25.05.2009

Atombombentest in Nordkorea

Weiterdrehen an der Spirale des Irrsinns

Das Regime des nordkoreanischen Diktators Kim Jong Il hat offenbar einen zweiten unterirdischen Atombombentest durchgeführt. Der US-amerikanische Präsident Obama Barack, der entgegen seiner Ankündigung, Atomwaffen abrüsten zu wollen, bislang nichts unternahm, um den hehren Worten Taten folgen zu lassen, hat stattdessen den US-amerikanischen Militärhaushalt in ungebrochener Kontinuität zu seinem Vorgänger George W. Bush erhöht. Dennoch getraute sich die US-amerikanische Regierung, mit dem Finger auf Nordkorea zu weisen und zeterte, Nordkorea bedrohe den internationalen Frieden und die Sicherheit. Wenn der US-Präsident den Zeigefinger auf Nordkorea richtet, weisen vier Finger seiner Hand auf ihn selbst. Ebensolche heuchlerischen Reaktionen kamen umgehend von den Atommächten Frankreich und Großbritannien.

Am heutigen Montag gegen 10 Uhr Ortszeit wiesen Meßgeräte in den Erdbebenwarten rings um Nordkorea eine Erschütterung zwischen 4 und 5 Einheiten auf der Richterskala aus. Kurz drauf gab die nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA bekannt, daß die "Demokratische Volksrepublik Nordkorea" einen unterirdischen Atomtest vorgenommen habe. Laut einer russischen Stellungnahme sei die Bombe mit 10 bis 20 Kilotonnen rund 20-mal so stark wie jene des ersten nordkoreanischen Tests vom 9. Oktober 2006.

Kurze Zeit später folgten weitere Meldungen, wonach eine nordkoreanische Boden-Luft-Rakete mit einer Reichweite von 130 Kilometern aufs Japanische Meer abgefeuert worden sei. Nach dem ersten Test war von internationalen ExpertInnen allerdings in Zweifel gezogen worden, ob es sich bei der Explosion tatsächlich um eine Atombombe gehandelt habe. Der heutige Atomwaffentest war Anfang Mai 2009 von der nordkoreanischen Regierung angekündigt worden.

Nach dem ersten Atomtest im Oktober 2006 hatte der UN-Sicherheitsrat Nordkorea mit Sanktionen belegt. Diese blieben jedoch weitgehend wirkungslos, da die Nachbarstaaten China und Rußland sie unterliefen. 2008 unternahm die US-amerikanische Außenpolitik unter G.W. Bush einen Schwenk und unterstützte einen angekündigten Verzicht des nordkoreanischen Regimes auf Atomwaffen mit der Lieferung von Schweröl und Getreide für das Land, dessen Bevölkerung unter Mangelernährung leidet.

Das nordkoreanische Regime benutzt das Leid der eigenen Bevölkerung skrupellos als politisches Druckmittel. Die beiden Nachbarstaaten, die "kommunistische Volksrepublik" China und das kapitalistische Südkorea fürchten bei einem wirtschaftlichen Zusammenbruch Nordkoreas den massenhaften Zustrom von Hungerflüchtlingen.

Nordkorea ist ein Musterbeispiel für die Weiterverbreitung von Atomwaffen auf dem Weg über die "friedliche" Nutzung der Atomenergie. Zweifellos stammt das Plutonium zur Herstellung der nordkoreanischen Atombombe vom Atomkraftwerk Yongbyon. Der dortige, mit 5 MW relativ kleine Reaktor produzierte seit seiner Inbetriebnahme vor 20 Jahren 50 bis 60 Kilogramm Plutonium - ausreichend für sechs bis zwölf Atombomben.

Auch die Entwicklung der "friedlichen" Nutzung der Atomenergie in Ländern wie Frankreich, Deutschland, Israel oder der Schweiz, die mit gigantischen staatlichen Subventionen ermöglicht wurde, beruhte auf dem Bestreben, eigene, nationale Atomwaffen zu erlangen. Mittlerweile zählen mehr oder weniger offiziell die Regierungen von neun Staaten zum Atomwaffen-Club: die der USA, Rußlands, Großbritanniens, Frankreichs, Chinas, Israels, Indiens, Pakistans und Nordkoreas.

