6.05.2008

Bienensterben
wegen Bayer-Chemikalie
Clothianidin?

Kam das Gift aus Obstplantagen oder von Maisäckern?

Bereits seit der zweiten Aprilhälfte ist ein dramatisches Bienensterben am Oberrhein zu beobachten. Von Bad Krozingen im Süden bis nach Bühl und Raststatt im Norden klagen ImkerInnen über mehrere Millionen toter Bienen. Mehr als 1000 Völker sind betroffen. Doch die Bekanntgabe der Untersuchungsergebnisse wird immer weiter verzögert. ImkerInnen befürchten, daß Ergebnisse erst dann vorgelegt werden, wenn der Einsatz der entsprechenden Chemikalien in der Landwirtschaft abgeschlossen ist.

Theoretisch wird der Einsatz von Pestiziden, Fungiziden und Beizmitteln in der Landwirtschaft exakt durch Vorschriften und Gesetze geregelt. Bekannt ist jedoch, daß sich viele nicht daran halten, daß kaum kontrolliert wird und Verstöße meist nur wie Kavaliersdelikte bestraft werden.

"Wir stehen vor einem Rätsel" , sagt Armin Spürgin, der Fachberater für Imkerei im Regierungspräsidium Freiburg. Die Symptome an den toten Bienen ließen auf Vergiftungen schließen. In der Vergangenheit habe es immer wieder durch Verstöße einzelner Landwirte Schäden gegeben, meist in Gegenden mit Obstanbau. Nun sei allerdings vor allem die Ackerbauregion betroffen, das flache Land entlang des Rheins - und zwar großflächig. "Das hat es so noch nie gegeben", sagt Spürgin. "Es können ja nicht hunderte Landwirte was falsch gemacht haben."

Bereits am letzten April-Wochenende war der Höhepunkt des Bienensterbens erreicht, seitdem hat es sich etwas abgeschwächt. Aber noch immer fänden sich bei den betroffenen Völkern etwa 300 tote Bienen täglich, so Spürgin. Auch das sei sehr ungewöhnlich: Normalerweise würden Bienen bei Spritzschäden sofort absterben. Aber in diesem Fall seien offenbar nicht nur die ausfliegenden Bienen betroffen, sondern etwas werde in den Stock eingetragen.

Am schlimmsten betroffen ist der Ortenaukreis. Dort gibt es nach Auskunft des Badischen Imkerverbands mit 20.000 Bienenvölkern die größte Bienendichte Deutschlands. Zwischen 700 und 1000 Völker seien allein hier geschädigt, schätzt Hubertus Gernoth vom Landratsamt in Offenburg. In den betroffenen Völkern seien gut die Hälfte der Tiere verendet, etwa zwei- bis dreitausend pro Volk. Auch für ihn ist der Fall unerklärlich. Aufklärung über Herkunft und Art eines möglichen Giftes soll die Analyse von Pollen und toten Bienen bringen.

Für Ekkehard Hülsmann, Landesvorsitzender des 'Badischen Imkerbundes', ist der Fall klar: "Es liegt hundertprozentig an Pflanzenschutzmitteln." Das Sterben habe exakt mit dem Zeitpunkt angefangen, an dem nach dem langen Regen die Spritzmittel ausbracht worden seien. Andere Gründe kann er nicht erkennen. Die Bienenvölker, die den Winter überlebt hätten, seien sehr gut entwickelt. Erschreckend sei das Ganze, so Hülsmann: Schließlich seien Bienen die Umweltindikatoren Nummer eins. "Andere Insekten sterben halt still." Hülsmann fordert die Einrichtung eines Krisenstabes, der sich nicht nur um die Suche nach der Ursache kümmert, sondern auch um Schadensersatzfragen. Viele ImkerInnen haben sich mittlerweile an Polizei und Staatsanwaltschaft gewandt.

Nachdem anfangs der Obstanbau im Zentrum des Verdachts stand, wird mittlerweile das Augenmerk auf den Maisanbau gelenkt.

