Die Proteste für Demokratie und gegen die neoliberale Ausplünderung des Landes sollen fortgesetzt werden. So haben es Versammlungen in mehreren spanischen Städten an diesem Wochenende beschlossen. Zugleich häufen sich die Versuche linker Parteien, die Bewegung "Democracia real ya!" unter ihre Kontrolle zu bekommen.
In Barcelona hatte die Polizei am Freitag über sechs Stunden lang versucht, die Plaza de Cataluña zu räumen. Nach offiziellen Angaben wurden 121 Menschen, darunter 37 PolizistInnen verletzt. Tausende strömten am Abend auf den Platz, um weiter der Forderung nach einem Systemwechsel Nachdruck zu verleihen.
Seit einigen Tagen versuchen nun einige katalanische Parteien, die vermeintliche Forderung nach "Reformen" (siehe auch unseren Artikel vom 21. Mai) aufzugreifen. Am Samstag forderten sie den Chef der katalanischen Regional-Regierung Felip Puig wegen des Polizei-Einsatzes in Barcelona zum Rücktritt auf. Die als kommunistisch firmierende Partei 'Esquerra Unida' (Vereinigte Linke) versucht sich dabei an die Spitze zu setzen. Aus diesen parteipolitisch orientierten Kreisen formierte sich auch ein Diskussions-Zirkel, der ein Manifest mit den "Forderungen der Bewegung" formulieren soll. Offenbar ist damit geplant, das Manifest "Democracia real ya!", das von diesen Kreisen als "utopisch" oder gar "reaktionär" diffamiert wird, zu verdrängen. (Das Manifest ist in unserem Artikel vom 16. Mai dokumentiert.) Es fällt auf, daß in alter leninistischer Tradition eine zentrale Forderung dieses geplanten Manifests auf den Parlamentarismus abzielt: "Erstens will die Bewegung eine Reform des spanischen Wahlsystems, damit kleinere Parteien einfacher ins Parlament einziehen können."
In Diskussionen auf den Plätzen in vielen spanischen Städten werden diese Anstrengungen von Seiten der Linken als Versuch angesehen, die Uhren zurückzudrehen: "Damit wollen sie die Erfahrungen vieler Jahre, die uns gezeigt haben, daß jede Partei korrumpiert werden kann, vergessen machen," erklärt einer der Sprecher beim Protest-Camp auf dem Madrider Platz Puerta del Sol. Die SpanierInnen wollen solange weiter protestieren, bis das jetzige System gestürtzt ist und eine reale Demokratie geschaffen werden kann. Zu intensiv ist die Erfahrung echter Demokratie, die sie in den Versammlungen und Diskussionen unter freiem Himmel seit Mitte Mai machen konnten. Menschen, die sich bisher allenfalls von Elternabenden in der Schule oder vom Sandkasten kannten, wo über wenig mehr als Kinderkrankheiten gesprochen wurde, sahen sich auf den Plätzen wieder und redeten plötzlich über Kapitalismus oder Globalisierung. Hinzu kommt eine einmalige historische Situation, da mit der sich verschärfenden Weltwirtschaftskrise die Überlebens-Chancen des herrschenden Systems, das durch das spanische Zweiparteien-System "PSOE-PP" repräsentiert wird, dahinschwinden.
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
"Democracia real ya!"
SpanierInnen setzen sich über Demo-Verbot hinweg (21.05.11)
Spanien: "Democracia real ya!"
Puerta del Sol von Polizei geräumt (18.05.11)
Massenproteste in Spanien
"Democracia real ya!" (16.05.11)
Die Dreckschleudern der Nation
PolitikerInnen und ihre Dienstlimousinen (18.04.11)
...völlig desillusioniert
von Wahlen (12.09.09)
AKW-Laufzeitverlängerung in Spanien
"Sozialistischer" Regierungs-Chef Zapatero
bricht Wahl-Versprechen (3.07.09)
AKW-Unfall in Spanien
Greenpeace ortet Radioaktivität bei Tarragona (8.04.08)
Parlamentarismus überzeugt
immer weniger (30.12.06)
Löst Spanien
den europäischen Wirtschafts-Crash aus? (3.07.04)