In Deutschland sind US-amerikanische Atombomben stationiert. Brasilien und Argentinien stehen unter Verdacht, ebenfalls zumindest in die Nähe des Besitzes von Atomwaffen gelangt zu sein. Der Iran strebt trotz reicher Erdölvorkommen die Entwicklung und den Bau von Atomkraftwerken an und steht daher international zurecht im Verdacht, trotz gegenteiliger Bekundungen der iranischen Regierung den Besitz von Atomwaffen anzusteben.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des gesamten Ostblocks bestand für einige Jahre große Hoffnung, mit dem Wegfall der scheinbaren Legitimation der nuklearen Rüstung in den USA, in Großbritannien und in Frankreich käme die nukleare Abrüstung einen entscheidenden Schritt voran.

Der vom obersten militärischen Befehlshaber über die US-amerikanischen Atomwaffen zum Atomwaffen-Gegner gewandelte Ex-General Lee Butler sagte 1999 in einer Rede über die US-amerikanische Atomkriegs-Planung: "Als ich mit dieser Feldarbeit fertig war, verstand ich endlich die wahre Bedeutung von MAD, von Mutually Assured Destruction (gesicherte gegenseitige Zerstörung; engl. mad = verrückt). Außer vermutlich dem sowjetischen Atomkriegsplan war dies mit Abstand das absurdeste und verantwortungsloseste Dokument, das ich in meinem Leben je zu Gesicht bekommen hatte."

In der Zeit zwischen 1991 und 1994 kam es tatsächlich zu einer Reihe von nuklearen Abrüstungsschritten, an denen Lee Butler maßgeblich mitwirkte. Doch nach seiner Pesionierung mußte Butler mit "Bestürzung und schließlich mit Entsetzen" feststellen, daß zwischen 1995 und 1999 innerhalb relativ kurzer Zeit der außerordentliche Abrüstungs-Impuls, diese einmalige Gelegenheit, an Schwung verlor und eine schleichende Neubegründung der nuklearen Rüstung begann. Die militärisch-politische Bürokratie hatte sich wieder durchgesetzt.

Die Franzosen nahmen in dieser Zeit die Atomtests wieder auf. Der START-II-Vertrag wurde zunächst drei Jahre lang im US-Senat und von 1996 bis 1999 drei Jahre lang in der russischen Duma blockiert. Das kostbare "Fenster der Gelegenheit" begann sich zu schließen, und 1999 fand die Welt sich in der kaum vorstellbaren Situation wieder, daß die Atomwaffenpolitik der Vereinigten Staaten nahezu wieder identisch war mit der von 1984 unter Ronald Reagan. Bereits 1999 waren die US-amerikanischen Streitkräfte mit ihrer ständigen Einsatzbereitschaft effektiv dieselben wie auf dem Höhepunkt des "Kalten Krieges".

Das Beharren auf nuklearer Rüstung und der Besitz von Atomwaffen ist letztlich nicht rational begründbar. Wenn der Besitz der Atom-Bombe damit zu legitimieren versucht wird, es handele sich hierbei um eine Stärkung der "Selbstverteidigung" - wie es in der heute verbreiteten nordkoreanischen Meldung wieder einmal heißt - ist dies fortgepflanzter Irrsinn. Dieses kranke Denken treibt die menschenverachtende Logik eines Selbstmordattentäters auf die Spitze: Der Besitz von Atomwaffen ist nichts anderes als eine Drohung mit der gegenseitigen Vernichtung. Hinzu kommt, daß jedes einzelne Atomkraftwerk eine Einladung an TerroristInnen darstellt, einen Anschlag zu verüben, mit dem die Radioaktivität von mehr als hundert Hiroshima-Bomben freisetzt würde.

Brian Easlea und Robert Jungk ist die Erkenntnis zu verdanken, wo die tatsächliche Motivation für den Besitz von Atomwaffen zu suchen ist. Die Atombombe ist das Endprodukt eines Männlichkeitswahns, der sich aus Neid und Schwäche die Natur unterwerfen will, die mit Weiblichkeit gleichgesetzt wird. Dies zeigt sich schon an der Ausdrucksweise der - nahezu ausschließlich männlichen - Wissenschaftler, die an der Entwicklung der Atombombe beteiligt waren. In einer nach diesen Hinweisen kaum zu übersehenden Vielzahl von sexuellen Anspielungen kommt zum Ausdruck, daß die Motivation zu einer tatsächlich grandiosen und zugleich monströsen Leistung in ihren privaten psychischen Problemen liegt.

