30.04.2012

Bio-Landwirtschaft
Volkswirtschaftlich kostengünstiger

Bio-Landwirtschaft Eine aktuelle Studie der McGill-Universität in Montreal kommt zum Ergebnis, daß der Produktivitäts-Nachteil der Bio-Landwirtschaft im Vergleich zur industriellen Landwirtschaft durchschnittlich nur rund 13 Prozent beträgt. Diese verursacht jedoch durch riesige Folgeschäden externe Kosten, die nicht in die betriebswirtschaftliche Gewinnrechnung eingehen. Die gravierendsten Schäden, die in eine volkswirtschaftliche Gewinn- und Verlust-Rechnung eingehen müßten, liegen im Bereich der Artenvernichtung, der Waldschäden und der Ausbreitung von Todeszonen in der Ostsee.

UmweltwissenschaftlerInnen um die Biologin und Geografin Verena Seufert von der McGill-Universität in Montreal haben herausgefunden, daß Bio-Landwirtschaft effizienter ist als bislang gemeinhin angenommen wurde. Unbestreitbar sind die Erträge im Vergleich zur industriellen Landwirtschaft geringer - und dies verursacht im Zusammenwirken mit einem höheren Arbeitskräfte-Einsatz deutlich höhere Preise. Doch je nach Pflanzenart und Bodenverhältnissen beträgt der Produktivitäts-Nachteil der Bio-Landwirtschaft bei optimaler Bewirtschaftung durchschnittlich nur rund 13 Prozent. So sind zwar die Erträge bei Getreide und Gemüse zwischen 26 und 33 Prozent geringer. Bei Hülsenfrüchten wie Sojabohnen und mehrjährigen Pflanzen wie Obstbäumen liegt der Unterschied jedoch nur bei bei drei bis elf Prozent.

Der höhere Gewinn, der nur zu einem geringen Teil als Preisvorteil an die KonsumentInnen industriell erzeugter Lebensmittel weitergereicht wird, steht jedoch in keinem Verhältnis zu den angerichteten Schäden. Und für diese Schäden müssen auf lange Sicht alle, auch die KonsumentInnen von Bio-Lebensmitteln aufkommen.

Wenig bekannt ist in der Öffentlichkeit der Zusammenhang zwischen industrieller Landwirtschaft und den nach wie vor enormen Schäden in den deutschen Wäldern. Diese liegen immer noch auf demselben Niveau wie in den 1980er-Jahren, als in den Medien noch vom "Waldsterben" die Rede war (Siehe unseren Artikel vom 2.02.12). Laut dem jährlich von der Bundesregierung herausgegebenen "Waldzustandsbericht" waren 2011 nur noch 12 Prozent der Buchen in Deutschland gesund und nur noch 21 Prozent der Eichen.

Ursächlich ist in erster Linie eine Überfrachtung unserer Landschaft mit Stickstoffverbindungen. Und der weitaus größte Verschmutzer der Luft mit Stickstoffverbindungen ist die Landwirtschaft, die mit ihren vor allem aus der Tierproduktion stammenden Ammoniakausgasungen (NH3) für rund 57 Prozent aller stickstoffhaltigen Schadgase verantwortlich ist. Zweitgrößter Emittent ist der Straßenverkehr, vor allem der Schwerlastverkehr. Die aus den Auspuffrohren gasenden Stickoxide (NO2) tragen zu 22 Prozent zu den Stickstoffbelastungen bei.

Mit dem Niederschlag werden diese Stickstoffverbindungen aus der Atmosphäre wieder ausgewaschen und auf diese Weise großflächig verteilt. Im Boden bringen sie dann sowohl den pH-Wert als auch das gesamte Nährstoffgefüge aus dem Gleichgewicht: Der Boden versauert, verliert wichtige Spurenelemente und reichert den düngenden Stickstoff an.

Insbesondere die Feinwurzeln der Bäume leiden und sterben ab. Auch die im Wurzelgeflecht lebenden Mikroorganismen, die für das Überleben der Bäume unabdingbar sind, werden mehr und mehr geschädigt. Erkennbar ist dies unter anderem an der stark herabgesetzten Funktion des Waldbodens, bei Starkregen Wasser aufsaugen zu können. Da auch die Bodenverdichtung durch den Maschineneinsatz bei der Waldbewirtschaftung und die Erschließung der Wälder durch Waldwege zu diesem Effekt beitragen, schießt das Wasser nicht selten in Sturzbächen aus den Wäldern zu Tal.

