4.09.2012

Bio-Lebensmittel - nur ein Mythos?

Die Biene - ein Indikator für das Überleben der Menschheit
In den Mainstream-Medien wird zur Zeit der Eindruck erweckt, zwischen Bio-Lebensmitteln und solchen aus der industriellen Landwirtschaft bestehe kein nennenswerter Unterschied. Diese Kampagne stützt sich auf eine jüngst veröffentlichte wissenschaftliche Meta-Studie. Doch über die entscheidenden Tatsachen sagt diese Studie nichts aus.

Seit Mitte der 1980er-Jahre waren in der neuentstandenen Bewegung für eine Agrar-Wende sowohl die Gesundheit der landwirtschaftlichen Erzeugnisse als auch die Umweltverträglichkeit die beiden entscheidenden Kriterien. Lebensmittel aus kontrolliert biologischem Anbau sollen also nicht allein weniger Schadstoffe enthalten, sondern zugleich bei der Produktion auf umweltbelastenden Chemie-Einsatz bei der Düngung als auch bei der Bekämpfung von Insekten, sogenannten Unkräutern und Pilzerkrankungen der Nutzpflanzen verzichten. Einige Jahre später kam die Entscheidung gegen den Einsatz der Agro-Gentechnik hinzu.

Wir wollen deshalb hier zunächst untersuchen, inwiefern die ökologische Landwirtschaft tatsächlich umweltverträglich und nachhaltig ist. Erst im zweiten Teil wird es um die immer wieder umstrittene Frage gehen, ob Bio-Lebensmittel gesünder sind.

In der industriellen Landwirtschaft werden von der Chemie-Industrie mit hohem Energieaufwand hergestellte Pestizide eingesetzt. Hierzu zählen Insektizide, die zur Vernichtung von sogenannten Schädlingen eingesetzt werden, aber auch immer wieder dazu führen, daß Bienen oder auch wild lebende Hummeln und andere für die Bestäubung unserer Nutzpflanzen wichtigen und unentbehrlichen Insekten vernichtet werden. Herbizide vernichten Unkräuter und Fungizide bekämpfen Pilzbefall. Um nur ein Beispiel zu erwähnen, spielt die industrielle Landwirtschaft bei dem immer wieder auftretenden Bienensterben mit dem Risiko, daß bei einer Ausrottung der Biene die gesamte Nahrungsmittelproduktion in wenigen Jahren zusammenbricht.

Lange Zeit wurden die Gesundheitsgefahren durch den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft von vielen WissenschaftlerInnen unterschätzt. Im Mai 2012 mußte die französische Regierung anerkennen, daß es sich bei Parkinson um eine durch Pestizide verursachte Berufskrankheit von LandwirtInnen handelt. In Frankreich führten LandwirtInnen über viele Jahre hin einen erbitterten Kampf drum, daß Parkinson als Berufskrankheit anerkannt wird. Im Jahr 2009 hatte eine französische wissenschaftliche Studie den Verdacht gegen die Umweltgifte untermauert: Sie bewies, daß Insektizide das Parkinson-Risiko von LandwirtInnen verdoppeln.

Da die universitäre Wissenschaft jedoch wegen der Kürzungen öffentlicher Mittel und dem verstärkten Zwang zur Beschaffung sogenannter Drittmittel – also der Forschungsförderung durch die Wirtschaft – immer abhängiger wurde, gibt es bis heute kaum Langzeituntersuchungen über die Folgen von Pestiziden bei den KonsumentInnen von Lebensmitteln aus der industriellen Landwirtschaft. Und so behaupten die großen europäischen Bauernverbände nach wie vor, daß es keine negativen Folgen beim Verzehr von pestizid-behandeltem Obst und Gemüse gäbe.

Bio-Obst und Gemüse sind in aller Regel unbelastet, da im biologischen Anbau keine chemisch-synthetischen Pestizide zugelassen sind - lediglich in Ausnahmen werden Spuren von Pestiziden gefunden. Selbst amtliche Untersuchungen bestätigen immer wieder, daß die Pestizid-Belastung von Bio-Obst und Gemüse um das 200- bis 300-fache unter dem von konventionell erzeugtem liegt. Zu erkären ist diese geringfügige Belastung durch die Verteilung der Pestizide über größere Entfernungen etwa durch den Wind.

In der gegenwärtig häufig zitierten Meta-Studie der Universität Stanford wird lediglich das Ergebnis wiedergegeben, daß im Urin von Kindern, die sich ökologisch ernähren, weniger Pestizid-Rückstände zu finden sind als bei Kindern, die konventionelle Lebensmittel verzehren. Für viele Eltern, die wenigstens darauf achten, daß sich ihre Kinder gesund ernähren, ist dies erschreckend: Sie nehmen nur wahr, daß auch ihre Kinder belastet sind - und nicht wenige schließen hieraus, daß es vor den "Segnungen" der industriellen Landwirtschaft kein Entkommen gäbe. Im Gegensatz zur Radioaktivität gibt es in der Chemie jedoch tatsächlich eine Mindest-Dosis, unterhalb der ein chemischer Stoff als ungiftig gelten kann.

