Im Pilot-Bezirk Baden-Württemberg schlossen der Unternehmens-Verband Gesamtmetall und die Gewerkschaft IG Metall einen neuen Tarifvertrag, in dessen Zentrum eine Lohnerhöhung um 4,3 Prozent bei einer Laufzeit von 13 Monaten steht. Aufs Jahr gerechnet ist dies eine Erhöhung um weniger als 4 Prozent. Bei der zu erwartenden Inflation wird diese Erhöhung daher bereits in diesem Jahr restlos dahinschmelzen.
Nominal erscheint eine Lohnerhöhung um 4,3 Prozent als die höchste seit 20 Jahren. Um einen vergleichbaren Prozent-Wert zu erhalten, muß allerdings dieser für 13 Monate vereinbarte Faktor von 1,043 zunächst auf den Monat umgerechnet - 1,043(1/13) - und danach 12 mal mit sich selbst multipliziert werden: 1,043(12/13). Dies ergibt rund 1,0396, also weniger als 4,0 Prozent im Jahr. Beim sogenannten Eckentgeld in Höhe von 2.600 Euro brutto entsprechen die vereinbarten 4,3 Prozent gerade eben mal einem Plus von knapp 103 Euro im Monat. Kein Wunder also, daß ein Sprecher des Stuttgarter Automobil-Konzerns Porsche umgehend erklärte: "Das ist natürlich ein guter Abschluß." Zugleich äußerte ein IG-Metall-Mitglied im Internet bereits besorgt: "Wenn Inflation abgezogen wird, bleibt nicht viel übrig."
Besonders deutlich wird die Einseitigkeit dieses Tarif-Abschlusses, wenn die übrigen Vereinbarungen betrachtet werden: Auszubildende sollen von den Firmen "in der Regel" unbefristet übernommen werden. Auch dies schaut auf den ersten Blick schön aus, ist jedoch völlig unverbindlich. Und nichts anderes als heiße Luft ist die Vereinbarung im neuen Tarif-Vertrag, wonach LeiharbeiterInnen "nach zwei Jahren" ein Übernahmeangebot gemacht werden müsse. Bekanntlich räumt sogar die Kapitalseite ein, daß LeiharbeiterInnen im Bundesdurchschnitt nicht einmal auf ein Jahr ununterbrochene Beschäftigungszeit bei einem Unternehmen kommen.
Dennoch erklärte IG-Metall-Vorsitzender Berthold Huber die Vereinbarungen für "fair und tragfähig" und feierte die Vereinbarung zur Leiharbeit als "Zeichen gegen die fortschreitende Spaltung in den Betrieben und auf dem Arbeitsmarkt." Tarifverträge seien eben "kein Wunschkonzert." De facto hat die IG Metall die LeiharbeiterInnen im Regen stehen lassen. Der neue Tarifvertrag enthält sogar eine effektive Verschlechterung: Die Unternehmen dürfen zukünftig "bei Bedarf" einen größeren Teil der Belegschaft - 30 statt bisher 18 Prozent - anstelle der tariflichen 35 Stunden 40 Stunden in der Woche einsetzen. So können die örtlichen BetriebsrätInnen unter dem Schlagwort "Flexibilisierung" noch mehr unter Druck gesetzt werden.
Die IG Metall war in die Anfang März begonnene Tarif-Auseinandersetzung mit der Forderung nach Lohn- und Gehaltserhöhungen um 6,5 Prozent gegangen. Der Unternehmens-Verband Gesamtmetall hatten 3,0 Prozent für 14 Monate geboten. Nach Warnstreiks hatte die Gewerkschaft trotz der wenig kompromißbereiten Haltung der Kapitalseite auf einen ernsthaften Arbeitskampf verzichtet. Für die rund 3,6 Millionen Beschäftigten der deutschen Metall- und Elektroindustrie - der Pilot-Tarifvertrag soll bundesweit übernommen werden - bedeutet die nominale Erhöhung ein Plus von rund 7 Milliarden Euro. Dem steht ein Umsatz der Branche von mehr als 990 Milliarden Euro im Jahr 2011 gegenüber.
Anmerkungen
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