Dramatisch sind aber auch die Veränderungen in zahlreichen von Natur aus stickstoffarmen Naturräumen. In Kiefernwälder auf sandigen Standorten, in Hochmooren, in heideartigen Flächen und Trockenrasen – überall verdrängen zunehmend stickstoffliebende Pflanzen die ursprüngliche, sehr gut angepaßte Vegetation. Die Frühlings-Kuhschelle, der Nordische Augentrost, das Sumpf-Knabenkraut oder der Rosmarin-Seidelbast – insgesamt 86 höhere Pflanzen stehen mittlerweile auf der Roten Liste der bedrohten Arten wegen dieser Stickstoff-Überdüngung aus der Luft. Die zahlreichen gefährdeten Moose, Flechten und Pilze sind unter diesem Aspekt noch gar nicht erfaßt.

Als weitere Opfer sind Lerche, Hamster und Feldhase zu nennen. Denn unter großflächigen Monokulturen und hohem Pestizideinsatz der industriellen Landwirtschaft haben vor allem sie zu leiden. Beim Feldhasen gingen die Bestandszahlen von 500.000 um das Jahr 2000 auf rund 350.000 zurück (Siehe unseren Artikel vom 4.04.12). In großräumigen, leeren Agrarlandschaften und in Regionen mit flächendeckenden Mais-Monokulturen findet der Feldhase immer weniger Lebensraum. Auch das wichtigste Nutztier der Landwirtschaft, die Biene, ist in Gefahr. In Folge des Pestizideinsatzes kam es in den vergangenen Jahren schon mehrmals zu einem Bienensterben - nicht nur in Deutschland.

Sowohl der Einsatz der Pestizide (Herbizide, Insektizide und Fungizide) als auch die Monokulturen und der Einsatz der Gentechnik verursachen immer mehr Schäden. "Hauptursache dafür ist eine verfehlte Subventionspolitik, die vor allem Anreize für die Agrar-Industrie setzt und dem Artenschutz zu wenig Bedeutung beimißt," erklärte der BUND-Naturschutzexperte Magnus Wessel bei der alljährlichen zur Osterzeit veröffentlichten Alarmmeldung.

In den deutschen Mainstream-Medien wurde im vergangenen Juli groß über die Algenpest an der bretonischen Küste berichtet. Der Verursacher war offensichtlich: Bretonische Viehzüchter produzieren mehr als die Hälfte aller in Frankreich gezüchteten Schweine. Wenn deren Gülle auf den Feldern verteilt wird, gelangen Nitrate in Grundwasser, Bäche, Flüsse und dann ins Meer. Mit dieser Kraftnahrung explodiert das Wachstum der Algen geradezu. Die Grünalge ist an sich nicht giftig. Wird sie aber in großen Mengen an die bretonische Küste angeschwemmt und vermodert dort, entwickelt sich das giftige Gas Schwefelwasserstoff.

Schlimmer ist es für die Ostsee. Aber hierüber ist in den deutschen Mainstream-Medien aus Rücksicht auf die industrielle Landwirtschaft und die sie versorgenden Chemie-Konzerne kaum etwas zu erfahren. Dort haben sich Blaualgen bereit auf eine Fläche von mehreren hundert Quadratkilometer ausgedehnt. Das Algenwachstum ist ein Indikator für die akute Vergiftung der Ostsee mit den Ausschwemmungen in Folge der industriellen Landwirtschaft der Ostsee-Anrainerstaaten - insbesondere Deutschlands. Wegen der Überfrachtung der Böden mit chemischen Düngemitteln gelangen jährlich rund eine Million Tonnen Stickstoff und 35.000 Tonnen Phosphor in die Ostsee. Der Sauerstoffgehalt sinkt und riesige Todeszonen breiten sich immer mehr aus.

Nur nebenbei sei hier erwähnt, daß der ökologische Landbau Lebensmittel mit wesentlich geringeren Treibhausgas-Emissionen erzeugen kann. Wissenschaftlich längst bewiesen ist, daß die Bio-Landwirtschaft überragende Ergebnisse sowohl bei der Vermeidung von Treibhausgas-Emissionen als auch bei dem für das Klima relevanten Erhalt und Aufbau von Humus vorweisen kann. Gegenwärtig trägt die deutsche Landwirtschaft erheblich zum Klimawandel bei. Einschließlich der gesamten Produktionskette, die bei einer Klimabilanz berücksichtigt werden muß, emittiert sie jährlich rund 140 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Äquivalente. Dies entspricht rund 16 Prozent der Gesamtemissionen in Deutschland. Doch der Klimawandel verursacht Kosten, für die weitestgehend erst unsere Kinder und Kindeskinder aufkommen müssen.