Eine weitere Kritik an der industriellen Landwirtschaft besagt, daß es beim Einsatz von Pestiziden zu einer Art Wettrüsten kommt. Immer wieder kommt es zu Resistenzen, das heißt, es entstehen beispielsweise Pilze, die gegen die eingesetzten Fungizide unempfindlich sind. In der Folge müssen immer stärkere und giftigere Stoffe eingesetzt werden.

So finden sich in konventionell erzeugtem Obst und Gemüse immer häufiger immer mehr verschiedene Pestizide - sogenannte Pestizid-Cocktails, die ein besonderes Problem darstellen können. Studien zeigen, daß sich die Wirkung von mehreren gleichzeitig vorhandenen Chemikalien, wie sie häufig in Obst und Gemüse vorkommen, verstärken kann. Diese Einschätzung belegt auch die aktuelle Greenpeace-Studie "Mehrfachbelastung durch Pestizide auf Mensch und Umwelt".

Öko-LandwirtInnen setzen außerdem Nützlinge ein, bekämpfen Unkräuter mechanisch und achten auf optimale Fruchtfolgen, durch welche die sogenannten Schädlinge auf natürliche Weise eingedämmt werden. Zudem dienen die Fruchtfolgen im Ökolandbau der Bodengesundheit und Bodenfruchtbarkeit.

In der ökologischen Landwirtschaft darf darüber hinaus keine Gentechnik eingesetzt werden. VerbraucherInnen, die keine Gen-Pflanzen auf ihrem Teller wollen, sind da also auf der sicheren Seite. Auch bei Fleisch, Milch und Eiern aus der Bio-Landwirtschaft können die VerbraucherInnen sicher sein, daß die Nutztiere keine Gentechnik im Futtertrog hatten. In der industriellen Landwirtschaft wird häufig Gen-Soja aus Südamerika eingesetzt. Neben den katastrophalen Folgen in Ländern wie Brasilien, wo nach wie vor ständig große Flächen des Amazonas-Regenwaldes abgeholzt werden, um landwirtschaftliche Fläche für den Soja-Anbau zu gewinnen, ist auch die Umweltschädigung durch den Transport über den Atlantik hinweg nicht zu unterschätzen.

Des weiteren ist der ökologische Landbau besser für das Klima, da weniger klimaschädliche Gase wie Kohlendioxid und Lachgas freigesetzt werden. Auf lange Sicht sind Umwelt und Böden gesünder und somit ist auch eine langfristige Lebensmittelsicherheit gewährleistet.

Die Tiere auf den Ökohöfen haben mehr Platz, leben meist in kleineren Gruppen und erhalten vorwiegend Futter direkt vom Betrieb. In Abhängigkeit von klimatischen Bedingungen und Bodenbeschaffenheit haben die Tiere auch Zugang zu Weide- und Freiflächen. Durch mehr Bewegungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten als in der konventionellen Tierhaltung haben die Tiere mehr artgerechte Verhaltensmöglichkeiten. Nicht verschwiegen werden soll aber in diesem Zusammenhang, daß erst eine drastische Reduzierung des Fleisch-Konsums, wie er in den industrialisierten Ländern immer noch üblich ist, einer umweltverträglichen biologischen Landwirtschaft ermöglichen wird, auch 8 bis 9 Milliarden Menschen auf diesem Planeten zu ernähren.

Auch sind in der Bio-Haltung schmerzhafte Eingriffe wie das Kupieren von Schwänzen bei Schweinen und das Kürzen von Schnäbeln verboten. Zusätzlich ist es ein Ziel, die Lebensdauer jedes einzelnen Tieres zu erhöhen, was sich auch darin widerspiegelt, daß Bio-Masttiere langsamer wachsen dürfen als ihre Artgenossen im konventionellen Stall.

Im ökologischen Landbau dürfen Antibiotika nur in Ausnahmefällen eingesetzt werden, wenn ein Tier schwer krank ist. Dadurch bilden sich weniger Keime, die gegen Antibiotika resistent sind. Resistente Krankheitserreger sind ein Problem, das gerade durch die industrielle Massentierhaltung enorme Ausmaße angenommen hat.

Doch auch bei Bio gibt es Unterschiede. Verbandssiegel wie Bioland und Demeter haben in vielen Teilbereichen deutlich strengere Anforderungen als das europäische Bio-Siegel. Die Tiere haben mehr Platz, auch Haltung und Fütterung sind besser. So dürfen zum Beispiel laut Bio-Verordnung der EU 230 Legehennen beziehungsweise 580 Masthühner pro Hektar (ha) gehalten werden; bei Demeter und Bioland sind es hingegen 140 Legehennen beziehungsweise 280 Masthühner. Wer diese höheren Standards unterstützen will, muß also schauen, ob sich neben dem sechseckigen Bio-Siegel zusätzlich ein Bioland- oder Demeter-Logo auf der Verpackung befindet. Für viele VerbraucherInnen wird das aber unüberschaubar.