Der Leiter des "Pflanzenschutzdienstes" beim Landratsamt Ortenau, Hans-Dieter Beuschlein, erklärt, er habe ein vergleichbares Bienensterben in 20 Berufsjahren nicht erlebt. Vor allem keines, das so lange andauerte. "Das macht uns alles sehr unsicher."

"Ein oder zwei Handvoll" tote Tiere vor dem Eingang des Stocks, so der Oppenauer Berufsimker Christoph Koch, sind oft das entscheidende Alarmzeichen. Denn auch wenn ein Volk aus bis zu 60.000 Bienen bestehen kann: Gerade im Frühjahr, in der Aufbauphase, können solche Schäden ausschlaggebend sein.

Die Verbände schlagen seit Ende April Alarm. Auch Ekkehard Hülsmann aus Appenweier, der sich als Landesvorsitzender des 'Badischen Imkerbundes' sofort an Agrarminister Peter Hauk (CDU) gewandt hat. Die Bienenzüchter haben einen neuen Wirkstoff zur Behandlung von Mais-Saatgut gegen den Maiswurzelbohrer im Verdacht, für die massiven Schäden an den Bienenvölkern verantwortlich zu sein. Im Beizmittel Poncho Pro, mit dem das Mais-Saatgut vor der Aussaat behandelt wird, ist die Substanz Clothianidin enthalten. Diese sei bereits in Italien bei ähnlichen Problemen aufgefallen und dort auch bei den toten Bienen nachgewiesen worden.

Doch die Untersuchungen in Baden-Württemberg schleppen sich dahin. Und es ist bekannt, daß es der Karriere abträglich sein kann, Untersuchungsergebnisse zu veröffentlichen, die den großen Chemie-Konzernen wie Bayer oder BASF nicht gefallen.

Immer häufiger wurden Anfang Mai Meldungen verbreitet, wonach vor allem Bienenvölker betroffen seien, die in der Rheinebene ausschwärmen, also in Bereichen, in denen großflächig Mais angebaut wird. Dagegen habe man bislang in der Vorbergzone, wo es durch Spritzmittel in früheren Jahren gelegentlich Probleme gab, bislang nichts bemerkt. Mit der Ausbringung der Maissaat wurde jedoch erst Anfang Mai begonnen, so daß diese keine Erklärung für das massenhafte Bienensterben bietet, daß bereits Mitte April einsetzte.

Ratlosigkeit herrscht angeblich seit Wochen im Landwirtschaftsamt vor: "Wir sind von dem Ereignis sehr überrascht worden" , sagt Hans-Dieter Beuschlein. Erst habe man den Obstbau im Verdacht gehabt, doch dort seien keine anderen Spritzmittel verwendet worden als in den Vorjahren. Dagegen gebe es beim Maisanbau derzeit sehr wohl eine neue Substanz: Clothianidin wird eingesetzt, um eine weitere Ausbreitung des Maiswurzelbohrers zu verhindern. Dieser Käfer würde, wenn er sich in der Ortenau festsetzen kann, für massive Schäden bei der Maisproduktion sorgen. Fachleute unter anderem an der Universität Hohenheim untersuchen derzeit, ob der bei der Maisausaat entstehende Staub sich in solchen Konzentrationen auf den Pflanzern ablagert, daß er für das Bienensterben verantwortlich gemacht werden kann.

Der Bekämpfung des Maiswurzelbohrers mit Chemikalien wird jedoch allein aus Profitgründen der Vorzug gegeben. In der Schweiz wird dieser, im Balkan in der Folge des Kosovo-Krieges aus den USA eingeschleppte Käfer, bereits seit Jahren erfolgreich durch Fruchtfolge bekämpft. Wenn die Felder nur jedes zweite Jahr mit Mais bepflanzt werden - und in den übrigen Jahren mit anderen Kulturen, die allerdings weniger Profit bringen - hat der Käfer und dessen Larve keine Chance. Chemie ist also überflüssig.