So ist es auch kein Zufall, daß Oppenheimer und Teller als die »Väter« der Atom- und Wasserstoffbombe bezeichnet werden, daß die Hiroshimabombe »Little Boy« getauft wurde und Teller auch die erste erfolgreiche Zündung der H-Bombe mit dem Jubeltelegramm "It's a boy" ("Es ist ein Knabe") meldete.

Es war also eine Art Geburtstagsfest, das 1945 in Los Alamos gefeiert wurde, und nur wenige unter den Teilnehmern ahnten damals schon, daß letztlich auch sie selber Opfer ihrer ohne weibliche Hilfe zustandegekommenen »Geschöpfe« werden würden. Zunächst allerdings durften sie ihren Triumph, ihren frischen Ruhm, ihre neugewonnene Stellung in der Gesellschaft genießen. Sie wurden gefeiert, umworben, als Angehörige des plötzlich wichtigsten, einflußreichsten Berufsstandes beneidet. Erst nach und nach entdeckten sie, daß man sie auch fürchtete, ja sogar haßte, und daß man ihnen nur schmeichelte, um sich ihrer zu bedienen.

Die Vorstellung einiger der hervorragendsten Rüstungsforscher, daß sie nun nach dieser kriegerischen Episode wieder zu ihrer ruhigen selbstbestimmten Wahrheitssuche zurückkehren könnten, erwies sich sehr schnell als Illusion. Denn der so erfolgreiche neue Forschungsstil, den sie geschaffen hatten, nahm ihnen die alte Freiheit. Individuelle Forschung mit »Wachs und Bindfaden« - das war nicht mehr »in« und nun kaum mehr möglich. Die in den Rüstungslaboratorien entstandenen »Projektwissenschaften« mit ihrem Teamwork, ihren kostspieligen Instrumenten, ihrer straffen Organisation waren ohne staatliche Mittel nicht lebensfähig. Damit aber mußte der Einfluß von Instanzen wachsen, denen es in erster Linie nicht um Wahrheit, sondern um Macht ging, nicht um Erkenntnisse, sondern Erzeugnisse. Für die Freiheit angetreten, hatten diese Forscher ihre Freiheit verloren.

"Der nukleare Rüstungswettlauf, dessen dröhnendes Startsignal die Katastrophe vom 6. August 1945 war, hat inzwischen ungleich weitergreifende, noch radikaler wirkende Massenzerstörungsmittel hervorgebracht als den »kleinen Jungen« von damals: bösartige Riesen, reißende Ungeheuer, Heuschreckenschwärme und Vernichtung," schrieb Robert Jungk 1985.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe unsere Artikel zum Thema:

      US-Regierung bricht Schweigen über Israels Atombombe
      Neue Perspektive bei Verhandlungen mit dem Iran? (11.05.09)

      Euratom,
      Milliarden-Subventionen und die Bombe (22.04.09)

      Frankreichs Verbrechen auf Moruroa
      188 Atom-Bomben und die Folgen (29.09.08)

      Schweizer Atomwaffen-Skandal
      Zehn Millionen Dollar von der CIA (26.08.08)

      Putin reiht sich in die Polonaise
      der Atom-Irren ein / Bau neuer Atomraketen angekündigt (19.10.07)

      Zwei Irre und die A-Bombe
      Sarkozy offeriert Gaddafi AKW als Eintritt in den Club (27.07.07)

      Brasiliens Präsident Lula auf dem Atom-Trip
      Ein weiterer Irrer giert nach der A-Bombe (11.07.07)

      50 Jahre GKSS
      und Deutschlands Streben nach der Atombombe (17.05.06)

      Ein weiterer Irrer outet sich
      Chirac droht dem Iran mit der Atombombe (20.01.06)

      Israels Spiel mit der Atombombe (23.03.04)

      Gedanken zu Hiroshima
      von Robert Jungk, 1985 (6.08.03)

      Sind Kernwaffen notwendig?
      Rede von Lee Butler, 1999 (14.01.02)

Siehe auch unseren Hintergrund-Artikel:

      Der siamesische Zwilling: Atombombe
      Info-Serie Atomenergie - Folge 4

 

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