Hier nun zu der in der gegenwärtigen öffentlichen Diskussion im Zentrum stehenden Frage: Sind Bio-Lebensmittel gesünder?

Fleisch und Milch aus der Bio-Landwirtschaft sind nachweislich gesünder: Studien zeigen, daß Bio-Milch und Bio-Rindfleisch mehr essenzielle Omega-3-Fettsäuren enthalten - somit ein für den Menschen gesünderes Fettsäure-Muster aufweisen. Das liegt daran, daß ökologisch gehaltene Kühe in aller Regel weniger Kraftfutter und Mais bekommen und dafür mehr Grünfutter und Heu als jene in den Ställen der industriellen Landwirtschaft. Da macht also das bessere Futter den Unterschied aus.

Auch wenn bislang wissenschaftliche Langzeitstudien fehlen, die beweisen könnten, daß eine biologische Ernährung gesünder ist, sollten die lange geleugneten Gesundheitsgefahren für industriell wirtschaftende LandwirtInnen zu denken geben. Ein häufig vergessener Aspekt biologischer Ernährung ist zudem der Verzicht auf raffinierten Zucker, die Bevorzugung von möglichst naturbelassenen Nahrungsmitteln und der Verzicht auf Convenience-Food – also mit hohem Aufwand an Chemie, Energie und Wasser vorgefertigte Lebensmittel wie etwa Fertiggerichte oder Tiefkühlware. Es gibt zumindest Hinweise, daß der Verzicht auf raffinierten Zucker und die Bevorzugung von Vollkorn-Produkten der Entstehung von Diabetes und Fettleibigkeit mit all ihren gesundheitlichen Folgewirkungen vorbeugt.

Zum Schluß noch die Frage des Geschmacks: Es wird immer wieder behauptet, daß sich der geschmackliche Unterschied von Bio-Lebensmittel zu industriell erzeugten Lebensmitteln nicht objektivieren ließe. Tatsächlich jedoch wird in vielen anderen Bereichen durch Verkostung und durch Fachleute, die viel Geld damit verdienen, keineswegs in Frage gestellt, daß solche Bewertungen reproduzierbar seien. Auch Wolfram Siebeck, Deutschlands berühmtester Feinschmecker und Gastronomie-Kritiker, schwört wohl nicht zufällig auf Bio-Lebensmittel.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Bio-Landwirtschaft
      Volkswirtschaftlich kostengünstiger (30.04.12)

      Wald-AIDS greift um sich
      Zustand der Buchen auf historischem Tiefpunkt (2.02.12)

      Merkel degradiert Wald zum Rohstofflieferanten
      Wald-AIDS in den Medien nahezu vergessen (21.09.11)

      Giftige Grünalgen an der bretonischen Küste
      Sarkozy: "Industrielle Landwirtschaft unschuldig" (29.07.11)

      Appell gegen Massentierhaltung
      Für eine Agrar-Wende (23.11.10)

      Die Ostsee stirbt
      Mord per Ackerbau und Viehzucht (27.07.10)

      Erfolg der Bio-Landwirtschaft
      mit Artenvielfalt statt Pestiziden (5.07.10)

      Bio-Landwirtschaft
      Option für Klimaschutz
      und Sicherung der Welternährung (26.01.10)

      Die Ostsee stirbt
      Immer weniger Schweinswale (28.01.09)

      Wald-AIDS auch in den USA
      Sterberate in 20 Jahren verdoppelt (24.01.09)

      Umweltverbrechen Mais-Anbau
      Nitrat und Pestizide verseuchen das Grundwasser (18.05.08)

      Bayer-Chemikalie Clothianidin gestoppt
      Zusammenhang mit Bienensterben nun doch nachgewiesen
      (17.05.08)

      Bayer-Chemikalie Clothianidin in toten Bienen
      Angeblich "kein klarer Zusammenhang" (9.05.08)

      Bienensterben wegen Bayer-Chemikalie Clothianidin?
      Kam das Gift aus Obstplantagen oder von Maisäckern? (6.05.08)

      Bienensterben in Baden
      Ursache Agro-Chemikalien? (27.04.08)

      Die Ostsee stirbt
      Gabriel desinteressiert (15.11.07)

      Die Ostsee stirbt
      Deutschland schaut zu (28.09.07)

      Beschleunigtes Amphibiensterben
      Ein Drittel aller Amphibien vom Aussterben bedroht (8.03.07)

      Schmetterlinge in Deutschland
      80 Prozent vom Aussterben bedroht (13.04.05)

      Eisbär leidet unter Pestiziden (13.09.04)

      Apollofalter
      the scream of the butterfly (19.05.03)

 

neuronales Netzwerk