Berlin (LiZ). Nach wie vor werden Jahr für Jahr in Deutschland aus Profitgründen fast 50 Millionen Hühnerküken geschreddert oder vergast. Im Januar 2017 hatte sogar der damalige "schwarze" Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt das Küken-Schreddern als "ethisch und moralisch inakzeptable Praxis" bezeichnet. Und im Koalitions-Vertrag vom 7. Februar 2018 hatte "Schwarz-Rot" vereinbart, das Küken-Schreddern bis 2019 zu beenden...
Doch ein Lobby-Papier der Geflügel-Industrie beweist: Das Küken-Schreddern soll weitergehen. Der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) bietet Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner lediglich an, die Zahl der getöteten Küken innerhalb von drei Jahren zu halbieren. Und die Ministerin verhandelt - entgegen dem Koalitionsvertrag - über einen Kompromiss.
Die Schweiz ist Deutschland in Hinblick auf Tierschutz voraus: Im März 2019 hat der Schweizer Nationalrat für ein Verbot des Zerschredderns von lebendigen Küken gestimmt. Der Ständerat (vergleichbar mit dem Deutschen Bundesrat) stimmte im September 2019 für das Verbot. Damit wurde ein Anliegen aus einer Petition der Veganen Gesellschaft Schweiz aufgenommen.
Selbst "das Ziel" von 50 Prozent wird vom ZDG lediglich als unverbindliche "freiwillige Selbstverpflichtung" betrachtet. Die Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte mit "freiwillige Selbstverpflichtungen" der Industrie zeigen jedoch, daß diese in aller Regel nicht eingehalten werden.
Dabei hatte das Bundesverwaltungsgericht am 13. Juni 2019 geurteilt, daß das massenhafte Töten von Küken nicht mit dem Grundsatz des Tierschutzes vereinbar ist und nur "übergangsweise" fortgesetzt werden darf. Klöckner und der ZDG spielen offenbar auf Zeit, weil sie auf eine technologische Lösung setzen. Bereits im Ei soll das Geschlecht festgestellt werden und die männlichen Küken in Zukunft vor dem Ausschlüpfen getötet werden.
Die VerbraucherInnenschutz-Organisation 'foodwatch' kritisiert, daß eine solche technologische Lösung am Grundproblem nichts ändern werde. Erst seit den 1950er-Jahren wurden in der Geflügelzucht zwei Zuchtlinien getrennt, die Zuchtlinie der Legehühner und die der Masthühner. Legehühner sind darauf gezüchtet, möglichst viele Eier auszustoßen. Sie können in einem Jahr bis zu 320 Eier "produzieren" und benötigen für ein Kilogramm an Eiern nur zwei Kilogramm Futter. Alte Rassehühner benötigen dagegen vier bis fünf Kilogramm Futter. Masthühner sind hingegen auf maximale Gewichtszunahme gezüchtet. In industrieller Massenhaltung sind sie nach knapp einem Monat schlachtreif. Die Küken-"Produktion" wird heute in Deutschland fast ausschließlich von wenigen Großunternehmen betrieben.
'foodwatch' kritisiert, daß heutige Legehennen durch die verwendeten Zuchtmethoden genetisch massiv vorbelastet sind: Die Sterblichkeitsrate ist deutlich erhöht und sie sind stark anfällig für Knochenbrüche, Brustbeinschäden und Infektionskrankheiten. Letzteres hat wiederum den massiven Einsatz von Antibiotika zur Folge. TierschützerInnen fordern daher ein Ende der einseitigen Hochleistungs-Zucht. Sogenannte Zweinutzungs-Hühner, die sowohl Eier legen wie auch Fleisch liefern sollen, wären eine Alternative. Auch traditionelle Rassen wurden in den vergangenen fünf Jahrzehnten immer mehr zurückgedrängt und finden sich nur noch in Nischen in der Landwirtschaft. Zweinutzungs-Hühner gelten in der auf Profitmaximierung ausgerichteten industriellen Landwirtschaft als "nicht mehr wirtschaftlich einsetzbar".
Wann die technologische Methode zur Selektion der Eier aus Sicht der Geflügel-Industrie "wirtschaftlich" funktioniert, ist offen. Sie wird schon seit Jahren angekündigt. Gleichzeitig bekommen Hühner, Rinder und Schweine in den Ställen der industriellen Landwirtschaft vom grundgesetzlich garantierten Tierschutz wenig mit. Die Praxis in der Legehennen-Fabrikation steht exemplarisch für eine aus dem Ruder gelaufene industrielle Landwirtschaft, in der die Profitmaximierung diktiert, wie die Fabrikation von Nahrungsmitteln aus lebendigen Tieren abzulaufen hat. Die Küken, die ja auch ohne Geburtstags-Vergasung keines natürlichen Todes sterben würden, sind nur ein Symbol dafür, daß eine Agrar-Wende hin zur Bio-Landwirtschaft dringend nötig ist. Sie ist ebenso existentiell entscheidend für das Überleben dieses Planeten wie die Energie-Wende.
Anmerkungen
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