15.02.2012

Studie zu "Babyboom"-Jahrgängen
Besonders Frauen erwartet Altersarmut

ausgepresste Zitrone Eine Studie von Barbara Riedmüller und Ulrike Schmalreck von der Freien Universität Berlin belegt: Viele der heute 45- bis 50-jährige Frauen werden im Alter auf Sozialhilfe angewiesen sein. Zeiten der Erwerbslosigkeit und die Beschäftigung in prekären Jobs führen zu Altersarmut.

Sogenannte Minijobs und Teilzeitarbeit sowie die zunehmende Arbeitslosigkeit und "Lücken" in der Erwerbsbiographie durch Kindererziehung und Altenpflege führen nach einer Untersuchung zweier WissenschaftlerInnen dazu, daß besonders die heute 45- bis 50-jährigen Frauen ein deutlich geringeres Rentenniveau zu erwarten haben. Die Erwerbsbiographien der Menschen aus den geburtenstarken Jahrgängen der Jahre 1962 bis 1966 sind deutlich vielfältiger und abwechslungsreicher als die anderer Jahrgänge. Die Untersuchung zeigt zudem auf, daß sich eine "Klassenbildung" nicht nur zwischen "Mann und Frau, Ost und West, sondern auch innerhalb der Gruppe der Frauen" herausgebildet hat. Basis für diese Analyse waren die Daten des am Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung angesiedelten sozio-ökonomischen Panels.

Das sozio-ökonomische Panel ist die größte und am längsten laufende multidisziplinäre Langzeitstudie in Deutschland. Es wird als Teil der Forschungsinfrastruktur in Deutschland unter dem Dach der Leibniz Gemeinschaft (WGL) von Bund und Ländern gefördert. Für das sozio-ökonomische Panel werden jedes Jahr mehr als 20.000 Menschen in rund 11.000 Haushalten vom Umfrageinstitut TNS Infratest Sozialforschung befragt. Die Daten des sozio-ökonomischen Panels geben unter anderem Auskunft über Einkommen, Erwerbstätigkeit, Bildung und Gesundheit. Weil jedes Jahr dieselben Personen befragt werden, können nicht nur langfristige gesellschaftliche Trends, sondern auch die gruppenspezifische Entwicklung von Lebensläufen besonders gut analysiert werden.

Bei den Jahrgängen der zwischen 1962 und 1966 geborenen Frauen ist der Anteil der reinen "Hausfrauenbiographien" mit 19 Prozent deutlich geringer als bei den älteren Generationen, wo er noch etwa 25 Prozent ausmachte. Im Osten liegt der Anteil bei nur 4 Prozent. Diese Jahrgänge sind allerdings laut der Untersuchung von Riedmüller und Schmalreck die ersten, die stark vom "Strukturwandel im Arbeits- und Beschäftigungssystem" betroffen sind. Insbesondere die Ausweitung der Teilzeitarbeit und der geringfügigen Beschäftigung unter der "rot-grünen" Bundesregierung, aber auch die seit Beginn dieses Jahrhunderts längeren und häufigeren Zeiten der Erwerbslosigkeit haben zu diesem Strukturwandel beigetragen.

Nur 21 Prozent der westdeutschen und nur 43 Prozent der ostdeutschen Frauen aus den geburtenstarken Jahrgängen waren ohne nennenswerte Unterbrechungen in Vollzeit erwerbstätig. Sechs Prozent der westdeutschen und 16 Prozent der ostdeutschen Frauen dieser Jahrgänge waren langzeitarbeitslos. Anders als noch die ihre Mütter kann diese Frauen jedoch nicht mehr darauf bauen, daß sie ihre "Versorgungslücken" bei der gesetzlichen Rente durch die Einkommen der Ehepartner kompensieren können. Denn auch bei ihnen sind laut Studie die Beträge drastisch gesunken. Hinzu kommt, daß die Witwenrente gekürzt wurde und die im Vergleich zu früheren Generatonen wesentlich höhere Scheidungsrate.

Die Wissenschaftlerinnen kommen bei ihren Berechnungen zu einer Prognose, wonach von den heute 45- bis 50-jährige Frauen nur rund 17 Prozent im Westen und nur rund 10 Prozent im Osten der Bundesrepublik im Alter einmal mehr als 1050 Euro erhalten werden. Die monatliche Durchschnittsrente der Frauen wird sich bei Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters auf voraussichtlich rund 700 Euro im Westen und 680 Euro im Osten belaufen. Dies bedeutet, daß im Westen rund 40 Prozzent und im Osten rund 20 Prozent dieser Frauen eine Rente unterhalb des Grundsicherungsniveaus von 680 Euro erhalten werden.

Neben wohlfeilen Forderungen an die Parteien-Politik verweisen Barbara Riedmüller und Ulrike Schmalreck darauf, daß die Informationen über die Rente - und dies betrifft insbesondere die Mainstream-Medien - verbessert werden müßten. "Familienorientierten Frauen mit geringen eigenen Rentenansprüchen" könne so "der Glaube genommen werden, daß der Ehepartner für sie eine sichere Altersvorsorge darstellt." Und vor allem an die Gewerkschaften ist die Forderung der beiden WissenschaftlerInnen gerichtet, daß der Niedriglohnsektor zurückgedrängt werden muß. Denn gerade dieser habe zu einer massiven Entwertung der Erwerbsarbeit von häufig gut qualifizierten Frauen geführt. Notwendig sei zudem die Einführung der Sozialversicherungspflicht vom ersten Euro an, die Abschaffung der Geringfügigkeitsgrenze und ein flächendeckender Mindestlohn.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Die Studie ist im Internet abrufbar unter:
www.polsoz.fu-berlin.de/polwiss/forschung/systeme/sozialpol/ressourcen/babyboomer.pdf

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