Das Landwirtschaftsministerium warnt dagegen vor voreiligen Schlüssen: "Experten versuchen mit Hochdruck, die Ursachen für das rätselhafte Bienensterben zu finden und Strategien dagegen zu entwickeln", versicherte Minister Hauk am 6. Mai. Zunächst hatte es geheißen die Ergebnisse lägen bis spätestens Mitte der Woche vor, dann wurde auf Ende der Woche vertröstet. Hinweise, daß das Bienensterben auf das Beizmittel für Maissaatgut zurückzuführen sei, konnten nach Angaben des Ministeriums bislang nicht bestätigt werden. "Im Moment kann man nur spekulieren" , sagt Wolfgang Ritter, Bienenexperte am Veterinäruntersuchungsamt Freiburg.

Traditionell überwintern über 50 Prozent der ImkerInnen Baden-Württembergs ihre Bienenvölker in den Auwäldern entlang des Rheins. Das milde Winterklima sowie eine gute Frühjahrsentwicklung aufgrund guter Versorgung mit Nektar und Pollen aus Weidenkätzchen, Wildkirschen und Bärlauch lassen die Bienenvölker schnell eine gute Stärke erreichen.

Die Vermutungen in Richtung auf den Wirkstoff Clothianidin werden durch ein ähnliches Bienensterben in Italien bestärkt. Dort wird das hochtoxischen Nervengift Clothianidin, das bei gebeiztem Mais-Saatgut zugesetzt wird, für das Sterben der Bienenvölker verantwortlich gemacht. Hersteller des Agrargiftes ist der deutsche Konzern BayerCropscience. Aus dessen Labors stammte auch der verwandte Vorgängerwirkstoff Imidacloprid, der schon in Frankreich für das dortige Massensterben der Bienen verantwortlich gemacht wurde. Im Vergleich zu Imidacloprid ist Clothianidin um ein Vielfaches giftiger.

Die italienischen Imker, bei denen die Aussat des Mais schon vor einigen Wochen erfolgte, konnten bei Untersuchungsproben aus verendeten Bienen den Wirkstoff Clothianidin nachweisen. Das Clothianidin ist Bestandteil des Agrargiftes Poncho Pro, welches für das Beizen des Mais-Saatgutes verwendet wird.

Vermutet wird nun, daß durch die Einsatz der Saatmaschinen aufgewirbelte Stäube beispielsweise auf blühende Rapsfelder und Blumenwiesen oder auch Wasserpfützen abdriften, die von den Bienen beflogen werden. Für wie gefährlich das Mittel eingeschätzt wird, zeigt auch eine Warnung der französischen Veterinärämter vom Beginn des Frühjahrs, die den Imkern eindringlich davon abraten, mit ihren Bienenvölkern in entsprechend behandelte Gebiete einzuwandern, ja diese Gebiete sogar für die nächsten Jahre zu meiden, denn Clothianidin baut sich nur sehr langsam im Boden ab bzw. die Abbauprodukte sind teilweise noch toxischer als das Clothianidin selber. Im Elsaß demonstrierten ImkerInnen bereits gegen die Anwendung von Clothianidin und fordern ein Verbot.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Bienensterben in Baden
      Ursache Agro-Chemikalien? (27.04.08)

      Stoppt Gerichtsurteil den Vormarsch
      von Gen-Food in Deutschland?
      Verwaltungsgericht Augsburg gab der Klage eines Imkers statt
      (9.05.07)

      Bienen-AIDS auch in Deutschland?
      ImkerInnen wehren sich gegen Anbau von BT-Mais (13.03.07)

      Bienen-AIDS in den USA
      Ist Gentechnik die Ursache? (6.03.07)

      Bayer und BASF
      wegen Bienensterben angeklagt (19.02.04)

      Bienensterben
      und noch ein Insektizid (14.08.03)

      Bienentod durch Imidacloprid
      Bayer-Konzern verliert Prozeß (10.07.03)

      Nach dem Bienensterben
      nun auch ein Rückgang bei den Hummeln (18.06.03)

      Bienensterben zweite Stufe (6.06.03)

      Bienensterben
      nimmt bedrohliche Ausmaße an (30.05.03)

 

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