Alle, die wegen den geringeren Preisen im Supermarkt statt im Bioladen einkaufen, tragen - freiwillig oder unfreiwillig - dazu bei, daß dieser Irrsinn fortgesetzt werden kann. Dabei sind die so verursachten Schäden, die wir alle über die Steuern bezahlen müssen, um ein Vielfaches höher als die Gesamtsumme der Preisunterschiede. Und zugleich werden - ob von "Rot-Grün", Schwarz-Rot" oder "Schwarz-Gelb" - Milliarden an Steuergeldern verpraßt, um über den Umweg über Brüssel die industrielle Landwirtschaft mit Subventionen am Leben zu erhalten. All dies spricht dem von Partei-PolitikerInnen so gern im Munde geführten Schlagwort von der "Nachhaltigkeit" Hohn.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Artenvernichtung
      Osterhase gefährdet? (4.04.12)

      Wald-AIDS greift um sich
      Zustand der Buchen auf historischem Tiefpunkt (2.02.12)

      Libelle des Jahres 2012
      60 Prozent auf der Roten Liste (26.01.12)

      Artenvernichtung
      Rote Liste wird länger (10.11.11)

      Dohle: Von der Roten Liste
      zum Vogel des Jahres 2012 (15.10.11)

      Merkel degradiert Wald zum Rohstofflieferanten
      Wald-AIDS in den Medien nahezu vergessen (21.09.11)

      Gartenrotschwanz bald ausgerottet
      Vogel des Jahres 2011 (9.10.11)

      Giftige Grünalgen an der bretonischen Küste
      Sarkozy: "Industrielle Landwirtschaft unschuldig" (29.07.11)

      Appell gegen Massentierhaltung
      Für eine Agrar-Wende (23.11.10)

      UN-Artenschutzkonferenz in Nagoya
      Mehr als nur wohlklingende Beschlüsse? (30.10.10)

      Die Ostsee stirbt
      Mord per Ackerbau und Viehzucht (27.07.10)

      Erfolg der Bio-Landwirtschaft
      mit Artenvielfalt statt Pestiziden (5.07.10)

      Artenschutzkonferenz zündet nächste Stufe
      zur Zerstörung der Lebensgrundlagen (18.03.10)

      Bio-Landwirtschaft
      Option für Klimaschutz
      und Sicherung der Welternährung (26.01.10)

      Artensterben ungebremst
      Weltnaturschutzunion IUCN hilflos (3.11.09)

      Trotz Wald-AIDS:
      Deutsche Forstwirtschaft nicht nachhaltig (21.07.09)

      IUCN-Studie:
      Artensterben weltweit beschleunigt (2.07.09)

      Die Ostsee stirbt
      Immer weniger Schweinswale (28.01.09)

      Wald-AIDS auch in den USA
      Sterberate in 20 Jahren verdoppelt (24.01.09)

      Immer mehr Vögel sterben aus
      Jede achte Vogel-Art bedroht (23.09.08)

      Umweltverbrechen Mais-Anbau
      Nitrat und Pestizide verseuchen das Grundwasser (18.05.08)

      Bayer-Chemikalie Clothianidin gestoppt
      Zusammenhang mit Bienensterben nun doch nachgewiesen
      (17.05.08)

      Bayer-Chemikalie Clothianidin in toten Bienen
      Angeblich "kein klarer Zusammenhang" (9.05.08)

      Bienensterben wegen Bayer-Chemikalie Clothianidin?
      Kam das Gift aus Obstplantagen oder von Maisäckern? (6.05.08)

      Bienensterben in Baden
      Ursache Agro-Chemikalien? (27.04.08)

      2007: Negativ-Rekord
      bei bedrohten Arten (28.12.07)

      Die Ostsee stirbt
      Gabriel desinteressiert (15.11.07)

      Die Ostsee stirbt
      Deutschland schaut zu (28.09.07)

      Artenvernichtung beschleunigt
      Gorillas und viele andere Arten immer seltener (12.09.07)

      Beschleunigtes Amphibiensterben
      Ein Drittel aller Amphibien vom Aussterben bedroht (8.03.07)

      Schmetterlinge in Deutschland
      80 Prozent vom Aussterben bedroht (13.04.05)

      Osterhase bedroht (27.03.05)

      Eisbär leidet unter Pestiziden (13.09.04)

      Rotbauchunke reloaded (30.07.04)

      Apollofalter
      the scream of the butterfly (19.05.03)

 

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