Grundlagenphysik ist zweifellos wichtig und förderungswürdig, auch wenn ein Nutzeffekt derzeit nicht erkennbar ist. Wenn allerdings knapp vier Milliarden Euro allein für das größenwahnsinnige Projekt eines Teilchenbeschleunigers verschleudert werden, scheint eher der Ruf nach dem Psychiater angebracht zu sein als der - immer wieder vergebliche - Versuch, rationale Kritik hieran zu üben. Vielleicht ist es aber dennoch nötig, rationale Argumente noch und noch zu wiederholen, da im Laufe der Jahre Generationen heranwachsen, die ansonsten nur die Propaganda aus den Mainstream-Medien zu hören bekommen.
Da es um Geld geht und dieses bekanntlich nicht unbegrenzt zur Verfügung steht (auch wenn es manchmal den Anschein hat, wenn es um die Rettung von Banken geht, gelte heute plötzlich nicht mehr, was noch gestern als Begründung für den Sozialabbau gepredigt wurde...) stellt sich zu allererst die Frage einer rationalen Abwägung. Was ist dringlicher: Den Hunger in der Welt zu bekämpfen oder die Lösung physikalischer Grundlagenprobleme?
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon erklärte anläßlich des UN-Hunger-Gipfel im November 2009 in Rom: "Allein am heutigen Tag werden mehr als 17.000 Kinder an Hunger sterben, ein Kind alle fünf Sekunden, sechs Millionen pro Jahr." Entgegen den Versprechungen der Regierungen der Industrienationen aus dem Jahr 2000 ("Milleniums-Ziel"), die Zahl der weltweit Hungernden bis 2015 zu halbieren, stieg deren Zahl von 842 Millionen im Jahr 2004 auf mittlerweile über eine Milliarde. Der Irrsinn, der in Friedrich Dürrenmatts Bühnenstück "Die Physiker" thematisiert wird, hat anscheinend auf die gesamte Zunft übergegriffen. Es ist jedenfalls nichts davon zu hören, daß sich PhysikerInnen in der Öffentlichkeit gegen die in Genf betriebene verbrecherische Hybris auflehnen. Auch von Kirchen und karitativen Organisationen ist kein Aufschrei zu vernehmen...
Statt dessen wurde in den vergangenen Wochen und Monaten ein Nebenaspekt ins Zentrum der Diskussion gerückt: Könnte durch die Versuche mit dem Teilchenbeschleuniger ein schwarzes Loch entstehen, das die gesamte Erde vernichtet? Mit dieser Frage wird zugleich an die - mehr oder weniger verdrängte - Problematik aus Dürrenmatts "Physiker" gerührt. Dies jedoch auf eine Weise, die jene Frage nach der Vernichtung der Erde und der Selbstvernichtung der Menschheit ins Groteske verschiebt und damit letztlich denunziert. So kann das Problem der gesellschaftlichen Verantwortlichkeit der modernen Naturwissenschaft auf ein Nebengleis abgeschoben und damit entsorgt werden.
Frech ist von der Freiheit der Forschung derzeit wieder die Rede. Auch dieser Diskurs ist angesichts einer zunehmenden Unterordnung der Naturwissenschaften an Universitäten und Schulen unter ein kurzsichtiges ökonomisches Rentabilitätsdenken mit Hilfe von Drittmittel-Abhängigkeit und Bologna-"Reform" nur noch eine Groteske. Für wirkliche Grundlagenforschung, wirklich "zweckfreie" Forschung, ist in der Breite "kein Geld mehr vorhanden".
Es stellt sich die Frage: Steckt hinter der freizügigen Vergabe all der Milliarden von Euro an das Kernforschungszentrum in Genf das hybride Verlangen nach einer noch unermesslicheren Energiequelle als der aus der Kernspaltung resultierenden Atomenergie? Der verwegene Wunsch, den Teufel mit Hilfe von Beelzebub auszutreiben, wäre nichts Neues. Doch gleichgültig, welches Motiv nun dahintersteckt, gleichgültig, ob diese gigantische Irrationalität ein Fünckchen Ratio enthält oder nicht, der Teilchenbeschleuniger ist eine Manifestation des Irrsinns.
Adriana Ascoli
für
REGENBOGEN NACHRICHTEN
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel zum Thema:
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Die IAEA und dubiose Geheimdienst-Dossiers (19.02.10)
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Bilanz des UN-Hunger-Gipfels in Rom:
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für noch mehr Profit (19.11.09)
Unverantwortlicher Umgang
mit dem hochgiftigen Bombenstoff Plutonium (15.10.09)
Atombombe und Wahnsinn
"..., weil sie das Leben nicht lieben" Erich Fromm (6.08.09)
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