig. Schon bald soll Firstmail im gesamten Ruhrgebiet aktiv sein.
Die Monopolkommission hatte den Wettbewerb auf dem Briefmarkt jüngst als "miserabel" bezeichnet. Mit der Liberalisierung im Jahr 2008 sollte angblich ein flächendeckender Wettbewerb der Post-Dienstleister ermöglicht werden. Einige Unternehmen gaben nach der Einführung des Mindestlohn auf, mit der PIN-Group ging einer der größten Post-Konkurrenten in die Insolvenz. Ursächlich ist jedoch, daß Großinvestoren weder im produktiven noch im Dienstleistungssektor "angemessene" Profitraten sehen, die nach wie vor im Banken- und Finanzsektor locken.
Bei einer Konkurrenz in der Fläche muß jedes Postdienstleistungs-Unternehmen eine Mischkalkulation zwischen leicht erreichbaren und solventen KundInnen einerseits und solchen in abgelegenen Gegenden und mit wenig Umsatzpotential andererseits machen. Eine Fehlkonstruktion war im Liberalisierungsgesetz damit angelegt, daß auf Betreiben der Post-Konkurrenten eine Sonderrolle der Post AG festgelegt wurde: Mit dem Erlaß der Mehrwertsteuer subventioniert der Staat den angeblich flächendeckenden Service der Post AG, obwohl diese sich entgegen der offiziellen Versprechungen immer mehr aus der Fläche zurückzieht.
Dank einer inkonsequenten Liberalisierung, die sich an den Interessen der Post-Konkurrenten orientierte und zunächst einen "freien Markt" auf dem Rücken von NiedriglöhnerInnen angestrebt hatte, konnte die Post AG ihren Anteil am Briefgeschäft trotz Wegfall ihres letzten Monopols für Briefe bis 50 Gramm sogar leicht steigern. Das Unternehmen erzielt mit dem Briefgeschäft eine satte Rendite von 15,7 Prozent, obwohl die Portopreise für die BundesbürgerInnen seit 13 Jahren nahezu unverändert sind.
Hintergrund ist, daß die Zeitungsverlage mit ihren Zustelldiensten ins Postgeschäft einsteigen wollten. Diese wehrten sich vehement gegen die Pläne für einen Mindestlohn. Die "schwarz-rote" Bundesregierung gab 2007 diesem Druck nach und der bereits ausgehandelte Tarifvertrag zwischen AGV und ver.di wurde nochmals geändert. Der vereinbarte Mindestlohn sollte nur für Unternehmen gelten, die "überwiegend" Briefe zustellen. Mit diesem Tarifvertrag sollte den Verlagen ein Schlupfloch geboten werden. Im Dezember 2007 erklärte die Bundesregierung diesen Tarifvertrag für allgemeinverbindlich, was bedeutete, daß Post-Konkurrenten wie Pin Mail AG und TNT betroffen waren. Diese hatten offenbar eine schwächere Lobby als die Verlage.
Trotz des Leipziger Urteil wird der Mindestlohn für BriefzustellerInnen weiterhin gelten und erst außer Kraft treten, wenn die gegenwärtige Arbeitsministerin Ursula von der Leyen die entsprechende Verordnung aufhebt. Ende April läuft die Gültigkeit des Tarifvertrages und damit auch die des formal geltenden Mindestlöhne ab. Doch real spielte der Post-Mindestlohn kaum eine Rolle. Mit dem vorgeschobenen Argument, ein Verfahren gegen den Mindestlohn sei anhängig, wurden Verstöße von der zuständigen Finanzkontrolle Schwarzarbeit kaum jemals zur Kenntnis genommen.
REGENBOGEN NACHRICHTEN
Anmerkungen
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