8.10.2003

Blair kriegt Cook-Buch
an den Kopf

Intern war klar, daß der Irak keine Bedrohung darstellt

Am Wochenende erschienen Vorab-Auszüge aus dem Buch des früheren Außenministers unter Blair, die - wie schon zuvor Veröffentlichungen von Tagebuchnotizen Alastair Campells1 als auch ein Buch des britischen Journalisten John Kampfner mit einem kompromittierenden Dokument aus der Feder von Innenmisister Straw2 - den britischen Premier schwer belasten.

Auch Robin Cook, von 1997 bis 2001 Außenminister und danach Parlamentsminister mit Kabinettrang bis zum 20. März, als er aus Protest gegen Blairs Kriegskurs zurücktrat, greift auf Tagebuchnotizen zurück. Daß diese nun ausgerechnet in Blairs Hofberichterstattungs- Zeitung, der 'Sunday Times' aus dem Hause Murdoch, erscheinen, sagt mehr über den Rückhalt von Tony Blair aus als der Claqueur-Parteitag vor einer Woche in Bournemouth.

Noch am 5. März habe Tony Blair in kleiner Runde bestätigt, daß Saddam Hussein keine ernsthafte Bedrohung darstelle. Auch John Scarlett, Chef des britischen Geheimdienst-Ausschusses, habe dies durchblicken lassen. Der Erfolg oder Mißerfolg der UN-Waffeninspekteure unter Hans Blix habe für Blair ganz offensichtlich keinerlei Bedeutung gehabt. Tony Blair habe bereits Bushs Vorgänger Clinton versprochen, sich an einem Krieg gegen den Irak zu beteiligen, wenn keine UN-Aktion zustande käme (durchaus interessant in Hinblick auf die immerwährenden Versuchen, die heutige US-Politik als "Cowboy-Politik" von einer vermeintlich positiven seines Vorgängers von den 'democrats' abzusetzen).

Insbesondere habe Tony Blair eindeutig gewußt, so wirft ihm Robin Cook vor, daß das irakische Regime über keine innerhalb von 45 Minuten einsatzbereiten Massenvernichtungswaffen verfügte. Dies war einer der entscheidenden Argumente in einem im September 2002 veröffentlichten Dossier, das in der britischen Öffentlichkeit die nötige Kriegsunterstützung hatte erzeugen sollen. Als Cook zwei Wochen vor Kriegsbeginn seinen Chef fragte, ob denn solche Massenvernichtungswaffen, so sie denn existierten, nicht etwa eine Gefahr für die einmarschierenden britischen Truppen darstellten, habe es Blair so dargestellt, daß es sich höchstens um Gefechtsfeldwaffen mit B- und C-Köpfen handeln könne, und wörtlich ergänzt: "Der Zwang, diese Waffen zu verstecken, macht es für Saddam Hussein schwierig, sie so schnell einsatzbereit zu machen."

Diese internen Aussagen - so denn beweisbar - stehen in krassem Widerspruch zu den damaligen öffentlichen Erklärungen Tony Blairs, der Krieg gegen den Irak sei wegen einer "echten und unmittelbaren Gefahr" erforderlich. Von einem Regierungssprecher wurden die Anschuldigungen Cooks derweil als "absurd" zurückgewiesen. Der außenpolitische Sprecher der Liberaldemokraten, Menzies Campbell, dessen Partei zum Irak-Krieg auf Distanz ging, kommentierte: "Wenn diese Behauptungen wahr sind, sind sie der reinste Sprengstoff". Die Torries, die den Kriegskurs Blairs unterstützen, halten sich bislang bedeckt. Die wettfreudigen Briten setzen nicht mehr viel auf einen Verbleib Tony Blairs im Amt des Premiers. Spekuliert wird fast nur noch darauf, wieviele Tage er sich noch an der Macht halten kann und wann die nächsten Enthüllungen auftauchen. Als wahrscheinlichste Variante wird eine "Palastrevolte" angesehen, bei der Blair durch Straw ersetzt wird und die Labour Party sich bis zu den nächsten Wahlen wieder in den Umfrageergebnissen erholen könnte.

 

Harry Weber

 

Anmerkungen:
1 Siehe inbesondere unseren Artikel:
'Blair schubst Hoon'
Campbells Tagebuchnotizen belasten Kriegsminister Hoon (17.09.2003)

2 Siehe inbesondere unseren Artikel:
'Blair unter Buch-Druck'
Enthüllungen über Innenminister Straw erhöhen den Druck auf Blair (17.09.2003)

Bisher erschienen zu diesem Thema auf unseren Seiten:

'Der Anfang vom Ende des Tony Blair'
Britischer Geheimdienstler David Kelly tot aufgefunden (18.07.2003)

'Todesfall Kelly - Selbstmord-These unglaubwürdig' (25.08.2003)

'Meacher schlägt Blair'
"This war on terrorism is bogus" ('Guardian' v. 6.09.) (7.09.2003)
und
Dokumentation des Original-Artikels in deutscher Übersetzung

'Blix widerspricht Blair und Bush'
"Keine Beweise für Massenvernichtungswaffen" vom 9.09.2003

'Hoon wird Blairs nächstes Bauernopfer' (12.09.2003)

'Blair unter Buch-Druck'
Enthüllungen über Innenminister Straw erhöhen den Druck auf Blair (17.09.2003)

'Blair schubst Hoon'
Campbells Tagebuchnotizen belasten Kriegsminister Hoon (17.09.2003)

'Keine Massenvernichtungswaffen im Irak'
Abschlußbericht der 'Iraq Survey Group' (3.10.2003)

 

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